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Missbrauchstäter in der Kirche: Präsident von Bolivien schreibt an den Papst

Arce fordert Zugang zu allen Akten des Vatikans zu Missbrauchsfällen in Bolivien. Derzeit wird gegen 23 Priester wegen sexueller Übergriffe ermittelt

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Präsidialministerin María Nela Prada machte den Brief Arces am 22. Mai bekannt. Die Pressekonferenz wurde im TV übertragen
Präsidialministerin María Nela Prada machte den Brief Arces am 22. Mai bekannt. Die Pressekonferenz wurde im TV übertragen

La Paz. Der bolivianische Präsident Luis Arce hat sich mit einem Brief an Papst Franziskus gewandt. Darin fordert er unter anderem Zugang zu den Archiven der in Bolivien begangenen Fälle von sexueller Gewalt an Kindern. Der Plurinationale Staat behalte sich künftig das Recht auf die Zulassung neuer Priester vor, so Arce. Außerdem sei eine Überarbeitung der Vereinbarungen mit dem Heiligen Stuhl erforderlich.

"In Kenntnis der Tatsache, dass die katholische Kirche unter Ihrer Leitung Ermittlungen zu sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in verschiedenen Teilen der Welt durchgeführt hat, bei denen Fälle und mutmaßliche Täter identifiziert wurden, fordere ich, dass die bolivianische Justiz Zugang zu allen Akten, Unterlagen und Informationen zu sexuellen Missbrauchsfälle erhält, die von katholischen Priestern und Ordensleuten auf bolivianischem Gebiet begangen wurden", heißt es in dem Brief, der von Präsidialministerin María Nela Prada verlesen wurde.

Arce zeigt sich darin "bestürzt und empört" über die sexuellen Übergriffe von Ordensleuten, die in Bolivien aufgedeckt wurden, nachdem die Zeitung El País das Tagebuch des verstorbenen Jesuiten Alfonso Pedrajas veröffentlicht hatte. Dieser hatte darin gestanden, mindestens 85 Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht zu haben, die meisten an der Schule Juan XXIII in Cochabamba. Arce bezeichnete die Vorfälle als "erbärmliche und abnorme Verbrechen, die jahrelang verheimlicht wurden".

Dass die örtlichen kirchlichen Instanzen sich in mitschuldigem Schweigen geübt und die Verbrechen mit inakzeptabler Gleichgültigkeit vertuscht haben, sei ein Skandal, schrieb der Präsident. "Mehrere Betroffene haben das Schweigen gebrochen. Sie haben rechtliche Schritte eingeleitet und fordern Gerechtigkeit. Es laufen bereits gerichtliche Ermittlungen zu den Sexualverbrechen dieser katholischen Priester an unseren Kindern und Jugendlichen. Einige sind inzwischen verstorben, die übrigen müssen sich vor der bolivianischen Justiz verantworten, genauso diejenigen, die sie gedeckt haben. Diese Verbrechen wiegen schwer, denn es geht um die, die unsere Liebe, Aufmerksamkeit und Fürsorge am meisten brauchen: unsere Kinder".

Das Geständnis des Priesters Pedrajas hat die bolivianische Gesellschaft bestürzt. Jedoch ist der 2009 verstorbene Jesuitenpater kein Einzelfall.

Wie Generalstaatsanwalt Wilfredo Chávez mitteilte, sind derzeit 23 Namen von Priestern bekannt, denen sexuelle Übergriffe vorgeworfen werden, darunter Vergewaltigungen von kleinen Kindern zwischen sechs und zwölf Jahren.

"Hier geht es nicht um Fehltritte oder Verirrungen. Das sind Verbrechen, die den Kindern ein Leben lang schaden, und auch die Kirche trägt Schaden davon. Gerade deshalb müssen auf diese Erklärungen konkrete Taten folgen. Es ist an uns, für Gerechtigkeit zu sorgen, und wir müssen auch dafür Sorge tragen, dass solche furchtbaren Verbrechen nicht wieder begangen werden. Auf keinen Fall dürfen der Glaube und das Vertrauen in die Kirche aufs Spiel gesetzt werden, um Straffreiheit für solche Verbrechen zu erwirken", erklärte Arce in Anspielung auf Ordensleute wie den Erzbischof von Santa Cruz René Leigue, der die Gewalt als "Fehltritte" bezeichnete.

Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen sei eine "Annullierung der Kindheit" und eine "Wunde für die Gesellschaft und die Kirche", so Arce weiter und bezog sich damit auf die Aussagen von Papst Franziskus. "Die Integrität, die Würde, die Rechte und das Leben derjenigen, die wir am meisten schützen müssen, werden in Abrede gestellt. So schwere Verbrechen dürfen nicht ungestraft bleiben."

Die Justizorgane seiner Regierung hätten die notwendigen Maßnahmen ergriffen, um die Straffreiheit der Verantwortlichen zu verhindern. "Wir werden den Betroffenen Gerechtigkeit widerfahren lassen, und wir werden dafür sorgen, dass solche Verbrechen nicht mehr unter dem Schutz von Obrigkeiten ohne religiöses oder menschliches Gewissen begangen werden können."

In seinem Brief führt er außerdem aus, dass ein Gesetzesentwurf gegen die Straflosigkeit von Sexualverbrechen an Kindern und Jugendlichen vorliege, der die Verbrechen als nicht nachvollziehbar einstuft und die Strafen für Vertuschungsversuche erhöht. Geplant sei die Einrichtung einer Wahrheitskommission, die Licht in die Verbrechen bringen soll.

An Papst Franziskus richtet er die Bitte, "gemeinsam mit unserer nationalen Regierung ausländische katholische Priester, die sich derzeit im Plurinationalen Staat Bolivien aufhalten, gründlicher zu überprüfen, um zu verhindern, dass Priester, die bereits als sexuell übergriffig aufgefallen sind, in unserem Land als Erzieher oder Geistliche tätig werden". Die Regierung arbeite an Mechanismen, um die Überprüfungen einreisender katholischer Priester und Ordensleute zu verstärken. So sollten Verbrechen, die seit so vielen Jahren an Kindern und Jugendlichen begangen werden, künftig verhindert werden.

"Der bolivianische Staat behält sich das Recht vor, die Einreise neuer ausländischer Priester und Ordensleute, die eine Vorgeschichte von sexuellem Missbrauch an Minderjährigen haben, zu kontrollieren." Bestehende Abkommen und Konventionen würden überarbeitet. Maßnahmen zur künftigen Verhinderung der Ereignisse, die Anlass für den Brief waren, seien in Planung, so Arce.

Er forderte den Papst außerdem auf, "die Anstrengungen zum Schutz unserer Kinder zu verstärken, und zwar auf allen Ebenen der Regierung, und auch bei den religiösen Institutionen. Viele Bolivianer, die sich zum katholischen Glauben bekennen, vertrauen die Erziehung ihrer Kinder den Mitgliedern der Kirche an, und wenn Priester sich sexueller Gewalt schuldig machen, wird der Ruf ihrer Arbeit ernsthaft beschädigt".

Arce schloss mit versöhnlichen Worten und erklärte, ihm sei bewusst, dass "viele Priester der katholischen Kirche wichtige Aufgaben an der Seite des Volkes für soziale Gerechtigkeit erfüllt haben und weiterhin erfüllen. Ich weiß, dass Sie als Oberhaupt der katholischen Kirche und Mann des Glaubens meine Empörung, meine Besorgnis und meinen Schmerz über die an Kindern und Jugendlichen begangenen Verbrechen teilen. Und deshalb zweifeln wir nicht daran, dass Sie mit unerschütterlichem Engagement für den Sieg von Gerechtigkeit und Wahrheit eintreten werden".