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Senat in Kolumbien gibt Rentenreform frei

Großer politischer Erfolg. Quote der Rentner:innen würde von 25 auf 87 Prozent steigen. Alterssicherung für Bedürftige. Nächster Schritt Abgeordnetenhaus

Pedro

Kolumbiens Präsident Petro erklärt Rentenreform
Als "zutiefst ungerecht und ungleich" bezeichnete Präsident Gustavo Petro das aktuelle Rentensystem in einer Fernsehansprache nach der Zustimmung des Senats zur Reform

Bogotá. Der kolumbianische Senat hat die 94 Artikel umfassende Rentenreform der Linksregierung von Gustavo Petro mit 49 zu 4 Stimmen gebilligt. Nachdem der Kongress, in dem die Regierung keine Mehrheit hat, die Sozialreformen Petros blockiert hatte, feierten Mitglieder des Regierungslagers die Zustimmung des Senats als großen politischen Erfolg. Das Gesetz muss allerdings noch vom Repräsentantenhaus verabschiedet werden.

Innenminister Luis Fernando Velasco bezeichnete die Rentenreform als "wahrhaft revolutionäres Sozialgesetz". Arbeitsministerin Gloria Inés Ramírez sagte, es sei gelungen "auf dem Weg zu einem echten kolumbianischen Alterssicherungssystem voranzukommen, das es drei Millionen älteren Erwachsenen ermöglichen wird, der extremen Armut zu entkommen".

Die Wiederbelebung der Rentenreform, nach monatelangem Stillstand des Verabschiedungsprozesses im Senat, ist zum Teil auf die Zustimmung mehrerer Senator:innen der traditionellen Liberalen Partei zurückzuführen. Diese hatten mit Petro und Innenminister Velasco im Präsidentenpalast einige Änderungen am Gesetzentwurf ausgehandelt.

Mit der Reform will die Regierung eine Altersvorsorge für die Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung schaffen, die derzeit über keine verfügt. Das aktuelle Rentensystem sei "zutiefst ungerecht und ungleich", sagte Petro in einer Fernsehansprache nach der Absegnung der Reform im Senat.

Kolumbien sei nach Haiti das Land mit der zweithöchsten Altersungleichheit in Lateinamerika, so Petro. In Kolumbien erreiche nur jeder vierte Mann und jede achte Frau das Rentenalter mit Anspruch auf eine Rente. Dank der Reform würden im Jahr 2052 87 Prozent der Senior:innen abgesichert sein.

Die Hälfte der arbeitenden Menschen in Kolumbien zahle nicht in das Rentensystem ein, erklärte Petro in seiner Rede. Tatsächlich arbeiten 56,3 Prozent der Erwerbstätigen im informellen Sektor, haben ein unregelmäßiges Einkommen und sind deshalb nicht im Rentensystem registriert.

Die meisten Personen, die in das Rentensystem einzahlen, tun dies in privaten Rentenversicherungen, den so genannten Pensionsfondsverwaltungsgesellschaften (AFP). Die meisten von ihnen erhalten am Ende jedoch keine Rente. Die AFP haben 18 Millionen Einzahler:innen. Laut Arbeitsministerin Ramírez haben in den letzten 30 Jahren jedoch nur 318.000 Privatversicherte eine Rente erhalten.

Das staatliche Solidarsystem (Colpensiones) ist dagegen effizienter. Mit sechs Millionen Einzahler:innen hat Colpensiones 1,7 Millionen Rentenbezieher:innen. In Kolumbien können Erwerbstätige freiwillig zwischen dem privaten und dem staatlichen System wählen.

Nach der Einführung der AFP durch die neoliberalen Reformen der neunziger Jahre strömten die Einzahler:innen in das private Rentensystem. Dieses versprach damals eine bessere Rente als das staatliche System. In den letzten Jahren haben jedoch Hunderttausende von Privatversicherten versucht, auf dem Rechtsweg zu Colpensiones zu wechseln.

Da das umlagefinanzierte Solidarsystem nicht allein durch die Beiträge der Einzahler:innen die Beiträge der Rentenbezieher:innen bezahlen kann, muss der Staat aktuell 18 Billionen Pesos (rund 4,2 Milliarden Euro) an Zuschüssen für die Renten zahlen. Die Rentenreform soll diese Belastung verringern.

Die vom Senat verabschiedete Reform verpflichtet alle, die zwischen einem und 2,3 Mindestlöhnen (ca. 306 bis 704 Euro monatlich) verdienen, in das Solidarsystem einzuzahlen. Dies wird die Kassen der Colpensiones füllen und Mittel für eine Grundsicherung im Alter für diejenigen freisetzen, die es nicht schaffen, in das staatliche System einzuzahlen.

Die Reform kreiert so vier Modalitäten oder sogenannte "Säulen", durch die alle Kolumbianer:innen eine Alterssicherung bekommen sollen. Die erste Säule richtet sich an bedürftige Männer über 65 und Frauen über 60, die unter der Armutsgrenze leben. 2,5 Millionen von ihnen werden im Monat 223.000 Pesos (ca. 53 Euro) erhalten. Aktuell bekommen 1,7 Millionen arme Senior:innen 80.000 Pesos (circa 18 Euro) pro Monat.

Die zweite Säule ist für alle Männer über 60 Jahre und alle Frauen über 65 Jahre, die nicht alle Voraussetzungen für eine Rente erfüllen konnten, aber zwischen 300 und 1000 Wochen Beiträge an Colpensiones geleistet haben. Solche Kolumbianer:innen sind heute im Alter vollkommen schutzlos. Mit der Reform werden sie eine kleine lebenslange Rente erhalten, die sich an der Höhe der eingezahlten Beiträge orientiert, zuzüglich eines staatlichen Zuschusses von bis zu 30 Prozent.

Die erste und zweite Säule sollen unter anderem auch Frauen im Alter absichern, die jahrelang unbezahlte Care-Arbeit für Kinder im Haushalt geleistet haben oder aus anderen Gründen keine oder zu wenig Beiträge leisten konnten. Die Reform zielt damit auch darauf ab, Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen im Rentensystem abzubauen.

Die dritte Säule richtet sich an alle, die die bisherigen Voraussetzungen für den Rentenbezug erfüllen. Für sie ändert sich nichts, mit Ausnahme der eingeführten Pflicht, in Colpensiones einzuzahlen, wenn ihr Gehalt bis zu 2,3 Mindestlöhne beträgt. Das Rentenalter von 57 Jahren für Frauen und 62 Jahren für Männer wird beibehalten.

Die vierte und letzte Säule ist für die Besserverdiener:innen. Sie müssen zwar bis zu dem Teil ihres Gehalts, der 2,3 Mindestlöhnen entspricht, in Colpensiones einzahlen. Die Überschüsse für den Rest ihres Gehalts können sie jedoch in den privaten Pensionsfonds einzahlen, wenn sie das möchten.

Es bleibt abzuwarten, ob und mit welchen Änderungen das Repräsentantenhaus der Reform zustimmen wird. Medienberichten zufolge dürfte der Verabschiedungsprozess dort für die Regierungsfraktion theoretisch einfacher verlaufen als im Senat. Allerdings drängt die Zeit. Die Reform muss bis zum 20. Juni verabschiedet werden.