Ecuador / Politik

Ecuador: Die Rechte hat gewonnen, und was nun?

Atilio Boron, Politologe, Soziologe und Autor aus Argentinien zum Ergebnis der Volksbefragung

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Grafito in Guayaquil, Ecuador, nach dem Referendum: "Letzter Tag des Morenismus, erster des Lassismus" - in Anspielung auf Präsident Moreno und den Bankier und Oppositionsführer Lasso
Grafito in Guayaquil, Ecuador, nach dem Referendum: "Letzter Tag des Morenismus, erster des Lassismus" - in Anspielung auf Präsident Moreno und den Bankier und Oppositionsführer Lasso

Es war abzusehen, dass der Rechtsblock, der Ecuador regiert, damit durchkommt. Sie haben eine wichtige Schlacht gewonnen, um die marode und ungerechte soziale Ordnung aus der Vergangenheit mit vollen Machtbefugnissen im Präsidentenpalast Carondelet wiederherzustellen. Aber wie haben sie gewonnen? Und haben sie tatsächlich den Krieg gewonnen?

Sie gewannen, indem sie die geltende Regelung verletzten, laut der der Verfassungsgerichtshof bestätigen muss, dass die Volksbefragung im Einklang mit den in der Verfassung von Montecristi festgeschriebenen Vorschriften steht. Präsident Lenín Moreno, von einer verdächtigen Eile in dieser Sache besessen, wollte die verfassungsmäßigen Zeitabläufe nicht abwarten und setzte kurzerhand eine illegale und verfassungswidrige Volksbefragung an, die außerdem in seinen Plänen nie vorgesehen war. Weder im Lauf seiner Wahlkampagne für das Präsidentenamt im Februar 2017 noch vor der Stichwahl am 2. April erwähnte Moreno jemals die Notwendigkeit, ein solches Referendum durchzuführen, noch zeigte er irgendein Interesse daran, gründlicher auf einige der Themen einzugehen, die nun bei der Befragung zur Abstimmung standen. Daraus ergibt sich eine Unrechtmäßigkeit von Beginn an, die in den kommenden Jahren zu harten Auseinandersetzungen führen wird.

Aber außerdem hat der Rechtsblock, zu dem sich Moreno ‒ im Tausch für was auch immer ‒ gesellt hat, gegen die elementarsten Voraussetzungen verstoßen, die für eine demokratische Wahl erforderlich sind. Während des Wahlkampfmonats wurde Ex-Präsident Rafael Correa weder vom privaten noch vom staatlichen Fernsehen zu einem Programm eingeladen, auch nicht von landesweit sendenden Rundfunkstationen, und er wurde von keiner Zeitung interviewt. Die Regierungszeitung El Telégrafo missachtete ihn mit offen zur Schau gestellter Respektlosigkeit völlig, und das gegenüber einer Person, der bis vor weniger als einem Jahr Präsident der Republik gewesen war. Michel Temer jedoch, dem korrupten Usurpator des brasilianischen Präsidentenamtes, überließ sie Raum in ihren Kolumnen. Für niemanden ist es ein Geheimnis, dass es ohne Demokratie im öffentlichen Raum, insbesondere in den Medien, keine Wahldemokratie geben kann. Unter diesen gegebenen Umständen ist das eine Scheindemokratie, aber nichts weiter. Und genau das geschah am Sonntag in Ecuador, auch wenn die Regierung dem den pompösen Titel einer "Bürgerbefragung" gab. Da Correa von allen nationalen Medien totgeschwiegen wurde, wäre es fast ein Wunder gewesen, wenn er bei der Wahl die Situation hätte umdrehen können. Nicht nur das: Die Medienoligarchie und die Rechte sparten nicht an Worten, um die Person des Ex-Präsidenten zu verunglimpfen und verweigerten ihm das Recht auf Erwiderung. In der Tat wurde die Öffentlichkeit mit allen möglichen Verleumdungen und Gemeinheiten gegen Correa bombardiert, ganz zum Wohlgefallen der Regierung und ihrer Auftraggeber.

Wie solide ist der Sieg der Rechten? Und wir sagen die Rechte, weil der ganze Propagandaapparat der Reaktion den Sieg Correas Feinden zuschreiben wird, also denen, die er zehn Jahre lang ständig besiegt hatte ‒ und nicht Moreno, der auf einen verdienten zweiten Platz absteigen muss, und den sie wohl kaum auf das Siegerpodest werden steigen lassen. Ihm wurde eine schmutzige Aufgabe übertragen, er führte sie aus, aber das wird ihn in keiner Weise zu einem Führer im Restaurationsblock machen. Wenn man eine sehr einfache Rechenaufgabe macht, zum Beispiel bei der entscheidenden Frage 2, die eine Wiederwahl unterbindet, und man zieht von den Nein-Stimmen (65 Prozent bei Auszählung von fast der Hälfte der Stimmen zum Zeitpunkt dieser Niederschrift1), den Prozentsatz ab, den Guillermo Lasso, der Kandidat der Rechten bei der Stichwahl im April, erzielt hat (49 Prozent) ab, so ergibt sich, dass das "Nein" zur Wiederwahl im Sinne Morenos kaum 16 Prozent erreicht, im Vergleich zu den 35 Prozent Ja-Stimmen im Sinne Correas. Aus diesem Grunde wird die Rechte den Sieg bei der Volksabstimmung unerbittlich für sich als ihren Sieg reklamieren und ihn nicht der Regierung zuschreiben.

Nach allem, was nun gesagt wurde: Steuert Ecuador auf eine Zeit des "Post-Correismus" zu? Schwer zu sagen, jedoch erinnert uns die jüngste Vergangenheit dieses Land daran, dass die zehn Jahre politischer und sozialer Stabilität in der Zeit unter Correa ein vorbildliches Kapitel in der jüngeren Geschichte des Landes waren, die zuvor von mehr als einem Jahrzehnt Aufstände und Volkserhebungen geprägt worden war. Zu verhindern, dass der Ex-Präsident sein Bürgerrecht ausüben kann, bei Wahlen zu kandidieren, kann zum Auslöser neuer Erschütterungen werden. Denn es wird nicht nur eine Figur von kontinentalen Dimensionen wie Correa ausgegrenzt, sondern man ächtet damit indirekt eine politische Kraft, die bei einzelner Betrachtung die Mehrheit ausmacht, denn sie erreicht allein mindestens ein Drittel der gültigen Stimmen. Das lässt ernste Zweifel hinsichtlich der künftigen Stabilität des politischen Systems aufkommen.

Nachdem er seine Arbeit erledigt hat, wird Moreno, der über keine parlamentarische Mehrheit verfügt, Gefangener der Erpressung der Rechten bleiben. Die Bankiers, die Unternehmeroligarchie, die "Botschaft" und die korrupte Medienmacht werden ihr restauratives und gegen Reformen gerichtetes Programm mit Blut und Feuer durchsetzen. Und der gegenwärtige Präsident könnte sein Schicksal mit Jamil Mahuad teilen, der, weil er das Programm der Bankiers umsetzte, überstürzt aus dem Präsidentenpalast fliehen und Zuflucht in der US-Botschaft suchen musste.

Kurz gesagt, Moreno und seine Chefs haben beschlossen, mit dem Feuer zu spielen. Sie haben eine Schlacht gewonnen, aber man muss nicht besonders scharfsinnig sein um zu sehen, dass ein Volk, das im Lauf von zehn Jahren drei Präsidenten davon gejagt und den Sturz von weiteren herbeigeführt hat, dahin kommen könnte, sich seiner früheren Großtaten  zu erinnern und sich ‒ angesichts einer näher rückenden Verrohung: der Diktatur des Kapitals ‒ entscheidet, dass es ein Mal mehr das Schicksal in seine Hände nehmen und das Joch der Unterdrücker und derjenigen abschütteln muss, die das emanzipatorische Projekt der Bürgerrevolution verraten haben.

  • 1. Nach Auszählung von rund 99 Prozent der abgegeben Stimmen lag das Ergebnis bei 64,3 Prozent für das Verbot der Wiederwahl