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Deutschland sollte Mexikos Präsidenten zur Rechenschaft ziehen

Notwendige Hinweise zum morgen beginnenden Staatsbesuch von Enrique Peña Nieto in Deutschland

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Mexikos Präsident Peña Nieto während der Zeremonie zum 90. Jahrestag der Bank von Mexiko (14. Oktober 2015)
Mexikos Präsident Peña Nieto während der Zeremonie zum 90. Jahrestag der Bank von Mexiko (14. Oktober 2015)

Enrique Peña Nieto, Mexikos Präsident, ist nicht derjenige, als der er sich präsentiert. Er ist kein demokratischer Politiker, der eine sich abkämpfende Nation repräsentiert, sondern ein autoritärer Führer, der bei seinem Volk zunehmend auf Ablehnung stößt. Anstatt Peña Nieto an diesem Montag, 11. April, mit offenen Armen in Berlin zu empfangen, sollte er gemieden und über seine zunehmend autoritäre, korrupte und repressive Regierung zur Rede gestellt werden.

Als die Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI), die alte Garde um Peña Nieto, 2012 zurück an die Macht kam, waren viele Kommentatoren schnell dabei, die Möglichkeit von Autoritarismus auszublenden. Die Institutionen des Landes waren angeblich stark genug, seine Wirtschaft offen genug und die regierende Partei ausreichend umgestaltet, um eine Rückkehr auf die Pfade der Vergangenheit zu verhindern. In der Tat präsentierten eine Reihe von lobhudelnden Berichten Peña Nieto sogar als nichts weniger als die Rettung für ganz Lateinamerika.

Anstatt jedoch die Geister der Vergangenheit auszutreiben, ließ der mexikanische Präsident sie faktisch ans Steuer, wie es in den vergangenen drei Jahren deutlich wurde.

Von Beginn seiner Präsidentschaft an sind Peña Nieto und viele seiner engsten Parteifreunde in einer Serie von Korruptionsskandalen auf höchster Ebene versumpft. Unabhängige Journalisten haben jüngst aufgedeckt, dass ein Unternehmen unter Geschäftsführung eines hochrangigen Mitglieds eines der führenden Drogenkartelle in Mexiko Millionen Dollar für Peña Nietos Präsidentschaftskampagne von 2012 zahlte. Und der Mann, der für die Aufstellung von Peña Nieto als Präsidentschaftskandidat der PRI 2012 verantwortlich war, Humberto Moreira, wurde kürzlich in Spanien verhaftet und der Geldwäsche beschuldigt.

Durch die Informationen im Zuge der “Panama Leaks”, welche die Süddeutsche Zeitung unlängst herausgab, wurde aufgedeckt, dass Peña Nietos bevorzugter Auftragnehmer, Juan Armando Hinojosa, im vergangenen Jahr als Reaktion auf eine Reihe von Berichten, die seinen Beziehungen zu Peña Nieto nachgingen, mindestens 100 Millionen US-Dollar auf neun verschiedenen ausländischen Bankkonten zur Seite schaffte. Zuvor kam durch die "Swiss Leaks" ans Licht, dass eines der führenden Mitglieder von Peña Nietos politischer Gruppe, Carlos Hank Rhon, 157 Millionen Dollar auf HSBC-Konten in der Schweiz versteckte. Die New York Times hat ebenso unfassbare Multi-Millionen-Dollar-Anteile an Immobilien in New York und anderen US-Großstädten durch Politiker aus dem Umkreis Peña Nietos aufgedeckt.

Aber das ist nicht alles. Seit Peña Nieto an die Macht kam, wurden das Recht auf freie Meinungsäußerung, die Pressefreiheit sowie Protest- und Versammlungsfreiheit systematisch angegriffen. Studentische Aktivisten, Indigene, Frauen, oppositionelle Politiker und unabhängige Journalisten wurden ins Visier genommen.

Heute ist Mexiko eines der gefährlichsten Länder der Welt für die Presse, mit häufigen Morden an und Bedrohungen von Journalisten. Mehr als ein Dutzend Journalisten wurden in ganz Mexiko während ihres Dienstes ermordet, seit Peña Nieto sein Amt übernahm. Der Gruppe für die Pressefreiheit "Article 19" zufolge sind in der übergroßen Mehrheit der Fälle von Übergriffen gegen die Presse Regierungsbeamte direkt verwickelt.

Über die direkte Gewalt gegen Journalisten hinaus hat Medienzensur durch den Staat zugenommen. Eine lange Liste von unabhängigen Journalisten ist aus Radio und Fernsehen aufgrund ihrer regierungskritischen Sichtweisen verbannt worden und Mexikos führende Radionachrichtenmoderatorin, Carmen Aristegui, wurde kürzlich willkürlich gefeuert, anscheinend auf direkte Order aus dem Büro des Präsidenten.

Währenddessen ist die Versammlungsfreiheit Ziel systematischer Angriffe, die Zahl der politischen Gefangenen und willkürlicher Verhaftungen von Aktivisten ging in den vergangenen Jahren durch die Decke. Oppositionelle Politiker sind ebenfalls unter Beschuss geraten. Seit Peña Nieto sein Amt antrat, wurden über 40 Bürgermeister oder Bürgermeisterkandidaten ermordet. Bei den bundesweiten Zwischenwahlen 2015 wurden über ein Dutzend Kandidaten während ihrer Wahlkampagne ermordet. Am 1. April dieses Jahres wurde einer der Anführer der neuen Morena-Partei im Bundesstaat Oaxaca, Enrique Quiroz, kaltblütig erschossen. Am selben Tag begann der heiß umkämpfte Gouverneurswahlkampf.

Massaker, die direkt von Sicherheitskräften begangen wurden, sind ebenfalls an der Tagesordnung. Am 6. Januar 2015 mähten mexikanische Sicherheitskräfte im Bundesstaat Michoacán wahllos mehr als ein Dutzend Demonstranten und kommunale Polizisten nieder, die an einer Demonstration für Frieden und Sicherheit in ihrer Stadt teilnahmen. Das war kein Einzelfall. Ähnliche Massaker und exzessiver Gewaltgebrauch ereigneten sich am 30. Juni 2014 in Tlatlaya im Bundesstaat Mexiko; am 26. September 2014 in Iguala, Guerrero; am 22. Mai 2015 an der Grenze zwischen Michoacán und Jalisco; und am 19. Juli 2015 in Ostula, Michoacán.

In jedem einzelnen dieser Fälle wurden die Ermittlungen über staatliches Fehlverhalten auf Bundesebene verschleppt, fokussierten auf die unterste Ebene der offiziell Verantwortlichen und verkauften sogar krasse Lügen. Zum Beispiel fanden Nichtregierungsorganisationen heraus, dass das Massaker von Tlatlaya offenbar als Antwort auf eine offizielle Militärdirektive erfolgte, welche an die Soldaten appellierte, verdächtige Kriminelle "in den späten Nachtstunden zu erledigen". Und zwei aktuelle Studien über das Verschwindenlassen von Iguala, eine von der Interamerikanischen Menschenrechtskommission und eine von einer Gruppe argentinischer Gerichtsgutachter, haben die Version der Regierung über das, was den 43 studentischen Aktivisten des Ayotzinapa-Lehrerkollegs an diesem Tag passierte, komplett unglaubwürdig erscheinen lassen.

Extreme Gewalt ist für Mexiko nicht neu. Seit der ehemalige Präsident Felipe Calderon im Jahr 2006 seinen militarisierten Drogenkrieg startete, wurden zehntausende Zivilisten getötet. Mehr als 20.000 Menschen wurden während der vergangenen Dekade auch als "verschwunden" verzeichnet. Aber seit ein paar Jahren ist die Lage noch einmal schlimmer geworden. Heutzutage fügt die Gewalt nicht nur unschuldigen Unbeteiligten Schäden zu, sondern richtet sich zunehmend gegen Einzelne, die ein Zeichen gegen Machtmissbrauch setzen.

Die deutsche Regierung wäre gut beraten, hinter die Kulissen der Netzwerke von Konzerneliten und etablierten Politiker zu blicken, die heutzutage die Agenda der Beziehung zwischen Europa und Lateinamerika bestimmen. Die deutschen Führungspersonen sollten besser der mächtigen und dynamischen Zivilgesellschaft Mexikos die Hand reichen und ihr zuhören, die zunehmend die Geduld mit der simulierten Demokratie des Landes und seinen mangelhaften staatlichen Institutionen verliert.

John M. Ackerman ist Professor am Institut für Juristische Forschung der Autonomen Universität Mexikos (UNAM), Herausgeber der Mexican Law Review und Kolumnist bei den mexikanischen Zeitungen La Jornada und Proceso

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