Brasilien / Politik

Wahlen in Brasilien: Stichwahl entscheidet zwischen Lula und Bolsonaro

Lula veröffentlicht Brief an die Bevölkerung "für ein Brasilien von morgen". Papst hofft auf Befreiung von "Hass, Intoleranz und Gewalt". Stimmung angespannt

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Lula oder Bolsonaro? Die Bevölkerung wählt heute ihren neuen Präsidenten (Kollage aus Header-Bildern der PT und der PL)
Lula oder Bolsonaro? Die Bevölkerung wählt heute ihren neuen Präsidenten (Kollage aus Header-Bildern der PT und der PL)

Brasília. Heute findet die Stichwahl zwischen den beiden Präsidentschaftskandidaten Luiz Inácio Lula da Silva und Jair Bolsonaro statt. Nach aktuellen Umfrageergebnissen des Instituts Datafolha liegt Lula mit 53 Prozent Stimmen vorn und könnte somit der neue Präsident des Landes werden.

In rund 300 Städten können Bürger:innen den öffentlichen Nahverkehr am heutigen Tag kostenlos nutzen. Damit soll die Teilnahme an der Wahl vereinfacht und die Wahlbeteiligung erhöht werden. Im ersten Wahldurchgang wählten 20,9 Prozent der Bevölkerung nicht.

Die Stimmung im Land ist weiterhin angespannt. Die politische Gewalt hatte im Wahlkampf stark zugenommen (amerika21 berichtete).

Am Freitag wurde im Bundesstaat ein Stadtrat und Mitglied der Arbeiterpartei (PT) auf offener Straße erschossen. Die PT fordert Ermittlungen und geht von einem politischen Tatmotiv aus. Der Täter ist bisher unbekannt. 

Ebenfalls diese Woche feuerte Roberto Jefferson, ein ehemaliger Abgeordneter und enger Verbündeter Bolsonaros, mehrere Schüsse und zwei Granaten auf Polizist:innen ab. Eine Universität in der Stadt Recife hatte sich vergangene Woche dazu entschieden, den Unterricht aus Angst vor politischer Gewalt abzusagen, nachdem eine Pro-Bolsonaro Demonstration in der Nähe angekündigt wurde.

Lula erhielt Anfang Oktober erneut eine Morddrohung. In einer Mail an das Lula-Institut kündigte eine bislang unbekannte Person an, auf Lula vor dem Institut zu warten, um ihn mit acht Revolverschüssen zu ermorden. Die Behörden ermitteln in diesem Fall. Die Bundespolizei hat für den Wahlkampf und den heutigen Wahltag die höchste Risikostufe für den Kandidaten erklärt. 

Noch immer ist unklar, ob Bolsonaro die Wahlergebnisse im Falle einer Niederlage anerkennen wird. Vor wenigen Tagen erklärte er erneut, dass er das Ergebnis der Wahl anfechten wolle, nachdem er und sein Wahlteam eine Beschwerde wegen Benachteiligung im Wahlkampf beim Obersten Wahlgericht (TSE) eingereicht hatten und diese abgelehnt wurde.

Er behauptet, von diversen Radiosendern durch ungerechte Sendung der Wahlwerbung benachteiligt worden zu sein. Der Vorsitzender des TSE, Alexandre de Moraes, wies den Fall aufgrund mangelnder Beweise zurück und leitete den Fall an den Obersten Gerichtshof weiter. Dieser soll gegen Bolsonaro wegen Verdacht auf Aufruhr und Störung der Wahlvorgänge ermitteln (amerika21 berichtete).

Das Oberste Wahlgericht hat insgesamt sieben Wahlbeobachtungsmissionen bestätigt. Diese waren bereits im ersten Wahldurchgang anwesend und sollen die rechtmäßige Durchführung der Wahl sichern. Den Missionen gehören Vertreter:innen der Organisation Amerikanischer Staaten, des Mercosur-Parlaments (Parlasur), des Netzwerks der Wahlverwaltungs- und Justizorgane der Gemeinschaft portugiesischsprachiger Länder, des Carter Centers (USA), der Interamerikanischen Union der Wahlorganisationen, der Internationalen Stiftung für Wahlsysteme und Transparencia Eleitoral, einer lateinamerikanischen Einrichtung für Wahlbeobachtung an.

Immer mehr Regierungen, soziale und politische Gruppen sowie Persönlichkeiten verschiedener Länder solidarisieren sich mit Lula. Vertreter:innen aus Spanien, Italien und Portugal sprachen ihre Unterstützung aus. Der Papst sandte am Mittwoch eine Botschaft an die Bevölkerung Brasiliens und richtete eine Fürbitte an die Schutzpatronin des Landes: "Ich bitte Unsere Liebe Frau von Aparecida, das brasilianische Volk zu beschützen und für es zu sorgen, es von Hass, Intoleranz und Gewalt zu befreien".

Auch Lula richtete sich erneut mit einem "Brief für ein Brasilien von morgen" an die Bevölkerung. Darin skizziert er die Veränderungen, die er für das Land im Falle eines Wahlsiegs vornehmen will. Unter anderem strebt er eine Verbesserung der Arbeiter:innen-Rechte mit einem höheren Mindestlohn sowie Förderungen und Steuerbefreiungen für die ärmere Bevölkerung an. Bildung soll für alle zugänglich gemacht werden, indem mehr Universitäten gegründet werden und Studierende mehr Förderung erhalten. Die Landwirtschaft soll nachhaltiger werden.

Im letzten TV-Duell vor der Wahl am Freitag standen diese Themen ebenfalls auf der Tagesordnung. Auch Bolsonaro versprach, den Mindestlohn zu erhöhen. "Oh, du hast ihn die letzten vier Jahre nicht an die Inflation angepasst und gerade jetzt machst du es?", fragte Lula. Er sei nicht gekommen, um Bolsonaro zu antworten, sondern um "mit dem brasilianischen Volk zu sprechen", so der Linkspolitiker. "Vier Jahre lang hat dieser Mann das Land regiert und den Mindestlohn nicht um einen Prozent angehoben", sagte er weiter. Lula distanzierte sich während des Duells nicht nur politisch von seinem Konkurrenten. Auch physisch hielt er Abstand zu Bolsonaro und erklärte "ich will nicht in deiner Nähe sein".

Eine Werbeschaltung für die Kaufhauskette Havan von Luciano Hang während einer Pause im TV-Duell führte bei Zuschauer:innen der Debatte zu Kritik. Der Spot sei "versteckte Wahlpropaganda". Hang hatte sich in der Vergangenheit explizit für Bolsonaro ausgesprochen.

Mehr als 156 Millionen Bürger:innen sind wahlberechtigt. Für Personen zwischen 18 und 70 Jahren besteht Wahlpflicht, Jugendliche zwischen 16 und 18 können freiwillig wählen. Abgestimmt wird elektronisch.