Präsident Petro ruft zu einem verfassungsgebenden Prozess für Kolumbien auf

Reformen im Kongress weiter blockiert. Petro ermutigt Bevölkerung zur Mobilisierung und beklagt "korrupte" Institutionen, die eine Politik des Wandels verhindern

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Präsident Petro: "Nicht das Volk muss in die Knie gehen“, sondern die Institution müssen sich ändern
Präsident Petro: "Nicht das Volk muss in die Knie gehen“, sondern die Institution müssen sich ändern

Cali/Bogotá. Der Aufruf von Präsident Gustavo Petro zu einer verfassungsgebenden Versammlung hat in Kolumbien zu großen Kontroversen geführt. Es habe sich ein "straffreies Regime der Korruption" in den staatlichen Institutionen eingenistet, dass eine wirkliche Umsetzung der Verfassung von 1991 verhindere. Dies müsse korrigiert werden, so der Präsident.

Petros Vorschlag ist vor dem Hintergrund verschiedener Situationen zu sehen. Zum einen die Blockade der Renten-, Arbeits- und Gesundheitsreformen seiner Regierung durch die oppositionelle konservative Mehrheit im Kongress (amerika 21 berichtete). Zum anderen wurden mehrere Regierungsbeamte und Senatoren der Regierungskoalition Pacto Histórico (PH) durch Urteile des Staatsrates und der Disziplinarbehörde (Procuraduría) des Amtes enthoben oder suspendiert.

Petro selbst sowie PH-Mitglieder wie María José Pizarro, deren Wahl zur Senatsvizepräsidentin vom Staatsrat für ungültig erklärt wurde, sehen in den Entscheidungen der Kontroll- und Disziplinarbehörden eine politische Verfolgung gegen die Regierung (amerika21 berichtete). 

"Wenn die Institutionen, die wir heute in Kolumbien haben, nicht in der Lage sind, die sozialen Reformen umzusetzen, für die das Volk gestimmt hat, dann ist es nicht das Volk, das in die Knie gehen muss", sagte Petro. Es sei die Institution, die sich ändern müsse. Wenn die "vom Volk gewählte Regierung" eingekreist werde, damit sie die Verfassung nicht umsetzen könne, "dann muss Kolumbien zu einer verfassungsgebenden Nationalversammlung gehen", sagte er.

Nun werfen die oppositionellen rechtsgerichteten Parteien Petro vor, er wolle sich durch eine verfassungsgebende Versammlung, die ihm eine Wiederwahl ermöglichen würde, an der Macht halten. Aktuell lässt die Verfassung eine Wiederwahl des Präsidenten nicht zu.

Der Präsident wies diese These jedoch zurück: "Der angeregte verfassungsgebende Prozess diene weder dazu, die Verfassung von 1991 zu ändern, noch dazu, mich an der Macht zu halten". Es gehe darum, dass die staatlichen Institutionen, in den mehr als drei Jahrzehnten seit 1991 nicht in der Lage gewesen seien, "mehrere grundlegende Probleme" der kolumbianischen Gesellschaft zu lösen. Deshalb müsse die "konstituierende Macht, nämlich das Volk, eingreifen, um sie zu lösen", postete Petro auf X.

In der Praxis habe sich nach 1991 eine "paramilitärische Regierungsform" etabliert, die einen sozialen Rechtsstaat ersetzte und mehr als 100.000 Kolumbianer ermordete. Auf diese "blutige Weise" habe die Konzentration des Reichtums in wenigen Händen deutlich zugenommen, so Petro.

Der Regierungschef stellte acht Punkte für den verfassungsgebenden Prozess zur Diskussion. Dazu gehören die Umsetzung des Friedensabkommens von 2016, also eine Landreform, die Integration der ausgegrenzten Bevölkerungsteile und die Wahrheit als Achse der Gerechtigkeit. 

Existenzielle Lebensgrundlagen wie Trinkwasser, Gesundheit und Rente müssten in der Verfassung verankert werden. Die Politik habe die Urteile des Verfassungsgerichts zu diesen Themen in den letzten 30 Jahren ignoriert. Tatsächlich seien existenzielle Lebensbedingungen zum Gegenstand großer Geschäfte geworden, beklagte Petro.

Elemente der Verfassung von 1991, die später "gegenreformiert" wurden, müssen wiederhergestellt werden, einschließlich der Verpflichtung zu einem öffentlichen Bildungssystem. Der Kampf gegen den Klimawandel und der Übergang zu einer kohlenstofffreien Wirtschaft sollten ebenfalls in der Verfassung verankert werden. Ebenso eine Geldpolitik, die Produktion und Beschäftigung fördert.

Die aktuelle Raumplanung entspreche noch den elitären Vorstellungen der alten Verfassung von 1886 und müsse egalitärer werden, um den armen und vergessenen Regionen bessere Chancen zu geben. Dabei müsse der Zugang zu Wasser ein strukturierendes Element sein, so Petro.

Ein weiterer Diskussionspunkt sei die Abschaffung der Finanzierung von Politiker:innen durch private Quellen. Der Präsident schlägt eine Änderung des Justizsystems vor. Die Justiz solle sich mehr an Wahrheit und Wiedergutmachung gegenüber den Opfern orientieren als an einer "strafenden Rache" an den Täter:innen.

Der Regierungschef forderte die Bevölkerung auf, "sich zu äußern und zu entscheiden". Der erste Schritt im verfassungsgebenden Prozess sei die Bildung von Gemeindekomitees. Die Basisorganisationen müssten mobilisieren, sich zusammenschließen und die Bevölkerung zur Diskussion und auf die Straße bringen.

Petro machte diesen Vorschlag erstmals bei einem Treffen in Cali. In Cali, der Hauptstadt des Departamento Valle del Cauca, hatten die sozialen Proteste 2021 ihren Anfang genommen. Petro und andere Regierungsmitglieder trafen dort mit Organisationen der indigenen sozialen Bewegung aus dem Südwesten des Landes zusammen. Dabei sagte Petro, es sei ein Fehler gewesen, politische Kräfte, die die Wahlen verloren hatten, wie die der politischen Mitte, an der Regierung zu beteiligen. Diese hätten nur versucht, die Politik des Wandels zu verhindern.

Regierungsnahe Stimmen sehen Petros Aufruf als langfristiges Projekt. Es gehe weniger um die unmittelbare Anpassung der Verfassung als um den Prozess der Mobilisierung der Bevölkerung für noch nicht erreichte strukturelle Veränderungen über diese Regierung hinaus.