Drei Gründe für die Eskalation in Ecuador

Dem südamerikanischen Land steht eine unruhige Woche bevor. Regierung setzt Armee und Polizei gegen Gewerkschaften und Indigene ein

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In der Provinz Cotopaxi in Ecuador ging die Armee massiv gegen Demonstranten vor
In der Provinz Cotopaxi in Ecuador ging die Armee massiv gegen Demonstranten vor

Quito. Ecuador startet nach Tagen schwerer Unruhen angesichts eines bevorstehenden Generalstreiks und der teilweisen Militarisierung des Landes in eine unruhige Woche. Ursache für die schwere Krise sind Zugeständnisse der Regierung von Präsident Lenín Moreno an den Internationalen Währungsfonds (IWF). Nach der Streichung von staatlichen Subventionen auf Treibstoff kam es zu landesweiten Protesten, in deren Verlauf nach Augenzeugenberichten mehrere Menschen starben und hunderte Personen festgenommen wurden.

Inzwischen hat Moreno eine Deutschland-Reise in dieser Woche abgesagt. Der neoliberale Politiker sollte Mitte der Woche auf dem Lateinamerika-Tag der deutschen Wirtschaft in Frankfurt am Main als Ehrengast sprechen und wurde auch in Berlin zu politischen Gesprächen erwartet.

Zur Eskalation maßgeblich beigetragen hat die Ausrufung des Ausnahmezustandes durch die Regierung Moreno und die Mobilisierung von Armee und Polizei. Der Verband der indigenen Nationalitäten Ecuadors (Conaie) berichtete am Sonntag über Repression gegen Bewohner des Verwaltungsbezirks La Esperanza in der Provinz Imbabura im Norden des Landes durch Militär und Polizei. In sozialen Netzwerken kursierten zahlreiche Videos, in denen das gewaltsame Vorgehen der bewaffneten staatlichen Kräfte und militärisches Gerät zu sehen ist.

Laut Conaie drangen in der Provinz Imbabura Soldaten mit Gewalt in die Häuser ein und bedrohten die Bewohner. Bei den Zusammenstößen zwischen Anwohnern und Sicherheitskräften seien insgesamt sieben Personen festgenommen worden.

Die von der Regierung kontrollierte Tageszeitung El Telégrafo versuchte am Montag indes, ein Bild der Normalität zu zeichnen. Der Schulunterricht im Land sei wieder aufgenommen worden, berichtete das Blatt. Lediglich im Hochland, der Sierra, blieben die Schulen wegen andauernder Unruhen geschlossen. Über einen für Mittwoch angekündigten Generalstreik und in anderen Landesteilen andauernde Proteste berichtete die Redaktion nicht.

Laut El Telégrafo sind 29.000 Soldaten der ecuadorianischen Streitkräfte an mindestens 40 verschiedenen Stellen im Zentrum des Landes stationiert worden. Die Militärs "garantieren den Schutz von Treibstofflieferungen für die Gebiete Coyoctoro, Bezirk Cañar, Loja-Cuenca, Saraguro, Cayambe-Quito und El Churuco in der Provinz Morona Santiago". Rund 50.000 Polizisten bewachten Unternehmen, um Plünderungen zu verhindern. Insgesamt habe die Regierung 79.000 Soldaten und Polizisten mobilisiert, um im Rahmen des erlassenen Ausnahmezustands die staatliche Kontrolle aufrechtzuerhalten.

Nach zwei Tagen harter Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Armee auf der einen Seite und überwiegend friedlichen Demonstranten auf der anderen Seite am 3. und 4. Oktober blieb es am Sonntag ruhig in der Hauptstadt Quito. Offenbar hat dort die massive Repression der letzten Tage Wirkung gezeigt und die Bewohner zunächst vor weiteren Protesten abgehalten. Über 150 Personen waren alleine in Quito festgenommen worden; sie wurden nach eigenen Angaben teilweise misshandelt. Zahlreichen Gefangenen wurden Grundrechte wie der Kontakt zu Anwälten und Angehörigen verwehrt. Menschenrechtsgruppen verurteilen die unverhältnismäßige Repression. Angesichts der Gewalt haben die "Transportistas", die Gewerkschaften der Transportarbeiter, ihren Streik Ende der Woche zunächst beendet.

Nun haben vor allem die in der Conaie organisierten Indigenenverbände das Ruder übernommen. Die Conaie hat ihrerseits einen Ausnahmezustand in den Gebieten verfügt, in denen die Indigenen die Mehrheit bilden. Soldaten und Polizisten, die in ihr Territorium eindringen, würden festgenommen und der indigenen Justiz überstellt. In Alausí haben die Indigenen 47 Soldaten in ihrer Gewalt. In Ambato haben sie Funkanlagen besetzt und mehrere Radio- und Fernsehsender abgestellt. Im ganzen Land haben sie Straßensperren errichtet. Militär und Polizei reagierten hart: Am Freitag wurde ein junger Indigener in Cayambe von Soldaten erschossen, in Riobamba wurde ein junger Mann angeschossen, der die Proteste filmte. Über soziale Medien werden zahlreiche solcher schweren Zwischenfälle berichtet, über die in staatlichen und etablierten Medien nichts zu erfahren ist.

"Es ist die größte und schnellste Volksmobilisierung in den letzten 35 Jahren", sagte gegenüber amerika21 ein ehemaliger ecuadorianischer Diplomat, der aus Angst vor Konsequenzen nicht namentlich genannt werden will. Dies belege die massive Enttäuschung der Bevölkerung von der Regierung und zeige die Konsequenzen der zwei Jahre andauernden Krise in Ecuador. Präsident Moreno sei nach einem sehr progressiven Wahlprogramm und im Rahmen einer wieder gesundenden Wirtschaft gewählt worden, führte der Diplomat aus. Er sagte weiter:

"Aber kurz nach der Wahl im 2017 legte sich Moreno kurzerhand auf eine neoliberale Politik in der Wirtschaft und in vielen anderen Bereichen fest. Linke Minister schieden aus und Vertreter der Unternehmerschaft wurden ins Kabinett geholt. Kürzungen der Sozialsysteme wurden beschlossen. Die Arbeitslosigkeit stieg rapide auf das hohe Niveau der neunziger Jahre. Ich denke, dass die jetzige Mobilisierung der Bevölkerung, insbesondere der Indigenen, zum Sturz der Regierung oder zumindest zur Rücknahme der Maßnahmen führend kann, was auch schon eine Schwächung des Regimes bedeuten würde."

Er könne sich nicht vorstellen, dass Moreno bis 2021 am Ruder bleibt, so der Ex-Diplomat. Der "Betrug" Morenos an seiner Wählerschaft, die maßgeblich aus Anhängern der linken Partei Alianza País bestand, der wirtschaftliche Abstieg des Landes und die nun einsetzende Repression sind drei Gründe für die Eskalation.