Inzwischen zweifelt niemand mehr daran, dass die Regierung von Lenín Moreno keine linke Agenda mehr verfolgt, sondern vielmehr schnell ein Spinnennetz von Abkommen gewoben hat, um die Macht mit den Antipoden des "Correismus" zu teilen: mit den privaten Zeitungen, den Wirtschaftskammern, den Banken, mit der politischen Rechten (Bürgermeister von Guayaquil) und all dem aus der Vergangenheit, das Rafael Correa im Verlauf von zehn Jahren beiseitegeschoben hatte. Der jetzige Präsident ist bei der Partei (Alianza País) geblieben und hat sie jeglichen ideologisch-programmatischen Inhalts entleert. Das Tempo der Veränderungen hat in Ecuador und Lateinamerika Ratlosigkeit hinterlassen, ohne dass die gesellschaftlichen Kräfte zu einer Antwort fähig waren.
In nur einem Jahr hat die chamäleonartige Regierung Moreno ihre Transformation mit einem neuen "dringlichen Wirtschaftsgesetz" konsolidiert, das am 22. Juni vom Parlament verabschiedet wurde. Das "Organgesetz zur Förderung der Produktion, Anziehung von Investitionen, Schaffung von Arbeitsplätzen und steuerlicher Stabilität und Ausgewogenheit" wurde von einer Mehrheit der Rechten und des Regierungsblocks angenommen, die mit Morenos Bündnispolitik verbunden ist.
Das verabschiedete Gesetz lässt den Geist derjenigen oligarchischen Mächte wieder aufleben, die ihren Reichtum aus den Importerlösen schöpfen. Auch enthüllt es die tiefgehende Ignoranz Morenos und seines Wirtschaftsministers Richard Martínez hinsichtlich des Funktionierens einer kleinen, offenen Volkswirtschaft ohne Währungssouveränität. Die neue Gesetzeslage bedeutet nichts weniger, als die Wirtschaft auf einen gefährlichen Kurs zu bringen, der zu einer Krise der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, einer massiven Kapitalflucht und an den Rand der Entdollarisierung führt.
Das "neue dringliche Wirtschaftsgesetz"
Ziel des Gesetzes sei es, ein "steuerliches Gleichgewicht" zu erreichen und Investitionen und Beschäftigung zu fördern. Mit diesen Euphemismen steuert Moreno auf die Errichtung eines neoliberalen Regimes in vier Etappen zu: 1) Deregulierung des Handels, um die Profitrate der Importeure und transnationalen Konzerne zu erhöhen; 2) Steuerbefreiungen und Einführung von Steuerschlupflöchern, die die Bereicherung auf herkömmliche Art erleichtern – für die selben Wirtschaftssektoren; 3) wenn erstmal der Profit erzielt worden ist, sorgt das Gesetz für eine erleichterte Kapitalflucht in Steuerparadiese, indem es vorhandene Beschränkungen aufhebt; 4) schließlich wird gesetzlich eine aggressive Austeritätspolitik eingeführt, um den Staat als Entwicklungsakteur auszuschalten, damit dieser den herkömmlichen Akkumulationsprozess nicht beeinträchtigt.
Die folgende Auflistung zeigt im Einzelnen die hauptsächlichen Regeländerungen gemäß den vier Etappen der neoliberalen Restauration auf.
1. Etappe:
Die Profitrate der Importeure erhöhen und dem transnationalen Kapital oberste Priorität einräumen.
Gesetzliche Änderungen:
- Das Gesetz sieht keinerlei Importkontrolle vor. Stillschweigend werden den Importeuren große Erlöse zugestanden, damit sie die Dollarreserven dazu nutzen, Luxusgüter ins Land zu holen und so die oligopolistische Profitrate zu füttern.
- Das Gesetz räumt den bilateralen Investitionsabkommen (TBI) als vom Staat anerkannte und akzeptierte Instrumente Vorrang ein. Es beinhaltet die Preisgabe von Souveränität und erhöhte Kosten durch internationale Schiedssprüche.
2. Etappe:
Stärkung des herkömmlichen Akkumulationsregimes: null Steuern auf Kapital und Steuerschlupflöcher zur Erleichterung von Steuerhinterziehung.
Gesetzesänderungen:
- Befreiung von Gewinnsteuern aus neuen Investitionen in Quito und Guayaquil.
- Steuererstattung (Sozialabgaben und andere) bei Geldstrafen und Zinsen mit Schwerpunkt auf die großen Wirtschaftsgruppen.
- Entlastung bei der Einkommenssteuer auf Erträge, die an Trusts und Immobilienfonds ausgeschüttet werden.
- Befreiung von Steuern auf Einkommen aus neuen Investitionen in Grenzgebieten.
- Befreiung von Steuern auf Einkommen aus Investitionen im Tourismus und anderen, durch Dekrete definierten Bereichen
- Einkommenssteuerbefreiung für Betreiber und Verwalter von Sonderwirtschaftszonen (Zedes)
- Abschaffung der Einkommensvorsteuer als Mindeststeuer
- Steuerbefreiung bei Aktienverkäufen, wenn es sich um treuhänderische Übereignungen und Immobilieninvestitionsfonds handelt
- Der Gewinn aus Aktienverkäufen wird nicht mehr (progressiv) als Pauschaleinkommen versteuert, sondern unterliegt einem Pauschalsteuertarif von acht Prozent mit einem Steuerfreibetrag von etwa 22.000 US-Dollar.
3. Etappe:
Erleichterung von Devisenabfluss in Steueroasen
Gesetzesänderungen:
- Freistellung von Dividenden, die in Steuerparadiese abfließen.
- Investitionen aus Steueroasen können von den 2010 verabschiedeten Steuervergünstigungsgesetzen profitieren (COPCI – Produktions-, Handels- und Investitionsgesetzbuch).
- Natürliche Personen mit Sitz in Steuerparadiesen können vom Gesetz über öffentlich-private Partnerschaften profitieren.
- Der Steuersatz auf Devisenabfluss (Devisentransfersteuer, ISD) verringert sich mit einem (behördlichen) Finanzgutachten.
- Befreiung von der ISD bei neuen "produktiven" Investitionen: beim Import von Anlagegütern und Rohstoffen.
- Befreiung von Zahlung der ISD bei Dividenden für Ecuadorianer im Ausland, die neue Investitionen vornehmen oder diese zu 50 Prozent wieder investieren. Im Gegenzug werden sievon der Einkommenssteuer befreit.
- Befreiung von der ISD bei Zahlungen an Finanzinstitutionen aufgrund aufgenommener Kredite
- Befreiung von der ISD bei Amortisierung von Kapital und Zinsen bei von "Finanzdienstleistern" vermittelten Darlehen. Ein hohes Risiko bei Nutzung von Unterkapitalisierungsmodellen, um Steuern zu mindern.
4. Etappe:
Aggressive Verschlankung des Staates
Gesetzesänderungen:
- Verbot der Verabschiedung eines Haushaltsplans mit Primärdefizit, Steueranpassung per Gesetz.
- Wenn die Schuldendeckelung nicht eingehalten wird, wird diese aufgehoben und per Gesetz ein haushaltspolitischer Plan für drei Jahre festgelegt, um die Primärausgaben zu vermindern, bis wieder ein Ausgeglichener Finanzhaushalt erreicht ist.
- Der Zentralbank ist ausdrücklich untersagt, Wertpapiere des Finanzministeriums zu kaufen.
- Der Zentralbank wird die Befugnis entzogen, Diskontgeschäfte vorzunehmen (z.B. darf sie kein Portfolio von einer Bank in Schwierigkeiten kaufen).
- Jeglicher Einnahmeüberschuss aus dem Erdölgeschäft gegenüber dem Referenzpreis, der dem nationalen Haushaltsplan zugrunde liegt, geht in einen Stabilitätsfonds. Es ist nicht bekannt, ob dieser Fonds dazu dienen soll, Auslandsschulden zu bezahlen.
- Das Portfolio der Staatsbank wird dem Privatsektor geöffnet, womit ihr Kapital entzogen wird und die Bedingungen für ihre Abschaffung in der Zukunft geschaffen werden.
1. Etappe: freier Handel und Schutz des transnationalen Kapitals
Das Gesetz soll das Währungssystem stärken. Nichtsdestotrotz enthält es kein einziges Reformvorhaben, das in diese Richtung ginge. Die Vorschriften enthalten nichts, um das Anwachsen des Imports zu bremsen, was kurzfristig die größte Gefahr für die Geldreserven darstellt. Das Vermeiden jeglicher Art von Regulierung entspricht ganz klar einem Pakt mit dem Importsektor.
Zweitens legt das Gesetz die Legalität der bilateralen Investitionsverträge als "unerlässliches Mittel für die Förderung direkter ausländischer Investitionen" fest, obwohl sich während der Regierung Correa zeigte, dass sie völlig ineffektiv waren, hohe Kosten für den Staat verursachten und als verfassungswidrig angeprangert wurden.
Das heißt, im Grunde genommen will die Regierung Investitionen aus dem Ausland anlocken, um die durch die Importe verursachte Devisenflucht auszugleichen, ohne zu erkennen, dass es sich bei ersteren – im sehr unwahrscheinlichen Fall, dass sie getätigt werden -, um langfristige Vorgänge handelt, während der Verlust an Devisenreserven durch Importe sich sofort auswirkt. Das Untergraben beider Flüsse (Zufluss von Investitionen und Abfluss von Devisen durch Importe) erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Wirtschaft in die Zahlungsunfähigkeit gerät, was es ihr mangels internationaler Reserven unmöglich machen würde, Zahlungen ins Ausland zu leisten.
Wie lange können die Importeure ihre Importe mit den Dollars finanzieren, die sie im Ausland anhäufen? Die Regierungsbehörden haben nicht nur das Wirtschaftsprogramm ersetzt, das an den Wahlurnen siegte, sondern sie zeigen auch einen starken Mangel an Wissen über makroökonomische Ausgewogenheit.
2. Etappe: Steuerbeseitigung und -erlass für Reiche und Schaffung von Steuerschlupflöchern
Wie zu erwarten war, gab Moreno dem Druck der Wirtschaftsgruppen nach, die sich während der Regierungszeit von Correa angesichts einer unabhängigen und gerechten Steuerpolitik machtlos fühlten. Sie waren unruhig, denn mit der Abschaffung von Steuerschlupflöchern hatten sie die Macht über die Mechanismen der Steuerhinterziehung und -vermeidung verloren. Zugleich nahmen sie es nicht hin, dass sie im Ergebnis der Steuerprogressionspolitik von Correa immer mehr Steuern zahlen mussten.
Das neue Gesetz wirft zehn Jahre Fortschritte über Bord und stellt den vorherigen Rahmen wieder her: Es schafft Steuern für die Reichsten ab bzw. verringert sie, unterläuft direkte Steuern und befeuert die Bodenspekulation mittels gesellschaftsrechtlicher Verschleierung oder interner Steuerschlupflöcher – in Gestalt treuhänderischer Übereignungen und Investitionsfonds, die in Ecuador bekannte Modelle sind, um den Reichtum zu verbergen, Erbschaftssteuern zu vermeiden und Geldwäsche zu erleichtern.
In Fortsetzung seiner früheren Tätigkeit als Lobbyist bevorzugt Moreno den Immobiliensektor und den Tourismus vor allen anderen Bereichen, die Arbeitsplätze schaffen, aber keineswegs das gegenwärtige Produktionsschema in Frage stellen. Auch beweist er seine große Unwissenheit hinsichtlich der Geschichte und der Notwendigkeit, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu schützen. Was die Geschichte betrifft, so wiederholt er Rezepte, die in Ecuador in den letzten 100 Jahren gescheitert sind (das erste Steuervergünstigungsgesetz stammt aus dem Jahre 1921), und das einzige, was er erreicht, ist die Steuerkasse zu beschneiden und somit die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu schwächen. Eine solche Schwächung wirkt sich in einem noch größeren Steuerdefizit aus. Das heißt, das Gesetz garantiert nicht einmal das Ziel eines ausgeglichenen Finanzhaushalts.
3. Etappe: Beseitigung der Barrieren für Kapitalflucht in ausländische Steueroasen
Mit dieser Wirtschaftsreform lässt der Präsident treulich die Kultur des ecuadorianischen Großunternehmertums wieder aufleben: billig importieren, viel verdienen und den Reichtum ins Ausland bringen. Die Reduzierung und Freistellung von der Devisentransfersteuer wird den Verlust an internationalen Reserven beschleunigen. Das, zusammen mit einer Deregulierung der Importe, bringt die ecuadorianische Wirtschaft an den Rand der Entdollarisierung. Das Bestreben der Importeureliten, wieder ihre Profitrate zu erreichen, plus der Ignoranz des Präsidenten stellen ein ernstes systemisches Risiko für das Währungssystem dar.
Die Förderung von Steuerparadiesen steht im Gegensatz zu zehn Jahren Kampf gegen die Steuerplanung und untergräbt die Volksbefragung vom Februar 2017. Das einzige, was erreicht wird, ist, dass die alten Praktiken der Kapitalverschleierung zurückkehren werden. Die Kontrollen über Steuerparadiese abzuschaffen, richtet sich auch gegen die Korruptionsbekämpfung, die doch so sehr von der Regierung Moreno verteidigt wird.
Diese neue Haltung lässt vermuten, dass die Regierung kurzfristig – mittels gewisser administrativer Mechanismen – die Definition von Steuerparadiesen aufweichen wird und dank der neuen Befugnis, die ihr das Gesetz gibt, die Prozentsätze nach Belieben zu senken, die ISD mittels einer Tarifsenkung abschaffen wird.
4. Etappe: Aggressive Verschlankung des Staates per Gesetz
Ecuador reiht sich in die Tendenz der neuen neoliberalen Etappe in Lateinamerika ein, die durch den raschen Abbau des Staates gekennzeichnet ist. Die jüngsten Tendenzen in Brasilien und Argentinien haben gezeigt, dass die Austeritätspolitik mit voller Wucht kommen kann.
Im Falle Ecuadors überrascht das, denn die Austeritätspolitik wird durch zwei Instrumente behördlich eingeführt: 1) Per Gesetz ist es verboten, einen nationalen Haushaltsplan mit Primärdefizit zu verabschieden, und, falls die Verschuldungsobergrenze überschritten wird, schreibt es vor, dass die Primärausgaben bis zur Erreichung des Schuldenausgleichs reduziert werden, und 2) wird es der Zentralbank untersagt, Staatsanleihen zu kaufen, was, außer dass es sich um eine törichte Maßnahme handelt, das Land dazu zwingt, sich auf die Suche nach Finanzierung im Ausland zu machen. Dieses Gesetz schafft die Bedingungen für eine Rückkehr des IWF und seiner gescheiterten Politiken.
Auch wird die Möglichkeit ausgeschlossen, dass die Zentralbank Diskontgeschäfte macht, indem jeglicher Geldpolitik völlig entsagt wird, die helfen könnte, das Finanzsystem zu stabilisieren. Abgesehen von der Austerität im Haushalt, nötigt das Gesetz die staatlichen Banken, ihr Portfolio zu diversifizieren und in private Wertpapiere zu investieren, womit der Transfer von Ressourcen aus dem öffentlichen in den privaten Bereich verfestigt und das Feld für ein Verschwinden der staatlichen Banken bereitet wird. Letztendlich betreibt Moreno mit diesem angenommenen Gesetz die Verschlankung des Staates im Stile der 1980er und 90er Jahre und unterwirft das Land den einheimischen Wirtschaftsgruppen, den internationalen Organismen und dem transnationalen Kapital.
Schlussbemerkung
Die gesamte Wirtschaftsreform fußt auf drei theoretischen Trugschlüssen: Die expansive Austeritätspolitik, die Theorie der Zwillingsdefizite und die Laffer-Kurve. In anderen Worten, es wird davon ausgegangen, dass die Deregulierung der Gewinne der Importeure die für Neuinvestitionen notwendigen Bedingungen schafft; dass die Verschlankung des Staates auf ein Mindestmaß sich als segensreich erweist – da die privaten Investitionen die Rolle des Staates ersetzen und folglich den Druck auf die Importe verringern – und dass der Abbau von Steuern und Barrieren für das Kapital dazu führt, dass die Unternehmer mehr investieren.
Das oben Ausgeführte beruht auf einem theoretischen Modell des Neoliberalismus, von dem die Geschichte bereits gezeigt hat, dass es in Lateinamerika nicht funktioniert und die tiefgreifende soziale Krise in den 1980er und 90er Jahren ausgelöst hat, sowohl in Ecuador wie in der Region. Die Wirtschaftstheorie lässt jedoch die Kräfteverhältnisse der Wirtschaftsgruppen außer Acht.
Hinter Morenos Reform, abgesehen davon, dass sie im strikten Sinne neoliberal ist, verbirgt sich ein Pakt mit den Eliten und lokalen Oligarchien, der die Wiederherstellung der alten Akkumulationsordnung zum Ziel hat: Importeinnahmen, Steuerhinterziehung und –vermeidung und anschließend die Anhäufung des Reichtums im Ausland. Das Ergebnis ist unausweichlich eine soziale "Anpassung".