Protestwelle in Venezuela für höhere Löhne und Arbeitsrechte im öffentlichen Dienst

Zur Inflationsbekämpfung wurden Leistungen gekürzt, Löhne gesenkt und das Recht auf Tarifverhandlungen ausgesetzt. Folge: Lebenshaltungskosten unbezahlbar

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Seit Wochen protestieren Tausende in mehreren Städten Venezuelas für die Arbeitsrechte im öffentlichen Dienst
Seit Wochen protestieren Tausende in mehreren Städten Venezuelas für die Arbeitsrechte im öffentlichen Dienst

Caracas. Inmitten landesweiter Proteste hat die venezolanische Regierung einen Dialog mit den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes begonnen, um ihre Forderungen zu diskutieren.

Zuvor hatte sie die vollständige Auszahlung des Urlaubsgeldes der Beschäftigten an staatlichen Schulen und Universitäten angekündigt.

"Das Urlaubsgeld wird nächste Woche in einer einzigen Rate an alle Beschäftigten des staatlichen Bildungswesens ausgezahlt", bestätigte Orlando Pérez, Abgeordneter der Nationalversammlung und Vorsitzender der Nationalen Lehrergewerkschaft. Er rief Lehrer und weitere Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes auf, sich an dem Dialogtisch zu beteiligen, um an der Durchsetzung der Liste ihrer Forderungen weiterzuarbeiten.

Die Regierung zahlt Lehrern, Arbeitern und Verwaltungsangestellten staatlicher Bildungseinrichtungen am Ende jedes Schuljahres im Juli ein Urlaubsgeld in Form einer Einmalzahlung, Pensionäre erhalten eine ähnliche "Erholungsprämie". Das Nationale Haushaltsamt (Onapre) legte der diesjährigen Prämie jedoch den monatlichen Mindestlohn von sieben Bolivar (1,52 US-Dollar) von 2021 zugrunde und nicht den im März beschlossenen Satz von 126 Bolivar (30 US-Dollar). Das Urlaubsgeld wurde außerdem in mehrere Zahlungen aufgeteilt, sodass die Lehrer im Juli nur einen Anteil von 25 Prozent bekamen.

Die Kürzungen lösten massive Proteste im ganzen Land aus. Das Urlaubsgeld wurde nun auf der Grundlage der aktuellsten Löhne wieder eingeführt und der Onapre-Leiter Marco Polo Cosenza durch Jennifer Quintero de Barrios, die ehemalige Schatzmeisterin des Wirtschaftsministeriums, ersetzt.

Gewerkschaften feierten dies als "ersten Sieg", erklärten jedoch, dass die Proteste bis zur Erfüllung aller Forderungen weitergehen.

Das "Kollektiv 2. Juni" von Angestellten des Gesundheitsprogramms Barrio Adentro rief dazu auf, weitere Versammlungen zu organisieren, um die nächsten Kundgebungen vorzubereiten: "Wir müssen den Kampf für volle sozio-ökonomische Leistungen, die Einhaltung von kollektiven Tarifverträgen und die Achtung der Gewerkschaften fortsetzen".

Das Urlaubsgeld ist nur eine von vielen Forderungen, die zu den landesweiten Mobilisierungen geführt haben. Seit Anfang Juli sind pensionierte Beamte, Krankenpflegepersonal, Lehrer und Universitätsangestellte im öffentlichen Dienst auf der Straße, um gegen eine Onapre-Richtlinie zu protestieren, die die Gehaltsskala abflacht, das Recht auf Tarifverhandlungen außer Kraft setzt und eine Reihe von Leistungen wie Gesundheitsfürsorge, Darlehen und Boni aufgrund von Erfahrung oder Bildungsstand kürzt.

Eduardo Sánchez, Sprecher der Gewerkschaft der Beschäftigten der Zentralen Universität Venezuelas, bezeichnete die Onapre-Richtlinien als "grausame Politik", die die Angestellten in "schreckliche Verhältnisse" bringe und sie zwinge, Zweitjobs anzunehmen oder den öffentlichen Dienst ganz zu verlassen. "Im Falle der Universitätsbeschäftigten sprechen wir von 40 bis 70 Prozent Kürzungen der Reallöhne".

Am 12. Juli übergaben Demonstranten dem Arbeitsministerium ein Schreiben, in dem sie die Rücknahme dieser Richtlinie forderten, und reichten beim Obersten Gerichtshof eine Petition für ihre sofortige Aufhebung ein. Das Urteil steht noch aus.

Die Protestierenden forderten darüber hinaus höhere Gehälter, um die Lebenshaltungskosten zu decken. Der Grundnahrungsmittelkorb wird derzeit auf über 392 Dollar geschätzt, während Lehrer an staatlichen Schulen rund 50 Dollar im Monat verdienen. Viele Beschäftigte des öffentlichen Dienstes sind deshalb in die Privatwirtschaft gewechselt oder emigriert, haben mehrere Nebenjobs angenommen oder sind auf Geldüberweisungen von Verwandten aus dem Ausland angewiesen.

Die Regierung hat bei ihren Bemühungen, die Wirtschaft des Landes in der schweren Krise und unter den massiven US-Sanktionen anzukurbeln, vorwiegend auf wirtschaftsliberale Maßnahmen zurückgegriffen. Dazu gehören die Aufhebung der Preis- und Devisenkontrollen, Steuererleichterungen, eine stärkere Beteiligung von Privatkapital an Staatseigentum und Initiativen wie das Gesetz über Sonderwirtschaftszonen. Gleichzeitig wurden Löhne stark gesenkt, öffentliche Ausgaben gekürzt und der Dollar faktisch eingeführt.

Dies hat zwar die Inflation gebremst, aber die Lohnunterschiede zwischen den Beschäftigten des öffentlichen und des privaten Sektors haben sich vergrößert.

Im Jahr 2021 ist das Bruttoinlandsprodukt erstmals seit sieben Jahren wieder gewachsen und die Prognosen für 2022 liegen zwischen acht und 20 Prozent. Die Kaufkraft der Arbeitnehmer werde sich in dem Maß wieder verbessern, wie sich die Wirtschaft weiter erhole, so das Versprechen von Präsident Nicolás Maduro.