Geier auf der Jagd

Mit umstrittenen Methoden schröpfen die sogenannten Geierfonds weltweit finanziell angeschlagene Länder. Gegen den Widerstand Argentiniens mobilisieren die Chimären des Finanzkapitalismus ihr gesamtes Arsenal.

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Paul Singer auf dem World Economic Forum in Davos, Schweiz, 23. Januar 2013
Paul Singer auf dem World Economic Forum in Davos, Schweiz, 23. Januar 2013

Unerwartet kamen sie nicht. Seit 2003 klopfte eine kleine Gruppe Hedgefonds mit ihren Schuldforderungen an die Türen Argentiniens. Die Regierungen des Landes ignorierten es jahrelang weitestgehend. Im Jahr 2012 traten die Hedgefonds die Tür schließlich ein, ihre Schuldscheine in der einen, einen US-amerikanischen Gerichtsbeschluss in der anderen Hand. Seither stehen sie im Wohnzimmer der argentinischen Tagespolitik: Die Geierfonds.

Sie wollen Milliardenschulden eintreiben. Die Hedgefonds NML Capital und die kleinere Aurelius Capital Management verweigerten sich nach dem argentinischen Staatsbankrott von 2001 mehrmals einem von den Kirchner-Regierungen mit der großen Mehrzahl ihrer Gläubiger ausgehandelten Schuldenkompromiss und bedrohen mit ihren Forderungen nun die ganze Übereinkunft. Auch aus diesem Grund weigert sich Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner die Hedgefonds zu bezahlen und widersetzt sich dabei der New Yorker Gerichtsbarkeit, die den Hedgefonds Recht gab.

Cristina Fernández versteht sich als Verteidigerin der Souveränität ihres Landes, wofür sie international auch von unerwarteter Seite, etwa dem IWF, Beifall erhält. Doch die Hedgefonds sind entschlossen, ihr Geld einzutreiben und ziehen die kriselnde Regierung in einen Wirtschafts- und Propagandakrieg. Aber wer sind die Geierfonds und wie legt sich eine Gruppe Hedgefonds mit einem ganzen Land an?

Die Geier: Paul Singer und Kenneth Dart

Argentinien ist nicht das erste Land, das Bekanntschaft mit den Geierfonds und ihren Methoden macht. Im Jahr 1996 kaufte Paul Singer, ein der Rechten in den USA nahestehender Milliardär, für 11,4 Millionen US-Dollar billig peruanische Staatsanleihen und verklagte das Land vor US-Gerichten erfolgreich auf Bezahlung von 58 Millionen US-Dollar. Kenneth Dart, bekannt als der 'König der Geierfonds', betrieb das gleiche Spiel schon vier Jahre früher gegen Brasilien und holte fast eine Milliarde aus dem Land raus.

Es sind keine gewöhnlichen Finanzmarktakteure. Das Parkett der Geierfonds erstreckt sich von der Wall Street über Gerichtssäle, die Medien bis hinein in die Parlamente von Ländern. Internationale Organisationen und Staaten blicken besorgt auf das Treiben dieser Gattung Spekulanten, da sie in Insolvenz geratenen Staaten die Möglichkeit zur Neuverhandlung ihrer Schulden nehmen. Ob die Türkei, Kasachstan, der Kongo, Griechenland oder Ecuador, kein Staat in Nöten war bisher vor dem Geschäftsmodell der Geierfonds sicher.1

Sogar der Präsident der Vereinigten Staaten lernte die erpresserische Macht eines Multimilliarden-Hedgefonds im Finanzkapitalismus kennen, als Paul Singer Delphi Automotives, den Autoteilezulieferer von GM und Chrysler übernahm und sich nur gegen Milliardenzahlungen davon abhalten ließ den Betrieb zu schließen und die beiden ohnehin schon insolventen Autobauer in die Liquidation zu treiben.2 Obama gab nach.

Argentinien im Schatten der Geierfonds

Im Jahr 2001 war das in die Krise gestürzte Argentinien der 'Kadaver' bei dem die Geierfonds ihre Chance witterten. Für 15 bis 20 Prozent des Ausgabepreises erwarben die Hedgefonds damals durch den drohenden Staatsbankrott massiv entwertete Bonds, im Falle von Paul Singers NML Capital sogar Staatsanleihen im Wert von 630 Millionen US-Dollar für den Preis von 48 Millionen US-Dollar, mit der einzigen Absicht, Argentinien, wie alle anderen Länder vor ihm, vor Gericht zu zerren und auf die volle Summe des Nennwerts der Staatsanleihen in New York zu verklagen. Die dortige Gerichtsbarkeit, unter deren Zuständigkeit Argentinien seine Anleihen für den Vorteil niedrigerer Zinsen schon in Zeiten der Diktatur stellte, nickte Singers Forderungen seit seinem ersten Schritt auf dem Rechtsweg 2003 fleißig ab. Der 84-jährige Richter Thomas Griesa sprach den Geierfonds 1,3  Milliarden US-Dollar plus Zinsen zu, davon 832 Millionen US-Dollar allein für Singer und bescherte diesem einen legendären Profit von 1608 Prozent in nur sechs Jahren. Die Wall Street applaudierte.

Die Wahl: Pest oder Cholera

Der Profit ist aber nach wie vor ein theoretischer, das Geld verbleibt in den Tresoren der argentinischen Regierung. Die macht zwar Angebote, aber zu diesen Konditionen will sie nicht zahlen. Die Gründe sind bekannt: 2005 und 2010 gelang es den Kirchners – Nestor und Cristina Fernández – in Umschuldungsverhandlungen knapp 93 Prozent der Gläubiger zu überzeugen, auf 65 Prozent ihrer Forderungen zu verzichten. Nur sieben Prozent der Gläubiger verweigerten sich der Umschuldung, deswegen auch 'holdouts' genannt, und nur ein Bruchteil dieser zog vor Gericht. Sollte Argentinien die Geierfonds ausbezahlen, hätten alle Gläubiger, die der Umschuldung zugestimmt haben unter Verweis auf die RUFO-Klausel (Rights Upon Future Offers) das Recht, ebenfalls die volle Summe einzufordern. Forderungen über 100  Milliarden US-Dollar würden dann fällig und Argentinien wäre wieder bankrott.

Andererseits drohte Richter Griesa im Frühjahr dieses Jahres die über eine New Yorker Bank laufenden Tilgungen an die kompromissbereiten Gläubiger zu sperren, sollten nicht zuvor Singer und Konsorten ihr Geld bekommen. Eine Klausel der Anleihenverträge, die allen Gläubigern gleiche Rechte zusichert, machte dies möglich. Das Urteil: Geld entweder an alle oder an niemanden. Die Ratingagentur S&P taufte einen solchen Fall rasch 'technische Zahlungsunfähigkeit' und Argentinien traf seine Wahl und blieb hart. "Es gibt keine technische Zahlungsunfähigkeit!", polterte Kabinettschef Jorge Capitanich noch bevor Richter Griesa sie Anfang August kurzerhand erfand. Die Konten waren dicht. Empört will Argentinien seinen finanziellen Verpflichtungen von nun an statt in New York in Buenos Aires nachkommen. Mitte September wurde ein entsprechendes Gesetz verabschiedet. Richter Griesa tobt zwar und erklärte Argentinien handle in Missachtung des Gerichts, doch damit sind die Möglichkeiten der US-amerikanischen Justiz vorerst erschöpft. Griesa ruderte sogar zurück und erlaubte bald schon wieder die Zahlung der Raten für Oktober, November und Dezember über den Finanzplatz New York. Auch die holdouts haben damit zwar ihr wichtigstes Druckmittel erfolglos gespielt, jedoch sind weder der Kampf noch deren Möglichkeiten ihn zu führen an ein Ende gelangt: Seit Jahren greifen die Hedgefonds nach Eigentum des argentinischen Staates in jeder Ecke des Planeten.

NML Capital gegen Fernández de Kirchner

NML investierte Millionen, um unter anderem die Fregatte LIBERTAD, das Flugzeug der Präsidentin TANGO 1, Bankkonten, wissenschaftliche Patente, chinesische Kredite an das Land und einen Satelliten zu krallen. Bislang erfolglos aber unverzagt. Zurzeit unternimmt Paul Singer einen zweiten Anlauf auf die Reserven der argentinischen Nationalbank in den USA. Und seit kurzem leiert NML Verfahren gegen argentinische Firmen und dem Kirchnerismus nahestehende Unternehmer wie Lázaro Báez und Cristobal Lopéz in den USA an. Derzeit versuchen von NML Capital bezahlte Ermittlerteams Vermögensbestände des argentinischen Staates und Geld von Präsidentin Cristina Fernández oder ihrer Familie in Steueroasen festzustellen, das auf Wegen der Korruption ins Ausland gefunden haben könnte. Schon der durch solches Wissen im Besitz der Geierfonds erpressbar gewordene kongolesische Präsident Sassou Nguesso konnte auf diese Weise von Singer in die Knie gezwungen werden.

Praktische Propaganda

Die Geierfonds setzen die argentinische Regierung gar so öffentlichkeitswirksam unter Druck, dass es Cristina Fernández und ihrem Wirtschaftsminister Axel Kicillof wohl opportun erschien, die Geierfonds endlich die Rolle des Sündenbocks spielen zu lassen für die sie sich selbst so vehement offerieren. Am 17. September enttarnte der argentinische Wirtschaftsminister in den Medien einen angeblichen 5-Punkte Plan der NML Capital, mit dessen Hilfe die Geier Argentinien zur Zahlung zwingen wollten.3 Der Plan4 skizziert einen Wirtschafts- und Propagandakrieg der von Spekulationsattacken gegen die argentinische Währung und Wirtschaft bis zu Diffamationskampagnen gegen die Präsidentin und ihr Kabinett reicht. Der Plan unterstellt die Schuld der Geierfonds sowohl an der Stagflation der argentinischen Wirtschaft als auch an Präsidentin Fernańdez' Umfragetiefwerten. Wohl selbst als argentinische Propaganda zu einzuordnen, lässt sich den Geierfonds weder die Urheberschaft dieses Plans noch viele der darin genannten Machenschaften nachweisen.

Präsidentin Fernańdez weiß sich den Konflikt mit den Hedgefonds in bestimmten Belangen zu Nutze zu machen, obwohl ihre Regierung auf die definitiv stattfindende Propaganda der holdouts von Zeit zu Zeit gefährlich dünnhäutig reagiert.

Die Malvinisierung des Konflikts

Wie auch Wolfgang Schäuble erfahren musste. "Ein Muster an Unsolidität" zitieren die Geierfonds den ahnungslosen deutschen Finanzminister in einer Anzeige in vielen internationalen Tageszeitungen über einem Bild der argentinischen Präsidentin. Umgehend warf Kabinettschef Jorge Capitanich Deutschland gekränkt eine seit jeher "feindliche Haltung" gegenüber Argentinien vor5.

Diplomatische Spannungen nimmt die argentinische Regierung in ihrer nationalistischen Agenda gerne in Kauf. Zur Freude der Geier, die das Land mit ihrer Kampagne international isolieren wollen. "Patria o buitres! – Vaterland oder Geier", lautet Fernández' Slogan. Indem sie gegen die USA als Imperium wettert, das den 'Bald Eagle' mit dem Aasgeier getauscht habe, gelang es der unpopulären Präsidentin in den Beliebtheitsumfragen etwas von dem über Jahre verlorenen Boden wieder gut zu machen. Die 'Malvinisierung' des Konflikts mit den Geierfonds, abgeleitet von dem zum 'vaterländischen' Kampf hochstilisierte Konflikt mit Großbritannien um die Falklandinseln, lenkt ein bisschen von den hausgemachten Problemen, etwa der galoppierenden Inflation ab. Doch für wie lange?

American Task Force Argentina

Die Krise in Argentinien verschärft sich, das 'Modell Kirchner' fliegt ihrer Mitschöpferin um die Ohren. Viele sind der Meinung, Argentinien bräuchte wieder Zugang zu den internationalen Finanzmärkten von denen es seit 2001 abgeschnitten ist. Diese wirtschaftliche Isolierung nutzen die Hedgefonds aus und versuchen sie zu vertiefen, indem sie Argentiniens ökonomische Bande ins Ausland angreifen. Dessen befleißigt sich vor allem die von Singers NML Capital mitfanzierte Lobbygruppe 'American Task Force Argentina', der unter anderem Angehörige der Obama-Administration vorstehen. Auf ihrer Webseite stellst sie sich als "Allianz von Organisationen, vereint zu einer fairen und gerechten Abwicklung der Zahlungsunfähigkeit der argentinischen Regierung von 2001 und anschließenden Umschuldungen" vor.

Die Gruppe gibt sich als Interessenvertretung von Kleinanlegern, die mit der argentinischen Staatspleite von 2001 ihre Rente, Notgroschen oder das Geld für die Ausbildung ihrer Kinder verloren haben. Als Mitglieder weist die ATFA jedoch verschiedene Organisationen von Hedgefonds, über neokonservativen think tanks, bis zu mit argentinischen Produzenten konkurrierenden kommerziellen Agrarverbänden aus. Die Organisation sponsert öffentlich Kampagnen im US-Kongress für das Verbot argentinischer Fleischexporte oder polemisierten gegen Präsidentin Fernández, die einen "Pakt mit dem Teufel" eingegangen sei bei ihrem Abkommen mit der iranischen Regierung zur Aufklärung eines Attentats auf eine israelische Einrichtung vor 20 Jahren in Buenos Aires. Auf einer von ATFA betriebenen Webseite6 wird täglich die Politik der argentinischen Regierung, jenseits der Schuldenproblematik zerrissen.

Ein Regierungswechsel ist das Ziel

Aber weder konstanter ökonomischer Druck noch fortwährende Diskreditierung der argentinischen Regierung alleine werden den Geierfonds ihr Geld einbringen, solange ein Einlenken Argentiniens durch die RUFO-Klausel immer in neuerlichem Staatsbankrott enden wird. Die Klausel wird mit Beginn des nächsten Jahres zwar verfallen und Argentinien den Rücken frei machen für Verhandlungen. Aber ob Präsidentin Fernández dann noch, in den letzten Monaten ihrer Amtszeit, nach all den großen Worten vom Kampf ums Vaterland sich der Demütigung großer Zugeständnisse aussetzen wird ist fraglich. Außer natürlich es gelänge Singers Ermittlern der Präsidentin, die schließlich als Millionärin aus dem Amt scheiden wird, Unterschlagung von Staatsgeld nachzuweisen. Ausgeschlossen ist das sicher nicht. Beobachtern7 zufolge jedoch bleibt den Geierfonds voraussichtlich nichts anderes übrig als die Wahl im Oktober 2015 abzuwarten, zu der die Präsidentin nicht mehr antreten darf. Vielleicht wird Cristina Fernández eines Tages für Standhaftigkeit gelobt.

Doch bei den nächsten Wahlen haben "marktfreundlichere" Politiker der Rechten, die Argentiniens Zugang zu den internationalen Finanzmärkten wiederherstellen wollen und deshalb den Geierfonds wohlgesonnen sind, die besten Aussichten. Darunter auch der Unternehmer Mauricio Macri, der ohne weitere Verhandlungen den Geierfonds 100 Prozent bezahlen will.8 Der Widerwille, einen Wirtschaftskrieg als Erbe ihrer Amtsvorgängerin zu führen, wird wohl die Verhandlungsbereitschaft ihrer Nachfolger stärken. Auch für diesen Effekt werden die Geierfonds ihren Griff um Argentinien nicht lockern. Ihre beste Waffe ist aber wohl die Zeit, die Paul Singer seinem größten Triumph näher bringt. Es wäre ein weiterer Sieg des Finanzkapitalismus und seiner absonderlichsten Geschöpfe.