Im Mai fand zum vierten Mal das China-Celac-Forum in Peking statt. In dieser Analyse beleuchtet LN, wie Lateinamerika und China angesichts des verschärften Machtkampfs zwischen Washington und Peking ihre Beziehungen weiter vertiefen. Bereits 2023 überschritt das Handelsvolumen zwischen China und den 33 Celac-Staaten die Marke von 500 Milliarden US-Dollar – auch eine Folge der von der Trump-Administration neu belebten Monroe-Doktrin.
"Wäre der Kampf um Einfluss in Lateinamerika ein Fußballspiel, läge China gegen die Vereinigten Staaten zur Halbzeit mit 2 zu 1 in Führung", heißt es in einem Meinungsbeitrag der US-Nachrichtenseite Bloomberg Línea von Ende Mai. Das liege, so der Autor, insbesondere an einem anderen, ja gegensätzlichen Herangehen der chinesischen im Vergleich zur US-amerikanischen Regierung: Während Donald Trump eine "besonders strenge Version der Monroe-Doktrin" wiederbelebe, entscheide sich die Volksrepublik "für eine langfristige Strategie, die auf Partnerschaft und Solidarität beruht".
"Washington sollte genau mitschreiben: Drohungen erzeugen keine Loyalität." Diese Schlussfolgerung zeigt: Der Autor des Meinungsbeitrags hegt keine Sympathien für die chinesische Staatsführung. Ebensowenig dürfte er die ökonomischen Interessen der USA in Lateinamerika per se kritisch sehen. Der Beitrag bringt vielmehr die Meinung kapitalfreundlicher Kreise in den Vereinigten Staaten zum Ausdruck, die den Kurs der Trump-Regierung als für ihre Interessen schädlich einschätzen – und die in Lateinamerika und der Karibik, also in einer traditionell als US-Hinterhof angesehenen Region, die eigenen Felle davonschwimmen sehen.
Der Anlass für den Beitrag: Mitte Mai fand in Peking zum vierten Mal das China-Celac-Forum statt. Während normalerweise Minister:innen zusammenkommen, nahmen in diesem Jahr gleich drei der 33 Staatsoberhäupter der Mitgliedsländer der Gemeinschaft Lateinamerikanischer und Karibischer Staaten (Celac) teil: Brasiliens Luiz Inácio Lula da Silva, Kolumbiens Gustavo Petro und Chiles Gabriel Boric. Auch Gastgeber Xi Jinping war persönlich bei dem Treffen anwesend.
Allein die anwesende Prominenz zeigt, welche Bedeutung die Regierungen vieler lateinamerikanischer Staaten dem Forum beimessen. Für China stellt das einen Erfolg dar, besonders in Zeiten der sich zuspitzenden Rivalität um Handelsmärkte und Einfluss mit den USA. Das Signal, das von dem Treffen ausgeht: Die Volksrepublik ist keineswegs isoliert, vielmehr ist das Interesse an einer Vertiefung der Beziehungen zu China in vielen Teilen der Welt groß – auch als Alternative zu den Vereinigten Staaten.
Xi verkündete neue Kreditlinien in Höhe von mehr als acht Milliarden Euro
Die Funktion, die Abhängigkeit vom "großen Nachbarn" im Norden zu schmälern, hat China für viele Länder Lateinamerikas bereits heute. Auch wenn in der Region insgesamt weiter die USA der wichtigste Handelspartner sind, konnte die Volksrepublik in den vergangenen Jahrzehnten aufholen. Laut der chinesischen Regierung betrug das Handelsvolumen mit den Celac-Staaten im vergangenen Jahr 518,4 Milliarden US-Dollar. Das ist rund 40 Mal mehr als noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Für die Volkswirtschaften von Brasilien, Chile, Uruguay oder Peru ist China schon jetzt wichtigster Handelspartner.
Es ist wahrscheinlich, dass das Volumen auch in diesem Jahr ansteigen wird. In seiner Eröffnungsrede bot Xi den Celac-Vertreter:innen an, "im Angesicht der geopolitischen Turbulenzen" und des "zunehmenden Gegenwinds aus Unilateralismus und Protektionismus" noch enger zusammenzuarbeiten. Zugleich verkündete er neue Kreditlinien in Höhe von umgerechnet rund 8,25 Milliarden Euro. Die Volksrepublik wolle außerdem die Importe aus der Region erhöhen und chinesische Unternehmen zu mehr Investitionen ermutigen, so Xi weiter.
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Das kommt vor allem bei den als progressiv geltenden Regierungen der Region gut an. So erklärte der kolumbianische Präsident Petro, der derzeit den Vorsitz der Celac-Staatengemeinschaft innehat, die Menschheit stehe vor dem Dilemma "kooperieren oder untergehen". Die Welt sei von "Fragmentierung, geopolitischen Spannungen, Kriegen, Umweltzerstörung und Ungleichheit geprägt". Daher müsse die Celac mit allen sprechen, "horizontal, nicht vertikal", und "frei von Autoritarismus und Imperialismus". Sein chilenischer Amtskollege Boric sagte, es sei "jetzt an der Zeit, einen qualitativen Sprung in den Wirtschaftsbeziehungen mit China zu machen". Gleichzeitig betonte er: "Wir wollen uns nicht für den einen oder anderen (Handelspartner) entscheiden müssen."
Ein wichtiges Instrument für die Integration lateinamerikanischer Länder in die Handelsbeziehungen ist für China auch die sogenannte Neue Seidenstraße. Das Megainfrastrukturprojekt, das offiziell "One Belt, One Road Initiative" heißt, war 2013 von Xi ins Leben gerufen worden. Heute sind mehr als 150 Länder Teil der Initiative, in deren Rahmen China weltweit in Infrastrukturprojekte wie Häfen, Bahnlinien und Flughäfen investiert, 20 allein in Lateinamerika und der Karibik. Ziel ist eine Förderung von Handel und Austausch zwischen den verschiedenen Weltregionen. Kritiker:innen monieren so entstehende Abhängigkeiten und warnen davor, China sei insbesondere an Rohstoffen und weniger an verarbeiteten Produkten interessiert.
Andere sehen das offensichtlich anders: Am Rande des China-Celac-Treffens unterzeichnete Petro gemeinsam mit seiner Außenministerin Laura Sarabia ein Abkommen, das den Beitritt Kolumbiens zur "Neuen Seidenstraße" vorsieht. Das Ministerium erklärte im Anschluss auf X, der Schritt sei "historisch", da er "neue Möglichkeiten für Investitionen, technologische Zusammenarbeit und nachhaltige Entwicklung" eröffne. Der kolumbianische Präsident erklärte: "Von nun an geht Kolumbien mit der gesamten Welt Beziehungen auf Basis der Gleichheit und Freiheit ein."
Die US-Regierung zeigt sich über Kolumbiens Kurswechsel nicht erfreut
Die US-Regierung hingegen zeigte sich nicht erfreut. So bezeichnete ein Sprecher des Außenministeriums in Washington die Entscheidung gegenüber der kolumbianischen Tageszeitung El Tiempo als "enttäuschend und kontraproduktiv". Weiter hieß es: "Petro läuft mit dieser Maßnahme Gefahr, Kolumbien noch weiter von unseren Partnern in Lateinamerika zu entfernen, die sich aus den Fesseln der Kommunistischen Partei Chinas befreien." Bereits zuvor hatte der Sondergesandte für Lateinamerika von Trump, Mauricio Claver Carone, gedroht, den Import von Kaffee und Blumen – zwei der wichtigsten Exportprodukte des Landes – einzustellen, falls sich Bogotá der Neuen Seidenstraße anschließen sollte.
Solche Töne sind es, die manche lateinamerikanische Regierung – so der Meinungsbeitrag in Bloomberg Línea – eher von den USA weg als zu ihnen hintreiben. Sie können als Zeichen dafür verstanden werden, dass Trump und Co. eine verschärfte Form der Monroe-Doktrin verfolgen. Vor mehr als 200 Jahren hatte der damalige US-Präsident James Monroe die Parole "Amerika den Amerikanern" ausgegeben. Der Doppelkontinent sollte alleinige Einflusssphäre der USA sein – ohne die europäischen Kolonialmächte.
Heute richtet sich die Monroe-Doktrin hingegen in erster Linie gegen die Aktivitäten Chinas in Lateinamerika. Dass es die Trump-Regierung ernst meint, hat sie bereits in den ersten Monaten im Amt gezeigt – so mit den Invasionsdrohungen gegen Kanada, der Verhängung hoher Zölle gegen lateinamerikanische Staaten oder dem Eskalationskurs gegen unliebsame Regierungen wie die Kubas oder Venezuelas. Trotzdem ist mindestens fraglich, ob sie mit dem Kurs erfolgreich sein wird.
Der Beitrag erschien in den Lateinamerika Nachrichten 612.