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Kuba mal eben kurz erklärt

Leonardo Padura stellt auf der Buchmesse in Kuba eine Sammlung von Kurzreportagen vor

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Die Polizei regelte den Andrang auf die Lesung ...
Die Polizei regelte den Andrang auf die Lesung ...

Leonardo Padura ist einer der bedeutendsten zeitgenössischen Schriftsteller Kubas. Was viele seiner Fans aber nicht wissen: Der Protagonist des neuen kubanischen Kriminalromans und Schöpfer der Figur des Ermittlers Mario Conde ist vor allem Journalist. Vor Erscheinen seines ersten Romans 1991 gehörte Padura mehrere Jahre lang den Redaktionen der Wochenzeitung El Caimán Barbudo, der Tageszeitung Juventud Rebelde und der Zeitschrift La Gaceta de Cuba an. „In diesen Jahren habe ich meinen Blick für die Gesellschaft und ihre Menschen geschärft“, sagte er am Mittwoch vor gut 150 Gästen, die sich auf der 21. Internationalen Buchmesse von Havanna in den Portuondo-Saal zwängten, der nach Angaben der Veranstalter gerade einmal 60 Gästen Platz bietet.

Dabei hielt sich der Andrang noch in Grenzen. Als Padura im vergangenen Jahr seinen letzten Roman „Der Mann, der die Hunde liebte“ vorstellte, kam es vor dem größten Saal der Buchmesse zu tumultartigen Szenen, weil die zum Verkauf stehenden Bücher für die Hunderten Interessenten bei weitem nicht ausreichten. Veranstalter werden sich daran erinnert haben: Am Mittwoch regelten zwei Polizisten vor der alten Kommandantur Ernesto Che Guevaras auf der Festungsanlage La Cabaña den geordneten Verkauf des Sammelbandes „La memoria y el olvido“ (Die Erinnerung und das Vergessen).

In dem knapp 280-seitigen Taschenbuch finden sich Kurzreportagen aus Paduras Zeit für die Nachrichtenagentur IPS aus den Jahren 1996 bis 2011, von denen nicht wenige von der in Berlin ansässigen Zeigstelle auch auf Deutsch übersetzt worden sind. Die Publikation des kubanischen Verlagshauses Caminos wurde von IPS in Havanna und der Schweizerischen Entwicklungshilfeagentur COSUDE unterstützt. „Vor allem ist das Erscheinen des Buches ein Verdienst der weiblichen Hartnäckigkeit meiner Kolleginnen bei IPS Kuba“, scherzte Padura, der zu Beginn der Lesung eine Stuhlreihe für stehende weibliche Gäste in den Saal bringen ließ.

Seine journalistischen Jahre, sagte er nach der Einleitung eines Verlagsvertreters in das Thema, seien für seine spätere literarische Arbeit unabdingbar gewesen: „Während meiner Zeit im Feuilleton der Juventud Rebelde“ – der Tageszeitung des Kommunistischen Jugendverbandes – „habe ich zwischen 1983 und 1990 vor allem gelernt, exakt und unter großen Druck zu arbeiten“. Padura schilderte zugleich die Gratwanderung zwischen dem Vertrauen der Redaktionsleitung in die redaktionelle Belegschaft und dem „starken kollektiven Zusammenhalt“ sowie den damaligen Vorbehalten gegen seine sozialkritischen Reportagen. Nach 1995 dann habe er bei der Nachrichtenagentur IPS einen festen Platz für seine Veröffentlichungen gefunden. Heute hat sich die Lage auch in Kuba deutlich verändert: Die Tageszeitungen Granma und Juventud Rebelde widmen inzwischen mehrere Seiten den Debatten über alltägliche Probleme in Kuba und Publikationen wie die Zeitung La Calle del Medio dienen ausschließlich der politischen und kulturellen Kontroverse. Diese Selbstreflexion belegt zugleich die politische Reife der Kubanischen Revolution, während bei einer kleinen linken Tageszeitung in Deutschland noch vor wenigen Jahren ein Beitrag Paduras mit dem Argument abgelehnt wurde, vergleichbare Positionen seien 1989 auch von konterrevolutionären Intellektuellen bei dem Demonstrationen auf dem Berliner Alexanderplatz erhoben worden. Und deren alleiniges Interesse sei die kapitalistische Restauration gewesen.

Paduras Werk hält solche Missbilligung ohne weiters aus. Mit journalistischem Blick und literarischer Feder hat der Autor in seinen Cronicas, einer für Lateinamerika und die Karibik typischen Mischung aus Kurzreportage und Kommentar, ein authentisches Bild der kubanischen Gesellschaft der letzten Jahre gezeichnet. Die Sammlung nach und nach erschienener Texte erhalte die Erinnerung an mitunter schwere Jahre, „in denen wir mit einem Chinafahrrad und einem Stück trockenen Brot zur Arbeit fuhren“. Allein das Schreiben habe ihn damals vor der aufkommenden Verzweiflung bewahrt, mit der viele Kubanerinnern und Kubaner in der Zeit der Notwirtschaft nach 1990/1991 kämpfen mussten. Viele dieser Episoden würden heute verdrängt, erklärte Leonardo Padura bei seinem Auftritt auf der Buchmesse. Daher habe er sich im Titel für die Dichotomie von Erinnerung und Vergessen entschieden.

Einiges von dem zu Vergessenden spielte sich in Kuba ab, anderes kam nach den Umbrüchen Anfang der 1990er Jahre in das sozialistische Kuba, das, über Nacht fast auf sich alleine gestellt, eine neue Identität suchte. Das galt auch für die Kultur. Einige Jahre später, 2006, schreibt Padura über den Reggaeton, einer karibischen Mischung aus Reggae und HipHop, deren explizit sexuellen und nicht selten sexistischen Inhalte nur von dem musikalischen Niveau dieses Genres unterboten werden. Oder dem Tanz. Mädchen und jungen Frauen imitieren mit Figuren wie „La chupada de pirulí“ auf allen Vieren und mit rhythmischen Gesäß- und Kopfbewegungen sexuelle Handlungen, wobei „choreografische“ Kodizes erkennen lassen, welche Körperöffnung von der Tänzerin gerade gemeint ist.

Padura erinnerte sich angesichts solch unappetitlicher Trends in der zeitgenössischen kubanischen Jugendkultur an die Kontroversen in seiner Teenagerzeit 35 Jahre zuvor. Damals liefen Jugendliche Gefahr als „vom Imperialismus penetriert“ bezichtigt zu werden (benutzt wurde hier tatsächlich die spanische Vokabel penetrado), wenn sie die Beatles, Rolling Stones oder Led Zeppelin hörten. Man habe damals zwar die Texte nicht verstanden, aber die Refrains lauthals mitgesungen: „All you need is love“ und „I’ve got you under my skin“, neben anderen. „Was mich heute am Reggaeton und seinen Texten am meisten schmerzt, sind nicht die unmittelbaren Auswirkungen auf seine Anhänger, sondern das kulturelle, gefühlsmäßige und emotionale Sediment, dass in ihnen als Quelle der Erinnerung verbleibt, wenn die heutigen Zeiten eines Tages der Vergangenheit angehören“, bemerkt Padura.

Es sind solche Beobachtungen und Reflexionen, die Kubanerinnen und Kubaner mehrerer Generationen heute bewegen und deswegen in Massen zu den Auftritten Paduras locken. Die mitunter kontroversen Texte haben dabei nicht nur einen Wert für die derzeit laufenden Debatten in Kuba, sondern auch über die Landesgrenzen hinaus. Paduras Stil an der Grenze zwischen Journalismus und Literatur stellt ihn in eine Reihe mit dem Uruguayer Eduardo Galeano und seinem kubanischen Landsmann Daniel Chavarría. Er erlaubt zudem Parallelen zu Dokumentarliteraten wie Jorge Ricardo Masetti und Rodolfo Walsh. „Es geht mir nicht um die Erziehung der Leser“, sagte er bei der Präsentation seines neuen Buches, „sondern um die Erklärung der Gesellschaft.“ Wer also ein echtes Interesse hat, Kuba heute zu verstehen, kommt an Paduras Cronicas nicht vorbei.