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Ausnahmezustand in Peru: Keine Lösung der Krise in Sicht

Spannungen werden durch Außerkraftsetzung von Grundrechten und Ausgangssperren weiter angeheizt. Protestierende fordern Auflösung des Kongresses, Wahlen, Verfassungsreform und Gerechtigkeit

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"Der Ausnahmezustand existiert nicht": Die Proteste im Land reißen nicht ab, wie hier in der Andenstadt Cusco
"Der Ausnahmezustand existiert nicht": Die Proteste im Land reißen nicht ab, wie hier in der Andenstadt Cusco

Lima. Die Situation in Peru eskaliert nach der Absetzung und Inhaftierung von Präsident Pedro Castillo weiter. Nachdem die neue Präsidentin Dina Boluarte am Mittwoch den nationalen Ausnahmezustand verhängt hat, sind bei Zusammenstößen zwischen Protestierenden und Sicherheitskräften weitere Menschen ums Leben gekommen. Castillo bleibt derweil in Untersuchungshaft.

Die Angaben zur Zahl der Toten – ausschließlich auf Seiten der Protestierenden – schwanken zwischen zehn und 21. Die Mehrheit von ihnen kam in den Andendepartamentos Apurímac und Ayacucho ums Leben. Die regionale Gesundheitsbehörde von Ayacucho bestätigte sieben Todesfälle und 52 Verletzte allein am ersten Tag des Ausnahmezustands.

Die nationale Ombudsstelle fordert eine eingehende Untersuchung der Todesumstände. "Die Verantwortlichen müssen ausfindig gemacht und entsprechend sanktioniert werden", erklärte die Institution. Sie bestätigte zudem mehr als 420 Verletzte in Folge der seit neun Tagen anhaltenden Proteste.

Der Ausnahmezustand, der am vergangenen Mittwoch landesweit für 30 Tage verhängt wurde, erlaubt den Einsatz der Streitkräfte zur "Wahrung der inneren Sicherheit". Gleichzeitig setzt er Grundrechte wie etwa die Versammlungs- und Bewegungsfreiheit außer Kraft. Mit Ausnahme während der Corona-Pandemie wurde eine solche Maßnahme auf nationaler Ebene nicht mehr seit der Diktatur unter Alberto Fujimori (1990 - 2000) eingesetzt. In 15 besonders stark von den Protesten betroffenen Provinzen wurden zudem nächtliche Ausgangssperren verhängt.

Die Proteste erfassen das ganze Land. Die Ombudsstelle zählte bisher insgesamt 96 Blockaden, 59 Märsche und Sitzstreiks sowie 13 teilweise und vollständige Arbeitsniederlegungen in Provinzen der Departamentos Ancash, Ayacucho, Cajamarca, Cusco, Moquegua, Puno und San Martín.

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Armeeangehörige räumen eine von Protestierenden errichtete Straßensperre
Armeeangehörige räumen eine von Protestierenden errichtete Straßensperre

Am Donnerstag hatten soziale Organisationen, Gewerkschaften und indigene Bewegungen in mehreren Regionen des Landes zu landesweiten Streiks aufgerufen.

In der Hauptstadt Lima haben Studierende Räumlichkeiten in der Universität Mayor de San Marcos besetzt. Sie fordern Gerechtigkeit für die jungen Menschen, die in den Regionen Apurímac und Arequipa infolge der Polizeirepression getötet wurden. Sie lehnen die Regierung Boluarte ab. Auf Schildern der Besetzer:innen war zu lesen: "Gegen die Kriminalisierung von Protest", "Wir sind Studenten, wir sind keine Terroristen" und "Schluss mit der politischen Verfolgung". Zu ihren zentralen Forderungen gehört auch ein verfassungsgebender Prozess, so ein Sprecher. Die Gruppe warnt zugleich, dass die vorgezogenen Wahlen und die Schließung des Kongresses nicht ausreichen würden.

Die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung ist eines der Hauptthemen auf den Demonstrationen. Weitere Forderungen sind die Auflösung des Kongresses und sofortige Neuwahlen sowie vielerorts die Freilassung von Castillo.

Anhänger der neuen Regierung und die amtierende Präsidentin strengen immer wieder Vergleiche zwischen den Protestierenden und Terroristen an und erinnern an die Zeit des internen Konfliktes mit dem Leuchtenden Pfad. Boluarte sagte dazu: "Wir haben diese Erfahrung bereits in den achtziger und neunziger Jahren gemacht, und ich glaube nicht, dass wir zu dieser schmerzhaften Geschichte zurückkehren wollen".

Peruanische Menschenrechtsorganisationen warnen vor willkürlichen Festnahmen in der unübersichtlichen Situation und prangern Polizeigewalt an. Die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte (CIDH) verurteilte indes die Gewaltakte bei den Demonstrationen und rief die Staatsorgane zur Einhaltung von internationalen Normen auf.

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Appell an die Streitkräfte: "Tötet nicht euer Volk". Am Abend des 15. Dezember wurde in Lima ein Demonstrationszug zum Plaza San Martín von Soldaten blockiert. Die Menschen setzten sich daraufhin auf die Straße
Appell an die Streitkräfte: "Tötet nicht euer Volk". Am Abend des 15. Dezember wurde in Lima ein Demonstrationszug zum Plaza San Martín von Soldaten blockiert. Die Menschen setzten sich daraufhin auf die Straße

Trotz Ankündigung der Präsidentin, die Wahlen von 2026 auf 2024 vorzuziehen, scheiterte am Donnerstag zunächst ein solcher Gesetzbeschluss im Parlament. Die Sitzung wurde vertagt. Gleichzeitig wurde die Möglichkeit von Wahlen bereits im nächsten Jahr aufgeworfen. Linksparteien fordern zudem eine Volksabstimmung über eine neue Verfassung.

Am Donnerstag entschied der oberste Gerichtshof Perus, dass Castillo für 18 Monate in U-Haft bleiben soll. Richter Juan Carlos Checkley begründete die Entscheidung damit, dass es sich bei den mutmaßlichen Taten des Ex-Präsidenten um "schwere Delikte" handele. Zudem bestehe Fluchtgefahr. Aus dem Gefängnis heraus bat Castillo, die CIDH die Achtung seiner verfassungsmäßigen Rechte zu überwachen.

Der Linkspolitiker wird der "Rebellion" sowie der "Verschwörung gegen die Staatsgewalt" beschuldigt. Castillo hatte vergangene Woche das Parlament aufgelöst und eine Notstandsregierung ausgerufen, nachdem ihn der Kongress bereits in einem dritten Anlauf des Amtes entheben wollte. Sowohl die Sicherheitskräfte als auch seine eigene Regierung verweigerten ihm die Unterstützung. Das Parlament entmachtete ihn in einer Sondersitzung und erhob Vizepräsidentin Boluarte zur neuen Staatschefin.