Venezuela: "Unsere größte Stärke liegt in der Beteiligung der Bevölkerung"

Kevin Rangel von der "Revolutionären Strömung Bolívar und Zamora" zum vereitelten Putsch 2002 und aktuellen Krisen des Prozesses in Venezuela

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Vor dem Präsidentenpalast Miraflores in Caracas versammelten sich Hunderttausende und verlangten die Rückkehr von Präsident Chávez
Vor dem Präsidentenpalast Miraflores in Caracas versammelten sich Hunderttausende und verlangten die Rückkehr von Präsident Chávez

Gespräch mit dem landesweiten Koordinator der Revolutionären Strömung Bolívar und Zamora (CRBZ), der größten landesweiten Basisorganisation in Venezuela. Zu ihr gehören unter anderen die Bauernorganisation Frente Campesino, die nationale kommunale Front Simón Bolívar, die Bewegung Arbeitermacht, das Zentrum für Bildung und soziale Studien Simón Rodriguez sowie zahlreiche Kommunen, Kommunale Städte und Kommunale Räte1.

Was ist ihrer Meinung nach das wichtigste am 13. April 2002?

Wenn man heute, 15 Jahre danach, vom 13. April 20022

Die Putschisten ließen Chávez entführen und setzten per Dekret die venezolanische Verfassung außer Kraft, lösten das Parlament und den Obersten Gerichtshof auf und erklärten den Unternehmer Pedro Carmona, den Chef des Unternehmerverbandes, zum Präsidenten. Sie verbreiteten die Lüge, Chávez habe eine Rücktrittserklärung unterzeichnet.

In den folgenden Tagen gelang es durch Massenproteste und loyale Militärs, den Putsch niederzuschlagen. Am 13. April kehrte Chávez aus der Gefangenschaft in sein Amt zurück.

Zahlreiche der heute noch im Oppositionsbündnis "Tisch der demokratischen Einheit" (MUD) aktiven Parteien und Politiker unterstützten damals den Putsch. So hatten neun Mitarbeiter am Regierungsprogramm des MUD 2002 das Carmona-Dekret unterzeichnet sprechen will, muss man vom politischen Subjekt, dem Hauptakteur dieses Tages sprechen, dem kämpferischen Volk, das einst Bolívar3 und Zamora4 bei den großen Siegen für die Unabhängigkeit begleitete und das seit den Zeiten des Kolonialismus bis zur heutigen imperialistischen Weltordnung permanent gegen die auferlegte Ordnung rebellierte. Es ist dieses Volk, das sich 1989 gegen die Maßnahmen des Internationalen Währungsfonds auflehnte und später voller Hoffnung Chávez an die Macht brachte, einen Mann, der, sagen wir es so, Hoffnungen eröffnete.

Vom 13. April sprechen, heißt vom Protagonisten dieses Kampfes sprechen, dem Volk. Seit dem 11. April und schon in den Tagen vor dem Putsch war es da, mobilisiert, aktiviert, und in permanenter Mobilisierung weiter gegen den Ölstreik und gegen die faschistischen Sektoren seines historischen Feindes, der Bourgeoisie – jener Bourgeoisie, die 15 Jahre später versucht, das Land zu destabilisieren. Der 13. April ist der Beweis, dass unsere größte Stärke in der Beteiligung und im Protagonismus des Volkes liegt.

Es ist klar, dass das Volk das Subjekt ist, aber was können wir über das Volk damals sagen?

Man muss diesen Prozess kontextualisieren. Das Volk war 2002 'entflammt', es kam gerade aus einem Kampf, auch aus einem Wahlkampf und hatte die Verfassung der vierten Republik demontiert. Es kam aus einem Prozess der verfassunggebenden Versammlung, in dem Chávez die Beteiligung aktivierte und das Volk und das ganze Land dazu brachte, die Bestimmung und die Richtung der Republik zu diskutieren. In diesem Sinne haben wir als Volk einen Organisationsprozess durchlaufen, einen Prozess der Bewusstwerdung ausgehend vom Projekt der Verfassung der Bolivarischen Republik Venezuela.

Man muss dies als Modell der partizipativen und protagonistischen Demokratie sehen, die während diesen 15 Jahren Werkzeuge und Instrumente geschaffen hat, damit die Beteiligung und der Protagonismus der Leute wirksam würde.

Wir in der Revolutionären Strömung Bolivar und Zamora warenTeil dieser Entwicklung, dieser Politik der Teilnahme, der Überzeugung und Chávez verpflichtet. Das Projekt besteht in der Beteiligung des Volkes, das definitiv das Subjekt der Bolivarischen Revolution ist. Ein Subjekt, das weiter organisiert und ausgebildet werden muss. Wir müssen uns dafür vorbereiten, das Schicksal des Landes zu lenken. Das hat Chávez von Anfang an verankert. Er hatte immer die klare Vision, dass die revolutionäre Demokratie, die wir entwickeln, eine sein müsse, an der alle teilhaben und dass dies ein permanenter Kampf, ein politischer Kampf ist. Und dass wir uns auf dem Terrain der Politik, der Ideen organisieren, um die Mehrheit zu überzeugen und aufzubauen, um die Kämpfe führen und gewinnen zu können. Mit Chávez haben wir das alles in all den Jahren geschafft. Das ist Teil der Entstehungsgeschichte, des Wesentlichen dieses Projektes.

Sind wir 15 Jahre nach diesen Ereignissen immer noch mit den selben Auseinandersetzungen konfrontiert?

Seit diesem Staatsstreich und der historischen Rettung der Demokratie sind 15 Jahre vergangen. Es sei daran erinnert, dass wir mit dieser Aktion das erste Volk in der Welt waren, das seinen durch einen Militärputsch gestürzten Präsidenten an die Macht zurück gebracht hat. Ein Putsch, bei dem das Imperium seine Finger im Spiel hatte. Denn wer die gesamte Operation des Staatsstreiches 2002 geleitet hat und heute die Operationen gegen Venezuela weiterhin anführt, ist das US-amerikanische Imperium, der strategische Gegner der Revolution. Jenes Imperium, das heute Syrien und Afghanistan bombardiert. Es ist das gleiche Imperium, das hier die Guarimbas5 steuert, Geld investiert, um die Studenten zu bezahlen, damit sie das Land in Brand setzen. Heute, 15 Jahre später, entfesselt sich der Hass auf Seiten dieser Oligarchie weiter und vertieft sich. Und diesen Hass drücken sie immer noch aus und versuchen die Leute zu verwirren und Gewalttaten zu provozieren.

Sind wir vorbereitet, um weiter gegen diese fortwährenden Aggressionen Widerstand zu leisten?

Dieses Volk hat Bewusstsein und ist für große Dinge gemacht. Das venezolanische Volk wird sich nicht verwirren lassen. Wir leben in einer sehr komplexen Situation, in einer ökonomischen und politischen Situation mit großen Schwierigkeiten. Wir machen eine große Führungskrise durch. Diese Führungskrise und politische Krise sollte unserer Meinung nach mit der Beteiligung der Leute bekämpft werden. Es ist das Volk, das diese politische, ethische Krise, die Führungs- und die Glaubwürdigkeitskrise bekämpfen muss. Mechanismen der Partizipation müssen aufgebaut und verstärkt werden. Der Organisationsgrad der Leute muss erhöht werden, damit die Sprecher, die legitim aus dem Volk kommen, dazu beitragen, eine neue Führung aus dem Volk heraus zu schaffen, um Entscheidungs- und Leitungsebenen in der Bolivarischen Revolution zu besetzen.

Die Instanzen der Partizipation und des Protagonismus müssen gestärkt werden. Dies ist unserer Auffassung nach der Kern der Sache, hier liegt das grundlegende Problem in dieser Etappe.

Es geht darum, den Leuten die partizipative Demokratie zurückzugeben. Wir glauben, dass der Grad der Beteiligung erhöht werden muss, die Mechanismen des politischen Kampfes verstärkt werden müssen, wie Chávez ihn uns lehrte, um aus diesem Szenario heraus zu kommen. Die gegenwärtige Krise, die die Revolution durchmacht, erfordert es zuerst, zu Chávez zurückzukehren, zu seinem Denken, seinen Ideen, seinem Projekt. So werden wir uns wieder politisieren, den Diskurs und die Codes, die Ästhetik und die Sprache wieder herstellen, um das Volk zu überzeugen.

Das ist der Kampf, dem die Revolutionäre und die Revolutionärinnen sich stellen müssen. Das ist, was uns der Comandante Chávez gelehrt hat. Genau da wollen wir den Akzent setzen, denn es geht nicht darum, abzubremsen und einen Wahlkampf zu führen. Die Demokratie muss geöffnet und vertieft werden. Der politische Kampf muss wieder politisiert werden. Wir werden überzeugend sein, aber wir müssen es auf eine andere Art und Weise tun, wir können nicht immer das gleiche Erzählen, den gleichen Diskurs führen.

Mit den Leuten haben wir am 13. April 2002 gewonnen, welche Rolle sollten sie in der aktuellen Situation des Landes spielen?

Das Volk muss eine aktivere Rolle einnehmen, es muss aufgerufen und einbezogen werden, um die Maßnahmen gegen den Putsch und gegen die Verschwörung zu organisieren. Eine landesweite Front zur Verteidigung der Souveränität muss aufgebaut werden, eine Front, die die große Mehrheit zusammenbringt, die popularen Bewegungen, die Kommunalen Räte, die Kommunen, das organisierte chavistische Volk, um die Verschwörung zu besiegen. Und dies kann nicht von oben geschehen, nicht vom Überbau der Regierung und der Partei aus.

Genau am heutigen 13. April müssen wir darauf den Schwerpunkt legen: auf die partizipative und protagonistische Rolle der Leute. Wir denken zum Beispiel, dass das Nationale kommunale Parlament eine Instanz sein soll, die Versammlungen einberuft, um die Gesetze zu entwickeln, die die Revolution braucht und die Geldmittel und Haushalte des Landes zu beschließen. Die Rolle, die die Nationalversammlung gespielt hat, ersetzen wir durch das kommunale Parlament und mit den Präsidialräten6 beschließen wir die Entscheidungen und Pläne der Regierung, wir bestimmen die Aktionen in den Bereichen Sicherheit, Ökonomie, Ölwirtschaft. Das ist Sache des Volkes. Es ist von größter Bedeutung, zur Beteiligung an diesen Strukturen aufzurufen, damit sich das Volk aktiv und mit mehr Kraft dafür mobilisiert. Und deshalb muss man am 19. April massiv auf die Straßen gehen, sich mobilisieren um dies zu unterstützen und seinen Teil beizutragen: sich zu mobilisieren und an diesem Prozess zu beteiligen und auf die Straße zu gehen, um das Land zu verteidigen.

Die Rechte ruft zu einer epischen Schlacht auf, aber sie wird auf ein mobilisiertes und bewusstes Volk treffen. Wir als CRBZ rufen die revolutionäre Bewegung auf, gemeinsam um die Räume zu kämpfen, die unsere Errungenschaften sind. Und dazu, die Räume der Partizipation aufzubauen und zu erobern. Den Sozialismus werden wir aufbauen, indem wir uns mobilisieren. Es ist Zeit, dass wir Bewegungen eine aktivere Rolle übernehmen.

Die intellektuellen Urheber des Staatsstreiches im Jahr 2002 sind die selben, die sich heute weiterhin gegen unser Land verschwören. Denken Sie, dass die Gesetze entsprechend den Verbrechen, die sie begangen haben, angewandt worden sind?

Das Justizsystem, das wir gegenwärtig haben, muss grundlegend verändert werden. Wir vergessen das Urteil des Obersten Gerichtshofes (TSJ) nicht, in dem es hieß, dass die am Putsch beteiligten Militärs nur die besten Absichten gehabt hätten. Die Revolution braucht ein Rechtssystem, dass entschiedenere und konsequentere Positionen gegenüber den Verbrechen einnimmt, die die Führer der Konterrevolution begehen. Heute reproduzieren die intellektuellen Urheber des 11. April 2002 das selbe Verhalten, setzen ihre Pläne gegen die Interessen der Nation weiter fort, stacheln zum Hass auf und stiften ihre Anhänger an, das Leben von Mitbürgern anzugreifen, die Verfassung Venezuelas und die bestehende Rechtsordnung zu missachten.

Die Justiz hat in diesem Projekt auf der Seite des Volkes zu sein, das politische Subjekt der Revolution sind die Leute, ist das Volk und deshalb weisen wir immer darauf hin: ein Element, warum wir den kapitalistischen bürgerlichen Staat nicht überwinden können, drückt sich stark im Justizsystem aus, darin, wie die Justiz gehandhabt wird, wer Recht spricht. Die Bauern kämpfen dafür, das Erbe von Chávez und die mit dem Landgesetz eroberten Rechte zu bewahren. Indessen gab es Entscheidungen, die sich im Hinblick auf die Landrechte gegen dieses Erbe richten. Wir müssen die Straflosigkeit auf allen Ebenen beenden: der größte Feind des Rechtssystems ist die Straflosigkeit. Mit ausgebildeten, organisierten und mobilisierten Leuten werden wir das erreichen.

Die Einheit zwischen der Bevölkerung und den patriotischen Sektoren der Streitkräfte (FANB) ist fundamental, um aus dem aktuellen Krisenszenario der Revolution herauszukommen. Was ist Ihre Meinung dazu?

Das Thema der zivil-militärischen Einheit ist in der aktuellen Krisensituation von großer Bedeutung. Wer die Bolivarische Revolution ohne zivil-militärische Einheit auffasst, begreift sie nicht von ihren Ursprüngen und ihrer Zusammensetzung aus. Chávez hat von Beginn der Revolution an die Einheit des Volkes und der rebellischen und patriotischen Militärs aufgebaut, die sich am 4. Februar erhoben haben. Daher rührt diese Einheit, die bis heute unerschütterlich ist. Am 13. April begehen wir auch den Tag der Bolivarischen Miliz7. Die zivil-militärische Einheit ist der Schlüssel, um die Verschwörung und den Putsch zu besiegen, denn die Partizipation der Leute besteht nicht nur in Wahlen, sondern im Kommunalen Rat, in der Kommune, in der Kommunalen Stadt, in den strategischen und taktischen Entscheidungen, welche die Gegenwart und Zukunft des Landes bestimmen. Das venezolanische Volk ist in dem Projekt, das wir mit Chávez begonnen haben, aufgerufen, die Verantwortung für die Sicherheit und die Verteidigung des Landes zu übernehmen, das Rechtssystem zu transformieren, den bürgerlichen und kapitalistischen Staat zu überwinden und die Volksregierung zu übernehmen. Das ist das Projekt. Die zivil-militärische Einheit soll auf allen Ebenen umgesetzt werden, nicht nur bei der Sicherheit und Verteidigung, sondern auch in anderen Aspekten des nationalen Lebens, wie Präsident Chávez dies im "Plan für das Vaterland" hervorgehoben hat: bis hin zur Agrarproduktion sollen wir mit den patriotischen, den revolutionären Kräften der FANB zusammenarbeiten.

  • 1. Als Kommune (Comuna) wird der Zusammenschluss mehrerer selbstorganisierter Gemeinden bezeichnet, die sich auf Grundlage lokaler Selbstverwaltung in Form von Kommunalen Räten zu einer regionalen Einheit verbinden. Sie können laut der venezolanischen Verfassung eigene Rechts- und Wirtschaftsformen entwickeln. Diese Basisstrukturen werden parallel zu den bestehenden Institutionen aufgebaut und sollen durch die Selbstregierung der Bevölkerung den bestehenden bürgerlichen Staat überwinden
  • 2. Am 11. April 2002 hatten Teile des Militärs mit Unterstützung privater Medienkonzerne, oppositioneller Parteien, der Führung der katholischen Kirche, des Gewerkschaftsdachverbands CTV und des Unternehmerverbandes Fedecámaras den linken Präsidenten Hugo Chávez aus dem Amt geputscht. Bei Demonstrationen wurden 19 Menschen – sowohl Oppositionsanhänger als auch Unterstützer der Regierung – von Scharfschützen erschossen. In den Oppositionsmedien des Landes sowie in internationalen Medien wurde verbreitet, die "bolivarischen Zirkel" hätten auf Anordnung des Präsidenten damit begonnen, ein "Massaker am Volk" zu begehen. Dies wurde zur Hauptbegründung für den Putsch.
  • 3. Simón Bolívar, südamerikanischer Kämpfer gegen die Kolonialherrschaft im 19. Jahrhundert und für die Einheit Lateinamerikas, gilt in Venezuela und vielen Länder der Region als Befreiungsheld
  • 4. Ezequiel Zamora, venezolanischer Bürgerkriegsgeneral und Bauernführer des 19. Jahrhunderts, bekannt als "Schrecken der Oligarchie". Gilt als Symbol für den Kampf der Bauern um Boden und für eine antioligarchische Politik
  • 5. Gewalttätige Straßenaktionen kleiner oppositioneller Gruppen
  • 6. Die seit dem Jahr 2014 gebildeten Präsidialen Räte der Volksregierung mit den Kommunen (Consejo Presidencial del Gobierno Popular con las Comunas) sollen in allen Bundesstaaten die Rolle der Basisbewegungen in der Planung der öffentlichen Angelegenheiten stärken. Sie sind als Schnittstelle zwischen sozialen Bewegungen, regionalen und bundesstaatlichen Autoritäten konzipiert
  • 7. Diese auf Anregung von Chávez entstandenen Milizen aus freiwilligen Zivilisten wurden zunächst in den ländlichen Gebieten von organisierten Bauern, später auch in staatlichen Fabriken und in den Armenvierteln des Landes aufgebaut. Seit 2010 sind sie formal in die Reserve der Streitkräfte integriert und symbolisieren in der Politik der sozialistischen Regierung die "zivil-militärische Einheit", die das venezolanische Volk und die Bolivarische Revolution verteidigt
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