Die Exilierten im kolumbianischen Friedensprozess

Gespräche mit Jorge Freytter Florián und Miguel Ángel Beltrán über den Friedensprozess in Kolumbien und die Rolle der Geflüchteten

freytter1_0.jpg

Jorge Freytter Florián
Jorge Freytter Florián

Das Buch "Gegenwart und Zukunft Kolumbiens in Zeiten der Hoffnung", herausgegeben durch den Professor an der Universität des Baskenlandes (UPV) Alexander Ugalde und den kolumbianischen Exilanten Jorge Freytter Florián, ist mehr als eine Ehrung des Professors und Gewerkschafters Jorge Adolfo Freytter, der von Paramilitärs in Zusammenarbeit mit staatlichen Beamten entführt und gefolter wurde.

Der nun erschienene Sammelband entstand auch mit der Absicht, einen Beitrag zu den Dialoggesprächen in Havanna zu leisten. Auf über 300 Seiten greifen die Autorinnen und Autoren verschiedene Fragestellungen zum bewaffneten Konflikt in Kolumbien auf, vom Phänomen des Paramilitarismus, über die Gewalt an den Universitäten bis zum Problem der Übergangsjustiz. Und es thematisiert die Hoffnung, die der aktuelle Friedensprozess auslöst.


Von welchen Annahmen geht dieses Buch Ihrer Meinung nach aus und warum haben Sie genau den Begriff der "Hoffnung" gewählt?

Jorge Freytter Florián: Die Artikel und politisch-akademischen Arbeiten, die wir in dem Buch wiedergeben, sind aufs engste mit all den in Kolumbien bereits beendeten Kämpfen verbunden, aber auch mit jenen, die auf verschiedenen Schauplätzen noch immer im Gang sind: die studentischen, bäuerlichen, gewerkschaftlichen und politischen Proteste, die alle eine Hoffnung bedeuten, auch weil sich mit dem Verhandlungsprozess eine neue politische Konjunktur eröffnet hat.

Was sollte dabei der Beitrag der Opfer sein und jener Personen , die sich gezwungen sahen, aus Kolumbien zu fliehen?

Jorge Freytter Florián: Aus dem Exil rufen wir dazu auf, dass in dieser Debatte die exilierten und geflüchteten Kolumbianer einbezogen werden, die sich in Europa, Kanada, Australien usw. befinden, weil sie auch ein Teil dieses Puzzles sind, dass die Konstruktion der historischen Erinnerung bedeutet. Sie haben auch konkrete Vorschläge zu Themen wie der Rückkehr, Mechanismen der politischen Partizipation, Garantien etc. Wir sind als Opfer bereit, nach Kolumbien zu gehen und an den Gesprächsrunden in Havanna teilzunehmen. Wir wollen nach Kuba reisen und unsere Vorschläge unterbreiten.

Dieses Buch ist an sich ein Beitrag, den wir vom Baskenland aus leisten. In ihm versammeln wir Reflexionen über die multinationalen Konzerne in Kolumbien, die Gewerkschaftsbewegung, das kritische Denken und die politische Gewalt an den öffentlichen Universitäten. In unserer Rolle als Opfer von Staatsverbrechen und als politische Geflüchtete und Exilierte müssen wir einen Platz in diesem Raum haben.

Existieren ausreichende Garantien für eine sichere Rückkehr?

Jorge Freytter Florián: Es geht nicht allein um eine Frage der Rückkehr. Was wirklich diskutiert wird, ist das kolumbianische politische System selbst und die Verteidigung der Menschenrechte in Kolumbien. Das ist der zentrale Punkt. Wir können zwar ein Ausweisdokument haben, das uns zu reisen erlaubt, aber in einem Land, in dem die paramilitärischen Strukturen weiter aktiv sind und wo die Stigmatisierung der sozialen Bewegungen und politischen Flüchtlinge durch einen Verteidigungsminister wie Juan Carlos Pinzón konstant ist, existieren keine Garantien für eine gute Rückkehr.

Es muss eine Kommission gegründet werden, die die Vorschläge der Exilierten und Geflüchteten nach Kolumbien und Havanna bringt und es muss sowohl gegenüber dem Kongress als auch den verschiedenen öffentlichen Behörden Kolumbiens darauf bestanden werden, dass der Schutz wesentlich mehr ist, als Leibwächter zu haben. Es werden politische Garantien benötigt.

Wie erleben Sie aus dem Exil den Friedensprozess?

Jorge Freytter Florián: Als ein hoffnungsvolles Ereignis. Er ist eine Tür, die sich öffnet, um die Debatte zu beleben und die Unsichtbarkeit der politischen Exilierten und Geflüchteten zu bekämpfen. Wir haben das Gefühl, wieder Teil eines neuen Kontextes zu werden.

Was hebt das Buch hervor?

Jorge Freytter Florián: Zwei wichtige Elemente. Ein Aspekt, der aus der Debatte um den fünften Punkt der Agenda von Havanna entstanden ist – also der Bezug auf die Opfer und ihre Entschädigung – und der zweite, dass wir nachdrücklich auf die Besonderheit des kolumbianischen Konflikts hinweisen: die politische Gewalt an den Universitäten und gegen das kritische Denken.

In den öffentlichen Universitäten hat es eine Politik der Stigmatisierung der studentischen und gewerkschaftlichen Bewegungen gegeben, weil diese eine klare politische Opposition gegen das Establishment ausgeübt haben. Der Paramilitarismus hat öffentliche Universitäten wie die von Córdoba, Antioquia, Magdalena oder Atlántico, in Barranquilla, besetzt. In der Nationalen Universität in Bogotá entdeckte man auch Aktivitäten von Agenten des kolumbianischen Geheimdienstes.

Die Universitäten sind ein Spiegelbild von allem, was in der Gesellschaft in Bezug auf den Konflikt passiert und aus diesem Grund wirkt sich alles, was in Kolumbien passiert auf die öffentlichen Universitäten aus und umgekehrt. Der Staat hat schon immer danach gestrebt, potentielle Kader und Anführer auszuschalten, die aus dem universitären Umfeld entstehen könnten. Ebenso wurden die Universitäten für die Geldwäsche durch den Paramilitarismus genutzt, der Rektoren ernannt und direkt Haushalte der Universitäten kontrolliert hat. Dieses Buch gibt darüber hinaus den Opfern ein Gesicht.

Wie bewerten Sie, dass die FARC und die Regierung ihre Verantworkung anerkannt und sich der Wahrheit verpflichtet haben?

Jorge Freytter Florián: Es war ein Schritt, der in einem solchen Prozess getan werden musste. Er darf jedoch nicht darauf beschränkt bleiben, dass der Präsident Juan Manuel Santos öffentlich die Existenz von Opfern des Konflikts anerkennt. Der Staat muss garantieren, dass sich die Morde und die Massaker nicht wiederholen sowie der Stigmatisierung der Opposition und der anderen Bewegungen ein Ende setzen.

Die Versöhnung muss weiter gehen, als beide Seiten einander näher zu bringen und Ideen auszutauschen. Wir als Opfer müssen umfassende Sicherheit haben, dass sich diese gewaltsamen und grauenhaften Taten nicht wiederholen werden und dass der Staat umfassend auf sich nimmt, was die Wahrheit, die Nicht-Wiederholung, die historische Erinnerung und die Forderung nach einer wirklichen Gerechtigkeit bedeutet.


Von den Hörsälen in die Gefängnisse

Der kolumbianische Universitätsprofessor Miguel Ángel Beltrán ist eine der Personen, die das Buch "Gegenwart und Zukunft Kolumbiens in Zeiten der Hoffnung" ermöglicht haben. Sein Leben nahm eine radikale Wendung, als er unter der Anschuldigung inhaftiert wurde, mit den FARC zusammenzuarbeiten, weil sein Name mit einem angeblichen Alias in Verbindung gebracht wurde, der in den beschlagnahmten Computern des Guerilla-Anführers Raúl Reyes auftauchte, der bei einem Bombardement seines Lagers in Ecuador getötet wurde.

Der Oberste Gerichtshof Kolumbiens erklärte die in den Computern von Reyes gefundenen Dokumente für "illegal", die benutzt wurden, um Anführer der kolumbianischen Linken neben Ausländern der Verschwörung mit der Guerilla zu beschuldigen.

"Es war eine schwierige und schmerzvolle Erfahrung, weil den politischen Gefangenen in Kolumbien systematisch ihre Grundrechte, ihr Recht auf Gesundheit, im Gefängnis zu arbeiten und des Kontakts mit der Familie verweigert werden. Aber sie hat mir auch erlaubt von meiner Rolle als Dozent und Soziologe aus eine andere Perspektive auf den Konflikt zu haben und zwei Bücher über die raue Realität der Gefängnisse des kolumbianischen Regimes zu schreiben", erklärt er gegenüber GARA.

"Als generelle Norm sagt man in Kolumbien, dass es einen bewaffneten Konflikt gibt und dass alle Akteure verantwortlich sind und denselben Beteiligungsgrad haben. Im Gefängnis siehst du mit Klarheit, dass das Verhalten und die Ideale der politischen Gefangenen sehr anders sind als die derjenigen, die aus paramilitärischen Gruppen kommen. In Gesprächen mit letzteren ist mir ihre Verbindung mit dem Staat, der Armee, mit regionalen und nationalen Politikern sehr deutlich geworden. Und auch, dass sie in einem gewissen Moment vom Staat für seine eigenen Ziele benutzt wurden, was sie nicht von Verantwortung befreit", unterstreicht er.

Obwohl er freigesprochen wurde, hat ihm der Prokurist1 für 13 Jahre verboten, öffentliche Ämter zu bekleiden. "Was sie nicht auf juristischem Weg erreicht haben, wollen sie nun auf dem disziplinarischen Weg schaffen. Sollte das Urteil bestätigt werden, würde dies das Aus meiner Arbeit als Akademiker und Forscher bedeuten", beklagt er.

"Wenn wir die soziale und politische Exklusion beseitigen, werden wir in Richtung eines Abkommens voranschreiten können. Die Agenda von Havanna ist gerade einmal ein Ausgangspunkt, der die gesamte kolumbianische Gesellschaft einbeziehen und einen Prozess generieren müssen wird, der den Opfern erlaubt, die Wahrheit zu erfahren und wer die Akteure dieser Verbrechen gegen die Menschlichkeit waren. Dann wird der Moment kommen, in dem eine wirkliche Versöhnung geschaffen werden kann", hebt er in Bezug auf den Dialogprozess hervor.


Vom 15. bis 20. Oktober befindet sich Jorge Freytter Florián in Berlin, um sein Buch und seine Sicht auf den Friedensprozess vorzustellen (Termine am 16., 17. und 18.10.).

Alexander Ugalde Zubiri und Jorge Freytter Florián (Hrsg.)(2014): Presente y futuro de Colombia en tiempos de esperanzas. En memoria al profesor Jorge Adolfo Freytter Romero, Bilbao: UPV.

  • 1. Die Stelle des "Prokuristen" (Procuraduría General de Colombia) hat in Kolumbien die Aufgabe, die Ausübung öffentlicher Ämter zu überwachen.