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Humanitäre Krise in Kolumbien nach Ende der Waffenruhe mit der ELN-Guerilla

Cali. Nach neun Tagen hat die Guerillagruppe ELN den "bewaffneten Streik" im Chocó beendet. Die Maßnahme, die auf die Stilllegung der wirtschaftlichen und anderer Aktivitäten des öffentlichen Lebens abzielte, hat die Region rund um die Flüsse San Juan, Sipí und Cajón in Aufruhr versetzt.

Laut Behörden konnten etwa 40.000 Menschen ihre Dörfer nicht verlassen, es gab drei Tote und die Region erlitt erhebliche Schäden. Offizielle Stellen warfen der ELN die Verursachung einer humanitären Krise vor.

In einer Erklärung am Sonntagmittag teilte die ELN das Ende des Streiks mit und bedankte sich bei der Bevölkerung für die Einhaltung ihrer Anordnungen, wodurch es zu keinen Kollateralschäden gekommen sei. Die Guerillagruppe wies zudem die Verantwortung für die humanitäre Krise zurück und machte den Staat für die historische Vernachlässigung der Region verantwortlich.

Dem "bewaffneten Streik" ging das Auslaufen eines bilateralen Waffenstillstands zwischen der Regierung und der ELN-Guerilla voraus. Die Friedensverhandlungen liegen seither auf Eis. Die Gouverneurin von Chocó, Nubia Carolina Córdoba, kritisierte die ELN-Stellungnahme zur staatlichen Verantwortung scharf. Die ELN müsse im Gegenteil ihren guten Willen beweisen, um die Friedensverhandlungen wieder aufzunehmen. Sie forderte die Regierung auf, die angekündigte humanitäre Intervention zügig voranzutreiben und den wirtschaftlichen Übergang in der Region zu unterstützen, um den Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen zu gewährleisten.

Die Folgen des Streiks sollen vor allem Dienstleistungen und den Handel, die Lebensmittelversorgung, Bildung und die Gesundheit betroffen haben. Die Behörden berichteten vom Tod eines 18 Monate alten Mädchens, das an Unterernährung und fehlender medizinischer Versorgung starb, da es aufgrund der Guerillamaßnahmen nicht auf dem Fluss San Juan transportiert werden konnte. Ähnlich soll der Tod einer schwangeren Frau und ihres Babys auf eine unzureichende medizinische Versorgung zurückzuführen sein.

Der kolumbianische Außenminister Luis Gilberto Murillo, der aus Chocó stammt, verurteilte gleichermaßen die Methoden der ELN und der paramilitärischen Gruppe Clan de Golfo. Vor allem die Schulen litten unter dem bewaffneten Streik. Nahezu 1.000 Kinder und Jugendliche konnten ihre Jahresabschluss-Prüfungen nicht ablegen. Gouverneurin Córdoba beantragte bei den zuständigen Bildungsbehörden eine Verschiebung der Prüfungen in den 16 betroffenen Gemeinden auf den 8. September. Das Bildungsinstitut gab kurz darauf bekannt, den Vorschlag anzunehmen und umzusetzen.

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Afro- und Indigene-Gemeinden sind vor allem von der humanitären Krise im Chocó betroffen
Afro- und Indigene-Gemeinden sind vor allem von der humanitären Krise im Chocó betroffen

Trotz der Beendigung des bewaffneten Streiks gibt es Stimmen, die auf die anhaltende Krise hinweisen. Willinton Sierra vom Red de Derechos Humanos del Pacífico Colombiano (Reddhhpac) äußerte gegenüber der internationalen humanitären Karavane, die derzeit Kolumbien besucht, dass die Krise im Chocó weit älter sei als der jüngste bewaffnete Streik. Die Kinder litten unter Mangelernährung und staatliche Institutionen hätten bislang versagt, angemessene Hilfe zu leisten.

Gleichzeitig schätzte die internationale Karawane, die das von etwa 500 Menschen bewohnte San Francisco de Cugucho besuchte, den bewaffneten Konflikt als das Hauptproblem der Bevölkerung ein. Victor Saburaga, Sprecher der indigenen Embera-Gruppe, berichtete von drastischen Einschränkungen der Kommunikation und drohender Gewalt gegen Anführer der lokalen Gemeinschaft.

Mitglieder der Karawane betonen vor allem die langfristige Vernachlässigung der Region als Ursache der Notlage, dazu käme die Begasung mit Glyphosat im Rahmen der staatlichen Drogenbekämpfungspolitik und das daraus verursachte Aussterben der Fische. Die Gemeinden seien abhängig von der nächsten Kleinstadt und müssen acht Stunden mit kleinen Booten fahren, um etwas zu essen zu bekommen. Der Transport mit Booten ist in dieser Region sehr teuer und erschwert den Verkauf von Bananen, die Haupteinnahmequelle vieler Familien.