Seit 2001 ist Grain1auf der Spur der sogenannten Freihandelsabkommen (Free trade agreement, FTA), die weitgehend geheim und abseits der Welthandelsorganisation (World Trade Organisation, WTO) ausgehandelt und dazu benutzt werden, bestehende internationale Restriktionen bei der Patentierung von Lebensformen aufzuweichen. Im Folgenden berichten wir Aktuelles zu den FTA, die den unternehmerischen Diebstahl legalisieren und bäuerliches Recht auf Produktion, Lagerung und Handel mit dem eigenen Saatgut weltweit bedrohen.
Das 1994 im WTO-Rahmen unterzeichnete TRIPS (Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights, Aspekte des Handels mit Geistigem Eigentum) war das erste Abkommen zur Standardisierung und Durchsetzung von Eigentumsrechten an Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen. Vertreter der US-amerikanischen Saatgut- und Biotechindustrie hatten dieses Anliegen in die Verhandlungen eingebracht. Ihre Absichten? Solchen Firmen wie Monsanto, Dow und Pioneer, die viel Geld in die Züchtung neuen Saatguts gesteckt hatten, zu Profiten zu verhelfen, und zwar dadurch, dass die Bauern an der Nutzung des eigenen Saatguts gehindert werden - die Bauern also gezwungen waren, ihr Saatgut Jahr für Jahr bei den Agrarfirmen zu kaufen.
Die Patentierung von Leben ist seit Jahrzehnten stark umstritten. Den Bauern wird dadurch Samen und Viehbestand verteuert und die Möglichkeit genommen, diese nach eigenen Vorstellungen zu reproduzieren. Viehhaltung und Fruchtanbau werden auf das reduziert, was für die Agrarfirmen kontrollierbar ist. Die WTO-Richtlinien erlaubten es noch, Pflanzen und Tiere (außer Mikroorganismen) aus den Patentgesetzen herauszulassen, verlangt war Schutz geistigen Eigentums bei der Pflanzenvielfalt (dem Saatgut) ohne Einzelheiten zu spezifizieren. Bei TRIPS bekamen die US-Firmen nach Einschätzung von Industrievertretern, die bei den Verhandlungen dabei waren, 95 Prozent von dem, was sie gewollt hatten2.
Legalisierter Diebstahl
Die abseits der WTO ausgehandelten FTA gehen deutlich darüber hinaus und geben US- und europäischen Firmen das, was sie bei TRIPS nicht bekommen hatten. Derartige Abkommen verlangen typischerweise 1. Agrarfirmen Patente auf Pflanzen und Tiere zu ermöglichen, 2. die Regeln der UPOV (International Union for the Protection of New Plant Varieties, Internationaler Verband zum Schutz neuer Pflanzenarten) anzuwenden, die patentähnliche Rechte für Pflanzenzüchter vorsehen und 3. dem Budapester Abkommen beizutreten, bei dem es um die Anerkennung von Patenten geht, in denen Mikroorganismen eine Rolle spielen. All diese Maßnahmen geben dem Agrobusiness monopolartige Macht auf Kosten der kleinen einheimischen Landwirtschaft. Patentgesetze und UPOV verbieten es Landwirten regelmäßig, Samen sogenannter geschützter Pflanzen zu lagern, zu tauschen und zu modifizieren. Was eine große Ungerechtigkeit ist, denn Bauern und Einheimische sind der eigentliche Ursprung dieser Samen. Die Agrofirmen nehmen sich Samen vom bäuerlichen Land, tüfteln daran herum und beanspruchen dann Eigentumsrechte an den "neuen" Pflanzen.
Die von den Agrarkonzernen als "modern" beworbenen Züchtungen reduzieren die Vielfalt auf dem bäuerlichen Acker. Die genetische Verflachung macht die weltweite Lebensmittelversorgung extrem anfällig, besonders vor dem Hintergrund der immer schlimmer werdenden Klimakrise. Australien, Europa, Japan und die USA sind die Hauptakteure dieser bilateralen und regionalen Handelsabkommen, USA und Europa sind dabei mit Abstand die Aggressivsten. Was nicht überrascht, denn dort befinden sich die weltweit größten Saatgutfirmen, US-Firmen allein kontrollieren über 50 Prozent des weltweiten Saatguthandels 3. Washington ist ganz vorn als Hardliner dabei : Patente wann und wo immer man sie bekommen kann, UPOV als Back-Up-Option. Die Europäische Union (EU), Australien und Japan üben Druck auf Länder aus, UPOV beizutreten. Im Ergebnis wächst die Liste (siehe Anhang 1) der Länder, die sich zu UPOV genötigt sehen oder in Abkommen abseits der WTO Patente auf Lebensformen erlauben.
Was gibt es Neues?
Eine Serie von bilateralen und regionalen Handels- und Investitionsabkommen wurde im vergangenen Jahr unterzeichnet, über weitere wird gegenwärtig verhandelt.
Das CETA-Abkommen (Comprehensive Economic Trade Agreement, umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen) zwischen EU und Kanada wurde im September 2015 unterzeichnet und steht beim kanadischen und den europäischen Parlamenten zur Ratifizierung an. Die endgültige CETA-Fassung verändert letztlich nichts an den Rechten der kanadischen und europäischen Saatgutfirmen, aber es gibt ihnen machtvolle Handhaben, ihre Rechte durchzusetzen. Vorgesehen sind Verfügungen und Beschlagnahmeaktionen gegen Landwirte bei bloßem Verdacht auf Verstöße, etwa Aufbewahren von Saatgut. Aus Sorge über die zunehmenden Einschränkung des Rechts auf die eigene Saat machen Gruppen beiderseits des Atlantik wie Kanadas „National Farmers Union (Nationale Bauerngewerkschaft) und die europäischen Teile von „La Vía Campesina“ (Der bäuerliche Weg) verstärkt Druck gegen die Ratifizierung von CETA 4.
Im Lauf des vergangenen Jahres hat die EU mit den meisten afrikanischen Ländern “Interim”-Freihandelsabkommen verhandelt oder schon abgeschlossen. Bislang wurde bei diesen EPA (Economic Partnership Agreement) noch nicht erreicht, was die europäischen Saatgutfirmen wollen, das heißt verpflichtende Einhaltung von "UPOV 1991". Aber mittels einer “Rendezvous”-Klausel verpflichten sich alle Unterzeichnerstaaten zu einem Treffen in naher Zukunft, um Standards zum geistigem Eigentum festzuklopfen, Privatisierung von Saatgut eingeschlossen.
Die US-Regierung übt währenddessen permanenten Druck auf ihre Handelspartner aus, ihren Zusagen bezüglich geistigem Eigentum gerecht zu werden. Im letzten "Special 301 Report" - ein jährlicher Bericht des Amts des Handelsbeauftragtend der USA (USTR ) entsprechend Abschnitt 301 des US-Handelsgesetzes von 1974, kritisiert die USTR Chile und Kolumbien wegen Nichtanwendung von UPOV 1991, wie sie es in bilateralen Handelsverträgen 2003 und 2006 mit Washington vereinbart hätten 5.
Was das TTIP-Abkommen (Transatlantic Trade and Investment Partnership) zwischen USA und EU betrifft, so hat die Öffentlichkeit keinen Zugang zu den Textentwürfen, und bislang gibt es keine Leaks zu den Abschnitten zum geistigen Eigentum, die von der Zivilgesellschaft geprüft werden könnten.
TPP und RCEP sind die beiden größten Bedrohungen
Die kleinbäuerliche Verfügung über das eigene Saatgut wird derzeit am stärksten von TPP (Trans-Pacific Partnership, Transpazifische Partnerschaft) und RCEP (Regional Comprehensive Economic Partnership, Umfassende regionale wirtschaftliche Partnerschaft) bedroht.
TPP wurde im Februar 2016 von zwölf Ländern unterzeichnet: Australien, Brunei, Kanada, Chile, Japan, Malaysia, Mexiko, Neuseeland, Peru, Singapur, USA und Vietnam. Gemäß TPP müssen alle Unterzeichnerstaaten UPOV 1991 beitreten. Das bedeutet, dass Brunei, Chile, Malaysia, Mexiko und Neuseeland ihre Gesetze ändern müssen6. Diese Änderungen beschneiden die bäuerlichen Möglichkeiten, die Saaten "geschützter Pflanzen" zu sammeln und aufzubewahren. Sie erweitern die Kontrolle der Züchter und Agrarfirmen über Pflanzen und solche ähnlicher Art bis hin zur Ernte. Und selbst im Falle, dass TPP-Mitglieder ihren Bauern das Recht auf die eigene Saat zubilligen, werden die Bauern ab jetzt für dieses "Privileg" Jahr für Jahr bezahlen müssen.
TPP verlangt von seinen Mitgliedern, Patente auf "von Pflanzen abgeleitete" Erfindungen zu erlauben. Was das bedeutet ist nicht ganz klar, und diese Ungenauigkeit scheint beabsichtigt7. Zumindest bedeutet es, dass pflanzliche Gene und Zellkulturen sowie abgeleitete Produkte einschließlich Pflanzen in allen TPP-Ländern patentierbar sein werden. Die US-Biotech- und Saatgutindustrie sieht darin den Türöffner für die allgemeine Patentfähigkeit von Pflanzen8. Es ist kein Wunder, dass TPP aus der Sicht des Amts des Handelsbeauftragten der USA die "mächtigste Handhabe" zur Durchsetzung des Rechts auf geistiges Eigentum ist, und das nicht nur in Asien, sondern weltweit9.
In Malaysia bedrängen Konsumentengruppen in Penang und Mitglieder der Nationalen Gesellschaft für Menschenrechte die Regierung, derartige Regelungen nicht passieren zu lassen10. Diese Gruppen wehren sich dagegen, das eigene Gesetz zum Schutz der Pflanzenvielfalt anzutasten, durch das bäuerliches Recht auf die eigene Saat geschützt wird.
In Chile sorgen sich soziale Bewegungen um die durch TPP zunehmende Saatgut-Privatisierung und sie kämpfen gegen die Ratifizierung des Abkommens. Studenten, Bauern und Konsumenten hinderten in den vergangenen Jahren den Senat des Landes erfolgreich daran, dieses “Monsanto-Gesetz” zu verabschieden, welches Chile zwingen würde, UPOV 1991 beizutreten - Pflicht bei TPP. Landesweit geführte Kampagnen bemühen sich derzeit, die Parlamentarier von der Ratifizierung von TPP abzuhalten11.
Thailändische und philippinische Bauern äußern sich ebenfalls besorgt, transnationalen Agro-Chemie-Konzernen wie Monsanto größere Kontrolle über lokales Saatgut zu geben. Die Regierungen beider Länder haben starkes Interesse geäußert, TPP und damit UPOV beizutreten. Beide (wie auch Malaysia) haben eigene Gesetze zum Schutz der Pflanzenvielfalt, die den Bauern mehr Rechte als UPOV 1991 auf Tausch und Verkauf des eigenen Saatguts geben. Thailändische Bauern, Wissenschaftler, frühere Regierungsangehörige und Menschenrechtsanwälte verurteilen die Folgen von TPP für das Saatgut und dessen Preisgestaltung. Laut "Biothai" und Nationalem Bauernrat würden die Saatgutpreise im Falle des UPOV-Beitritts um 100 bis 600 Prozent hochgehen12. Die philippinische Bauernbewegung KMP qualifiziert die von TPP zu erwartenden Änderungen (nicht nur für Saatgut, sondern auch für Land und andere Ressourcen) völlig zu recht als "das Ende einer Welt, wie wir sie kennen"13.
Außer Thailand und den Philippinen bemühen sich auch die Regierungen von Südkorea, Taiwan, Kolumbien und Indonesien um einen TPP-Beitritt. Weitere Länder, von Sri Lanka bis Argentinien, sollen ebenfalls erwägen beizutreten. Für viele Lateinamerikaner ist die neue neoliberale "Pazifik-Allianz" ein Sprungbrett zur Integration in TPP14. In der Tat, im Falle seiner Ratifizierung ginge TPP einher mit erheblicher Stärkung der Konzern-Kontrolle über Saatgut und Lebensmittelversorgung.
Neben dem Kampf gegen TPP rückt eine weitere Auseinandersetzung in den Blick: RCEP, der regionale Mega-Verbund zwischen Asean (dem Verband Südostasiatischer Nationen) und dessen Handelspartnern Indien, China, Korea, Japan, Australien und Neuseeland. Gemessen an der Zahl der betroffenen Menschen ist RCEP größer als TPP. Und weil TPP-Unterzeichner zu RCEP dazugehören, ist in vielen Bereichen mit einer Angleichung zwischen ihnen zu rechnen, beispielsweise bei der Saatgut-Patentierung15. Trotz Geheimhaltung wurde aus Leaks deutlich, dass Südkorea und Japan für RCEP auf Beitritt zu UPOV 1991 drängen16. Asiatische Bauern und soziale Bewegungen kämpfen also an zwei Fronten: gegen TPP und gegen RCEP.
Wie ist der aktuelle Stand?
Diesem Bericht sind zwei Tabellen beigefügt:
Anhang 1 führt auf, wozu die Handelsverträge die einzelnen Länder hinsichtlich "Patentierung von Lebensformen" verpflichten. Der Druck, der Biotech-Industrie zusätzliche Macht über das Saatgut zu geben, kommt eindeutig von wenigen Regierungen (US, Europa, Japan) und für sehr wenige Nutznießer (die immer stärker konzentrierten Großunternehmen dieser Länder).
Anhang 2 enthält eine Checkliste zum aktuellen Stand der Zugehörigkeit der Länder zu Saatgut-Verträgen17. Zwar haben die Konzerne einiges für sich erreicht, aber es ist noch nicht zu spät, verschiedene der Mega-Deals zu stoppen - CETA, TPP, RCEP und die EPAs - bevor großer Schaden eingetreten ist.
Den vollständigen Grain-Bericht finden sie hier
- 1. Grain ist eine internationale Nichtregierungsorganisation, die für ökologische Landwirtschaft eintritt
- 2. In: Susan K. Sell, Private power, public law: the globalization of intellectual property rights, Cambridge University Press, 2003, S. 55
- 3. ETC Group, “Breaking bad”, Dezember 2015,
- 4. Siehe: NFU, “Six points about CETA”, und Gallen Simmons, “NFU hosts European farmers in Brodhagen”, Mitchell Advocate, 1. März 2016,
- 5. USTR, “Special 301 Report”, Washington DC, 27.April 2016,
- 6. Chile, Mexiko und Neuseeland sind Mitglieder einer früheren Fassung von UPOV (1978), das nicht so stark gegen die Bauern gerichtet ist. Malaysia gehört nicht zu UPOV. In Brunei gibt es nicht einmal ein Gesetz zum Schutz der Pflanzenvielfalt
- 7. Siehe: Alex Press, “The Trans-Pacific Partnership will hurt farmers and make seed companies richer”, The Nation, 10. Juni 2016,
- 8. Siehe: “Report of the Industry Trade Advisory Committee on Intellectual Property Rights (ITAC-15)”, Washington DC, 3. Dezember 2015, , S. 10
- 9. Michael Froman, US Trade Representative, speaking at the Council on Foreign Relations, 20. Juni 2016,
- 10. Siehe: Mohammed Idriss, “Save our seeds from corporate control”, Malaysiakini, 15. Oktober 2015, und Karina Yong, “The TPPA: trading human rights?”, Malay Mail, 20. Dezember 2015,
- 11. Siehe: “Chile: Miles en las calles rechazan TPP y Ley Monsanto”, Servindi, 26. Januar 2016, und Lucía Sepúlveda Ruiz, “El TPP, un acuerdo de las transnacionales contra los movimientos sociales”, Diario U Chile, 27. Mai 2016,
- 12. Witoon Lianchamroon, personal communication, 21.Juni 2016
- 13. KMP, “Farmers’ ‘October Protests’ to highlight broad people’s opposition to global land grabbing and plunder”, Quezon City, 7. Oktober 2015,
- 14. Die Pazifik-Allianz ist ein Freihandelsbündnis bestehend aus Chile, Kolumbien, Mexiko und Peru. Costa Rica und Panama stehen kurz vor dem Beitritt
- 15. Siehe: Grain, “New leaked chapter of Asia trade deal shows RCEP will undercut farmers’ control over seeds”, 24. Mai 2016,
- 16. Südkorea ist kein TPP-Mitglied, gehört aber zu UPOV 1991. Die Regierung strebt eine Beteiligung an TPP an
- 17. Diese Datensätze werden ständig aktualisiert. Falls sie irgendwelche Ergänzungen oder Korrekturen anmerken möchten, kontaktieren Sie uns bitte: