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Wie starb João Goulart?

Neue Hinweise auf Ermordung des exilierten früheren Präsidenten Brasiliens im Rahmen der Aktion Condor 1976 in Argentinien

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Der extremen Rechten in Lateinamerika ein Dorn im Auge: João Goulart ("Jango"), Brasiliens Präsident 1961 bis 1964
Der extremen Rechten in Lateinamerika ein Dorn im Auge: João Goulart ("Jango"), Brasiliens Präsident 1961 bis 1964

João Goulart, genannt Jango, übernahm im September 1961 das Amt des brasilianischen Präsidenten – gegen den Widerstand hoher Militärkreise. Sein Regierungsprogramm, die reformas de base (Basisreformen), war sozialdemokratisch geprägt und umfasste vor allem eine mutige Agrarreform, die auch heute, ein halbes Jahrhundert später, noch immer nicht auch nur ansatzweise verwirklicht ist.

Wahlrecht für Analphabeten, Arbeitsrechte für Landarbeiter im selben Umfang wie für städtische Arbeiter, bessere Kontrolle ausländischer Investitionen standen auf der politischen Agenda. Was Goulart und sein Vize Leonel Brizola da vorhatten, fand bei der brasilianischen Bevölkerung breite Zustimmung – bis hinein in das Unteroffizierskorps der Armee. Eine Entwicklung, die die brasilianischen Generäle genauso beunruhigend fanden wie die chilenischen, die mit ansehen mussten, wie die mobilisierten Bevölkerungsmassen in den Armenvierteln ihren Präsidenten Allende und seine Unidad Popular links überholten. Wir befinden uns in der heißen Phase des Kalten Kriegs, nach Cuba befürchtete die US-Administration einen "Dominoeffekt" und Willy Brandt sah die Freiheit Westberlins allen Ernstes in Vietnam verteidigt.

Eigentlich schon längst bekannt

Am 7. Und 8. Oktober 1963, 46 Tage bevor Kennedy in Dallas ermordet wird,   findet im Oval Office im Weißen Haus in Washington  ein Treffen von Kennedy mit Beratern und Botschaftern statt, Thema: Vietnam und Brasilien. Elio Gaspari,  bekannter brasilianischer Historiker und Verfasser eines Standartwerks über die brasilianische Militärdiktatur hatte Zugang zu den Tonbandaufnahmen, die vom Weißen Haus selbst über die Gespräche gemacht worden waren. „Sollen wir in Brasilien militärisch intervenieren?“ fragt Kennedy seinen Botschafter in Brasilien, Lincoln Gordon, und der antwortet, dies sei nicht nötig, da das „Szenario der Intervention schon auf dem Tisch liegt für den Fall, dass Goulart einen Linksschwenk macht.“ Die US-Administration fürchtete nach Cuba nicht nur einen „Dominoeffekt“, es gefiel ihr auch nicht, dass Goulart angekündigt hatte, er wolle 10% der Gewinnüberweisungen multinationaler Unternehmen ins Ausland besteuern. Eines der politischen Schlüsselerlebnisse Che Guevaras war der 1953 von der CIA in Guatemala durchgeführte Militärputsch. Die gewählte Regierung von Jacobo Arbenz Guzmán hatte angekündigt, sie wolle die Bananenplantagen der US-Firma United Fruit verstaatlichen.

Wie war die Regierung Goulart orientiert? Vor Jahren hatte ich Gelegenheit zu einem Gespräch mit Leonel Brizola, dem mit Goulart  gestürzten brasilianischen Vizepräsidenten. Er schwärmte mir eine Viertelstunde lang von seiner Freundschaft mit Willy Brandt. Ein Kommunist?

João Goulart vergiftet?

Am zurückliegenden 18. Dezember erhielt João Vicente Goulart im brasilianischen Kongress eine Urkunde überreicht. Sein Vater war am 31.03.1964 von putschenden Militärs aus dem Präsidentenamt gejagt worden. Im Dezember 1976 kam er im argentinischen Exil unter Umständen zu Tode, die jetzt von der Nationalen Untersuchungskommission CNV, per Gesetz im Mai 2012, installiert, untersucht werden. Die sterblichen Überreste wurden exhumiert und zur Begutachtung u.a. durch das Internationale Rote Kreuz nach Brasilia gebracht. Die Familie von Jango ist davon überzeugt, dass er im Kontext der Operation Condor vergiftet wurde.1

Militärs und Wahrheitskommissionen

Mit der an den Sohn überreichten Urkunde wurde eine Wiedereinsetzung in den gewaltsam unterbrochenen Rechtsstatus vollzogen. An der Zeremonie im Kongressplenum nahm die Präsidentin Dilma Rousseff teil, des Weiteren die Oberkommandierenden der drei Teilstreitkräfte. Die Folha de São Paulo, eine führende brasilianische Tageszeitung beschreibt, wie Präsidentin und Kongress Beifall klatschten, nur die drei Generäle rührten keine Hand.2

Stehen sie ihren Putschkumpanen von 1964 noch immer näher als dem demokratisch gewählten Kongress? Die Episode wirft ein Schlaglicht auf die derzeitigen Bemühungen die Verbrechen der Militärdiktatur (1964 – 1985) aufzuarbeiten. Sie werden in der brasilianischen Öffentlichkeit, in Politik und Militär nicht zu jenem eindeutigen Zukunftsausblick führen wie das die beiden Schlüsselworte Nunca Mais – Niemals Wieder – erhoffen lassen könnten. 1979 unterzeichnete der Militärpräsident Figueiredo ein Amnestiegesetz, das den Exilierten die Rückkehr ermöglichte, aber auch den Militärs für die von ihnen begangenen Verbrechen Straffreiheit zusicherte.

Brasilien ist das einzige lateinamerikanische Land, in dem Folter, Mord und andere gravierende Menschenrechtsverletzungen der Militärdiktatur bis heute strafrechtlich weitestgehend ungesühnt bleiben. Als vor Jahren der damalige Präsident Lula andeutete, dass er an eine Revision des Amnestiegesetzes denke, reichten eben jene Oberkommandierenden der Teilstreitkräfte ihren Rückstritt ein. Die Nationale Wahrheitskommission ist also ein Kompromiss. Sie darf weder Strafen aussprechen noch Bestrafung empfehlen. Nach der von der Präsidentin jetzt verfügten zeitlichen Verlängerung wird sie ihre Resultate Ende 2014 vorlegen. Ihre Wirkung zeigt sich indes nicht nur in ihren unmittelbaren Ergebnissen, sondern vor allem darin, dass sich in ihrem Gefolge 77 weitere Wahrheitskommissionen auf Länder-, kommunaler und Universitätsebene gebildet haben. Sie alle decken auf – und sehen sich doch allzu oft mit Widerstand und Sabotage aus den Reihen der Streitkräfte konfrontiert.

Operation Condor – ein paar Einblicke

Am 19. Dezember wurde der CNV ein wichtiges Dokument überreicht: ein Hilfsgesuch der III. brasilianischen Heeresgruppe, Standort Südbrasilien, vom 20. Mai 1976 an die argentinischen Putschisten, in dem um Überwachung und Ausspionierung "subversiver brasilianischer Elemente" gebeten wird. Auf der Liste steht der Name João Goulart. Einer von zahllosen Hinweisen auf die Zusammenarbeit eines Dutzends lateinamerikanischer Militärdiktaturen im Projekt Operation Condor, das das Ziel hatte, Dissidenten und Widerstandskämpfer zu eliminieren.

Und so war der erste Gang von João Vicente Goulart nach der Kongreß-Sitzung zum Generalstaatsanwalt, um ihn zu bitten, ein offizielles Gesuch an die Regierung der Vereinigten Staaten für ein Verhör von Michael Townley zu richten.3 Townley, ein ehemaliger US-chilenischer Agent, war wegen Teilnahme an der Ermordung von Orlando Letelier in den USA verurteilt worden. Letelier war Botschafter Allendes in den Vereinigten Staaten und dies, nachdem die Regierung Allende die sich im Besitz von US-Firmen befindlichen Kupferminen verstaatlicht hatte. Letelier wurde im September 1976, ein Viertel Jahr vor Goulart’s Tod, im Washington mit einer Autobombe ermordet. Auch der chilenische Ex-General Manuel Contreras und Initiator des Condor-Bündnisses wurde 1993 von der chilenischen Justiz wegen Mittäterschaft im Fall Letelier verurteilt.

Als Chef von Pinochets berüchtigtem Geheimdienst DINA hatte sich Contreras am 28. August 1975 in einem Brief an seinen brasilianischen Amtskollegen João Baptista Figueiredo, Geheimdienstchef des Militärpräsidenten Ernsto Geisel (und dessen Nachfolger als Militärpräsident) gewandt. Er äußerste sich besorgt über einen möglichen Wahlsieg Jimmy Carters in den USA und die Unterstützung von führenden Politikern, die gegen die Diktaturen arbeiten, wie "Orlando Letelier und JK". Diese politische Leitfiguren "könnten die Stabilität des Cono Sur ernsthaft gefährden".

JK ist das Populärkürzel in Brasilien für Juscelino Kubitschek, Präsident von 1956 – 1961, Gründer von Brasilia. Sein Tod, bisher als Folge eines Autounfalls am 22. August 1976 dargestellt, also wenige Wochen vor dem Attentat auf Letelier, wurde jetzt von der Wahrheitskommission Vladimir Herzog der Stadt São Paulo untersucht. Sie kommt anhand von zahlreichen Aussagen, Gutachten und Beweisen zum Ergebnis, dass Kubitschek ermordet wurde. Hauptindiz ist ein Einschussloch im Schädel von Kubitscheks Fahrer.4

US-amerikanische und europäische Unterstützung

Repression, Folter, Verschwindenlassen und Mord war aber nicht nur auf der Ebene einiger lateinamerikanischer Diktaturen organisiert, sondern erhielt auch massive Unterstützung aus den USA und Europa. Die School of Americas in der Panama-Kanalzone, in der lateinamerikanische Offiziere in Techniken der Folter und Guerillabekämpfung ausgebildet wurden ist ebenso bekannt wie der Fall des US-amerikanischen Folterspezialisten Dan Mitrione in Uruguay. Nach und nach kommt indes Weiteres zum Vorschein: Die Wahrheitskommission der Gesetzgebenden Versammlung von Sao Paulo führte am 17. Dezember 2013 Anhörungen zum Fall des französischen Generals Paul Aussaresses durch, der, getarnt als Militärattaché, an der Militärakademie von Manaus lateinamerikanische Offiziere in den besagten Techniken ausbildete. Sein Name war im Jahr 2000 in Frankreich bekannt – oder soll ich sagen berüchtigt geworden, nachdem ihn eines seiner im Algerienkrieg gefolterten Opfer in der Tageszeitung Le Monde anklagte. Aussaresses, vor kurzem verstorben, hatte drei Bücher veröffentlicht, in denen er summarische Exekutionen eingesteht und detailliert beschreibt. Außerdem spricht er über seine brasilianischen Freunde: der inzwischen ebenfalls verstorbene General João Baptista Figueiredo, von 1979 – 1985 Geheimdienstchef und danach selbst Militärpräsident ebenso wie der berüchtigte Leiter des DOPS, Folterzentrum von São Paulo, Sérgio Fleury.5

Die Heckler&Koch-Lizenz

Das erste ausländische Staatsoberhaupt, das den brasilianischen  Putschisten die Ehre und internationale Aufwertung eines Staatsbesuch gab, war der westdeutsche Staatspräsident Heinrich Lübke – fünf Wochen nach dem Putsch stand er in Brasilia auf der Matte. 1968 dann der westdeutsche Außenminister Willy Brandt, der mit den Generälen die kommende atomare Zusammenarbeit vorbereitete. 1974 – so weitere jetzt aufgedeckte Geheimakten – schwor der Militärpräsident Ernesto Geisel den brasilianischen Generalstab auf den Bau einer Atombombe ein. Ein Jahr später unterzeichnet der westdeutsche Genscher den deutsch-brasilianischen Atomvertrag, offiziell zur friedlichen Nutzung, insgeheim aber mit militärischer Option.

Aus "Die Zeit“ vom 12.12.2013 erfahren wir, dass die deutsche Kriegswaffenfabrik Heckler & Koch 1976 an die brasilianische Militärdiktatur eine Lizenz zur Produktion des G3-Gewehres vergeben durfte. Wozu brauchte man Mitte der 70er Jahre in Lateinamerika solche Unmengen an Gewehren? "Zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung“. So jedenfalls lautet die Klausel im Geheimvertrag, über den 1975 massive Gewehr-, Pistolen- und Munitionslieferungen der brasilianischen Militärregierung unter Ernesto Geisel an Pinochet geregelt wurden. Die Dokumente wurden  2013 vom brasilianischen Verteidigungsminister Celso Amorim an die Nationale Wahrheitskommission übergeben.

Helmut Schmidt empfing Ernesto Geisel 1978 im Bundeskanzleramt in Bonn mit einem Festbankett. Die Jusos protestieren: ”Es ist geradezu eine abenteuerliche Politik, einer Diktatur, die zur Nutzung ihrer machtpolitischen Interessen noch nie Skrupel bei der Auslöschung von Menschenleben gezeigt hat, die radikalsten Vernichtungsmöglichkeiten in die Hand zu geben. Die Anwesenheit des Diktators Geisel in der BRD ist eine Provokation für alle Demokraten.” Der damalige Juso-Vorsitzende hieß Gerhard Schröder.

  • 1. Correio do Estado, 03 de janeiro de 2014.
  • 2. Folha de S. Paulo, 19/12/2013.
  • 3. Comissão Nacional de Verdade, 05/01/2014.
  • 4. CartaCapital, 09/12/2013.
  • 5. Agência Brasil, 17/12/2013.