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Gegen massive Proteste: Regierung von Uruguay setzt Rentenreform durch

Nach der Abgeordnetenkammer stimmt auch der Senat dem Gesetz zu. Rentenalter wird auf 65 Jahre erhöht. Tausende demonstrieren vor dem Parlament

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Tausende protestierten am Tag der Abstimmung im Unterhaus vor dem Parlamentsgebäude
Tausende protestierten am Tag der Abstimmung im Unterhaus vor dem Parlamentsgebäude

Montevideo. Mit ihrer Mehrheit von 17 der 28 Stimmen im Senat hat die Mitte-Rechts-Regierung von Präsident Luis Lacalle Pou die vieldiskutierte Rentenreform verabschiedet. Zuvor hatte die Gesetzesinitiative nach mehreren inhaltlichen Änderungen mit der Abgeordnetenkammer bereits das Unterhaus des uruguayischen Parlaments passiert.

Die Live-Übertragung der Abstimmung vor dem Kongressgebäude wurde von Massenprotesten der größten Gewerkschaften des Landes und Sozialverbänden sowie der linken Oppositionsparteien begleitet.

Die tiefgreifende Reform des Rentensystems sieht vor allem eine schrittweise Erhöhung des Renteneinstiegsalters von 60 auf 65 Jahre vor. Ausnahmen gibt es für Arbeitnehmende, die bei Inkrafttreten des Gesetzes bereits 30 Jahre oder unabhängig vom Rentenalter insgesamt 40 Jahre gearbeitet haben. Ebenso dürfen Berufszweige wie Bau- und Landarbeiter:innen, deren Arbeit "ein hohes Maß an körperlicher Anstrengung" erfordert, weiterhin nach 30 Arbeitsjahren mit 60 in den Ruhestand gehen.

Ein weiterer Kernpunkt der Reform ist die Änderung der Rentenbeitragszahlung. Konnten Arbeitnehmer:innen im gemischten Rentensystem aus staatlichen und privaten Rentenkassen bisher frei wählen, ob sie die gesetzlichen Rentenbeiträge von 15 Prozent des Nettoeinkommens anteilig auch an eine private Rentenkasse abgeben, wird es nun verpflichtend. Fünf Prozent der Abgaben gehen künftig an eine der vier privaten Rentenverwalter (Afap), die mit den Geldern unter anderem in ausländische Staatsanleihen investieren dürfen.

Nachdem ein erster Reformentwurf unter Mitarbeit einer Expertenkommission bereits vergangenen Oktober vom Präsidenten und seinen 14 Minister:innen im Parlament eingebracht wurde, sorgten vor allem interne Diskussionen zwischen den vier Koalitionsparteien (PN, PC, CA, PI) für eine Verzögerung der Gesetzgebung im Senat. Während die rechtskonservative CA (Cabildo Abierto) die Verbesserung der Polizistenrente sowie die Senkung der Berechnungsgrundlage des Rentensatzes auf 20 Arbeitsjahre durchsetzte, erwirkte die sozialdemokratische PC (Partido Colorado) die Herabsetzung der Sozialversicherungssteuer.

Die Hauptkritik an der Reform kommt aber von Gewerkschaften und dem linken Parteienbündnis Frente Amplio (FA).

Laut Sixto Amaro, Generalsekretär der Nationalen Organisation der Rentnerverbände von Uruguay, ist etwa die Senkung der Steuer angesichts von mehr als 340.000 Rentner:innen im Land, die diese durch ihr geringes Einkommen überhaupt nicht zahlen müssen, keine echte Hilfe im Kampf gegen Altersarmut. Die Reform sei "katastrophal" und ein Vorhaben, mit dem die Regierung "gegen die Mehrheit der Uruguayer stimmen werde".

Ähnlich äußerte sich Marcelo Abdala, Präsident der größten Arbeitergewerkschaft PIT-CNT: "Bei dieser Reform verlieren die Arbeiter, der Staat und die Sozialversicherung. Die einzigen, die gewinnen, sind die Afap".

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Demonstrationen am 1. Mai
Wie hier am 1. Mai zum "Tag der Arbeit" gehen die Proteste gegen die Rentenreform weiter

Jüngste Umfrageergebnisse des Beratungsunternehmens Cifra, denen zufolge 54 Prozent der Uruguayer:innen die Reform ablehnen, bestätigen die von Gewerkschaften und Opposition geäußerte Kritik.

Während die Regierung in diesem Zusammenhang immer wieder auf den demografischen Wandel in der Gesellschaft verweist, der bereits jetzt Rentenausgaben von über zehn Prozent des jährlichen BIP verursacht, beklagen die Gegner:innen der Reform fehlende Alternativen zur Finanzierung der steigenden Renten, wie etwa Steuereinnahmen von transnationalen Unternehmen.

Neben einem 24-stündigen Generalstreik vergangene Woche und den landesweiten Massenprotesten am 1. Mai, dem "Internationalen Tag der Arbeiterinnen und Arbeiter", verkündeten PIT-CNT, Frente Amplio und die Sozialistische Partei bereits, dass ihr Kampf weitergehe. Analog zum Referendum gegen das von der Regierung verabschiedete Dringlichkeitsgesetzt (Ley de Urgente Consideración, amerika21 berichtete) werde man nun den Fokus auf die Präsidentschaftswahl 2024 legen, um das Rentengesetz wieder rückgängig zu machen.