Regierung in Kolumbien legt ambitionierte Arbeitsreform vor

Reform soll Outsourcing und Informalität bekämpfen und kollektive Arbeitsrechte stärken. Haushälterinnen, Landarbeiter:innen und Beschäftigte von digitalen Lieferdiensten profitieren davon

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Arbeitsministerin Ramírez (mit weißer Jacke): Es ist "die ambitionierteste Arbeitsreform dieses Jahrhunderts" in Kolumbien
Arbeitsministerin Ramírez (mit weißer Jacke): Es ist "die ambitionierteste Arbeitsreform dieses Jahrhunderts" in Kolumbien

Bogotá. Die kolumbianische Regierung hat einen Gesetzentwurf zur Änderung des geltenden Arbeitsrechts in den Kongress eingebracht. Es handele sich um die "ambitionierteste Arbeitsreform dieses Jahrhunderts" in Kolumbien, die die Rechte der rund 22 Millionen Arbeitnehmer:innen des Landes verbessern soll, betonte Arbeitsministerin Gloria Ramírez.

Die Reform zielt unter anderem darauf ab, die Arbeitsverhältnisse von Personen, die ohne Vertrag oder als Scheinselbständige arbeiten, zu formalisieren. Die Formalisierung der Arbeit fokussiert sich insbesondere auf die hunderttausende Landarbeiter:innen, Fahrer:innen von digitalen Lieferdiensten und Beschäftigten in Privathaushalten.

Gerade auf dem Land ist die Informalität sehr hoch. Sie betreffe 86 Prozent der Landarbeiter:innen, informierte Ramírez. Rund 1,5 Millionen von ihnen würden dank der Reform ihre Arbeit nun unter einem "Sondervertrag für Landarbeit" verrichten und hätten damit unter anderem Zugang zu einer Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung. Ihre Arbeitsbedingungen müssten "anständig und würdig" werden.

Die Reform zwingt Online-Lieferdienste dazu, ihren Bot:innen einen Arbeitsvertrag als Mitarbeiter:innen zu geben. Aktuell müssen sie als Selbständige unter sehr schlechten Bedingungen arbeiten. Diese würden "Sklavenverhältnissen" ähneln, klagen Sprecher:innen von ihnen. Die Reform würde über 100.000 Lieferbot:innen zugutekommen.

Der Gesetzentwurf bekämpft zudem ungerechtfertigtes Outsourcing. Mitarbeiter:innen von Leiharbeitsfirmen müssen die gleichen Arbeitsbedingungen wie die Stammbelegschaft des Hauptunternehmens haben, wenn ihre Dienste mit der Haupttätigkeit des Hauptunternehmens zu tun haben. Das bedeutet unter anderem, dass dieses für die Lohnverpflichtung und den Arbeitgeberanteil der Sozialversicherung gegenüber den Leiharbeiter:innen aufkommen muss.

Generell will die Reform mehr unbefristete Arbeitsverträge schaffen. Sie sind heute in Kolumbien eine Seltenheit: Nur circa 23 Prozent der Arbeitnehmer:innen haben derzeit einen solchen. Diese Veränderung würde auch Frauen zu Gute kommen.

Befristete Verträge werden von Arbeitgebern für sexuelle Belästigung ausgenutzt. "Dadurch, dass sie alle zwei Monate einen Vertrag unterschreiben müssen, um zu überleben, sind die Frauen zur sexuellen Belästigung durch die Arbeitgeber verurteilt worden", sagte Präsident Gustavo Petro bei der Vorstellung des Gesetzentwurfs. Die "Regierung der Veränderung" lehne kategorisch die Gewalt gegen die Frauen ab, sagte Ramírez in diesem Sinne.

In 82 Prozent der Fälle von sexueller Nötigung am Arbeitsplatz geht es nach Angaben des Arbeitsministeriums darum, dass Vorgesetzte Druck auf ihre Mitarbeiterinnen ausüben, um sie zu sexuellen Beziehungen mit ihnen zu zwingen.

Die Reform führt zum einen Schutz- und Präventionsmaßnahmen gegen sexuelle Belästigung von Arbeitnehmerinnen ein. Zum anderen werden ungerechtfertigt befristete Arbeitsverträge in unbefristete Arbeitsverträge umgewandelt.

Mit dem Gesetzentwurf wird außerdem die Nachtzeit um drei Stunden verlängert. Derzeit erhält, wer zwischen 21 und 6 Uhr arbeitet, einen Nachtzuschlag. Mit der Neuregelung würde der Nachtzuschlag zwischen 18 und 6 Uhr gelten. Den Sonntagzuschlag erhöht die Reform vom 75 auf 100 Prozent des normalen Taglohns.

Durch die Reform will die Regierung auch das kollektive Arbeitsrecht stärken, das Garantien über gewerkschaftliche Vereinigungen, Tarifverhandlungen und Streiks umfasst. Dies sei nötig, nachdem Gewerkschaften Jahrzehnte lang Opfer von circa 50.000 gewalttätigen Aktionen gewesen seien. Die Rechte der Arbeitenden wurden stark abgebaut, berichtete Ramírez. Bis 2022 blieb Kolumbien das tödlichste Land der Welt für Gewerkschaftsmitglieder.

Unter anderem erleichtert der Gesetzentwurf ebenfalls die Bedingungen, unter denen die Belegschaft einer Firma einen Streik erklären darf. Er schafft das Streikverbot für Beschäftigte im öffentlichen Dienst ab. Firmen dürfen Angehörige ihres Personals aufgrund der Teilnahme an einem Streik nicht mehr entlassen.

Die Massenmedien und die Opposition kritisieren die Reform der Regierung mit dem Argument, dass sie den Handlungsspielraum der Unternehmen beeinträchtige und sie gezwungen seien, Arbeitsplätze abzubauen.

Petro entgegnet, dass die neoliberalen Reformen der Neunziger und Anfang der Nuller Jahre, die zum Verlust von Rechten der Beschäftigten und Gewerkschaften geführt haben, nicht zur Formalisierung der Arbeit oder zu einer Zunahme der Arbeitsplätze geführt hätten. Solche Thesen seien also falsch.

Der Neoliberalismus hat zu einer Ungleichheit geführt, wie sie vor dem Zweiten Weltkrieg herrschte, so Petro. Es sei also Zeit, das Empowerment der Arbeitskräfte im Gang zu setzen.