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EZLN: Perspektiven aus dem Dschungel

Neue Nachrichten aus den Bergen des mexikanischen Südostens. Den Zapatistas zufolge häufen sich die sozialen und politischen Spannungen in Chiapas

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Milizionäre der EZLN auf einer Trauerkundgebung Mai 2014 in La Realidad
Milizionäre der EZLN auf einer Trauerkundgebung Mai 2014 in La Realidad

Mexiko-Stadt. Die mexikanische Rebellenorganisation Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) hat in den vergangenen Tagen vier Kommuniqués veröffentlicht, die zur Lage im südlichen Bundesstaat Chiapas und auf Bundesebene Bezug nehmen. 

Die ersten beiden Schreiben stellen auf didaktische Art und Weise die autonomen zapatistischen Gemeinden denen gegenüber, die den unterschiedlichsten politischen Parteien nahestehen und von der mexikanischen Regierungspolitik abhängig sind. Unter dem Titel "Und währenddessen in … den Gemeinden der Parteianhänger" gibt die EZLN Erfahrungsberichte besagter Parteianhänger wieder, die von der Einflussnahme staatlicher Funktionäre gegenüber den Gemeinden zeugen. Beschrieben werden verschiedene Fälle, in denen sich der systematische Missbrauch politischer Unbedarftheit der Dorfbewohner durch den Staat zeigt. Unter dem Vorwand, Sozialprogramme zu verteilen unterschreiben die Dorfbewohner etwa Behördendokumente, um später von staatlichen Stellen mitgeteilt zu bekommen, dass sie damit auf ihre Landtitel verzichtet hätten und ihr Zuhause verlassen müssten. In Folge würden die frei gewordenen ländlichen Flächen, so heißt es weiter, für touristische oder landwirtschaftliche Großprojekte umgenutzt. An anderer Stelle erzählt das Schreiben von erzwungenen sexuellen Handlungen junger indigener Frauen mit Behördenangestellten in der Hauptstadt Chiapas', Tuxtla Gutiérrez. Auch mit Blick auf die gängige Regierungspraxis in manchen südamerikanischen Ländern konstatieren die Zapatistas kritisch: "Das ist es, wozu der staatliche Populismus fähig ist: Probleme werden nicht gelöst, sondern vergrößert und in andere Gegenden verfrachtet.“ Angesichts der schwerwiegenden Probleme gäben sich manche Parteianhänger als Zapatistas aus. Denn nur so würden sie respektiert, wird ein Parteianhänger zitiert.

Ein weiteres Kommuniqué mit dem Titel "Und in den zapatistischen Gemeinden?" berichtet von den jüngsten positiven Entwicklungen auf zapatistischem Terrain, das sich nicht nur in einem quantitativen Wachstum der Bewegung ausdrückt. In den von den Zapatistas selbst verwalteten Bereichen wie Gesundheit, Bildung und Handel werden nach eigener Angabe langsame aber stetige Fortschritte erzielt, die auf einer kollektiven Arbeitsorganisation fußen. Mit einem für die Bewegung charakteristischen Sinn für Humor heißt es an anderer Stelle: "Aber nicht alles läuft gut. Wir sagen Ihnen klar, dass wir einen Fehler sehen: die zapatistischen Frauen schreiten mehr voran als die Männer. Anders gesagt, nicht im gleichen Maße werden Fortschritte gemacht."

Ein weiteres Kommuniqué aus dem Dschungel ist lediglich von Subcomandante Galeano unterschrieben und nicht, wie die vorherigen, gemeinsam mit Subcomandante Moisés. Es ist an den mexikanischen Schriftsteller Juan Villoro Ruiz adressiert, Sohn des 2014 verstorbenen Philosophen Luis Villoro Toranzo, welcher in einem engen Austausch mit der EZLN stand. Galeano bezieht sich darin auf die Kunst, die Wissenschaften und die indigenen Völker als Mittel, um eine Welt fernab unterdrückerischer Systeme aufzubauen. Die Literatur sei hierbei davon ausgenommen. Diese habe die Aufgabe, die drei vorherigen Elemente miteinander zu verbinden.

Wenige Stunden bevor das zweite Kommuniqué veröffentlicht wurde, machte ein anderes Schreiben zuerst die große Runde. Der erste Richter des Bundesstaats von Chiapas, Juan Marcos Dávila Rangel, ließ verlauten, dass aufgrund von Verjährung gegen dreizehn Mitglieder der EZLN die strafrechtliche Verfolgung ausgesetzt wurde. Obwohl bereits drei Wochen nach dem Aufstand am 1. Januar 1994 vom damaligen Präsidenten Carlos Salinas de Gortari ein allgemeines Amnestiegesetz zugunsten der Aufständischen verabschiedet worden war, soll die juristische Verfolgung erst jetzt eingestellt worden sein. Laut dem richterlichen Text, in dem statt eines Klarnamens des ehemaligen Sprechers der EZLN lediglich "El Subcomandante Marcos" zu lesen ist, bezogen sich die Delikte auf den Zeitraum von 1995. Die Antwort, in einem dritten Kommuniqué ließ nicht lange auf sich warten. In spöttischem Ton wird angemerkt, dass Subcomandante Marcos bereits vor zwei Jahren für tot erklärt wurde. Ende Mai 2014 ließ die Bewegung ihren ehemaligen Sprecher, der nach eigenen Angaben lediglich eine mediale Figur war, in einer symbolischen Akt im Dschungel "sterben". Seitdem ist Subcomandante Moisés der neue Sprecher der EZLN und Anführer ihrer Streitkräfte.

Dass mit dem richterlichen Beschluss die Maßnahmen gegen die zapatistische Bewegung aufhören werden, darf jedoch bezweifelt werden. Die aktuelle chiapanekische Regierung unter dem Gouverneur Manuel Velasco Coello buhlt zwar um Anerkennung. Die gewaltsamen Vertreibungen zapatistischer Gemeinden und nicht zuletzt die Morde der vergangenen Jahre zeugen jedoch von politischer Kontinuität. Wohl auch deswegen schreiben Subcomandante Galeano und Subcomandante Moisés am Ende des zweiten Kommuniqués, dass die Regierung weiterhin beabsichtigt, die autonomen Regierungszentren, die sogenannten Caracoles, anzugreifen, um sich des Zapatismus zu entledigen.