Kolumbien / Politik

Kolumbien: Überlegungen zum Wahlergebnis und zur neuen Regierung

Aktivisten bezeichnen das Wahlergebnis für den Linkskandidaten Petro als historisch. Warnung vor "neoliberaler Offensive auf neuem Niveau" durch die rechte Regierung

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Gustavo Petro dankte am Wahlabend acht Millionen "freien und aufrechten" Kolumbianern für ihre Stimme (Screenshot)
Gustavo Petro dankte am Wahlabend acht Millionen "freien und aufrechten" Kolumbianern für ihre Stimme (Screenshot)

Historisch: Acht Millionen Menschen stimmten für das Bündnis Menschliches Kolumbien

Von Colombia Informa

Der progressive Kandidat Gustavo Petro erlangte bei den kolumbianischen Präsidentschaftswahlen 8.016.402 (41,8 Prozent) Stimmen: das ist die größte Stimmenanzahl, die ein alternativer Kandidat in dem Land erreicht hat und steht im Gegensatz zu früheren Präsidentschaftswahlen, etwa im Jahr 2006, als der linke Kandidat Carlos Gaviria 2.613.157 Stimmen erhielt oder 2004, als Clara López auf 1.958.410 Stimmen kam.

Iván Duque erreichte 10.351.304 Stimmen (53,97 Prozent). Im Vergleich zum ersten Wahlgang konnte Petro 3.173.433 Stimmen hinzugewinnen, wohingegen Duque 2.781.611 mehr erreichte.

Der Frieden und ein menschenwürdiges Leben in Kolumbien

Der Frieden spielt eine sehr große Rolle in dieser Regierungszeit, die Sorgen der Kolumbianer drehen sich um den Aufbau des Friedens in ihren Gebieten und die Verteidigung ihrer Lebenspläne ohne Extraktivismus. Iván Duque hat während seiner Kandidatur mehrmals bekräftigt, dass er den Prozess der Friedensgespräche mit der Nationalen Befreiungsarmee (Ejército de Liberación Nacional, ELN) nicht fortführen und versuchen wird, den Friedensvertrag mit den vormaligen Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia, Farc) – jetzt Alternative Revolutionäre Kraft des Volkes – zu modifizieren. Die Vorgängerregierung hatte diesen Vertrag schon nur unzureichend erfüllt.

Weitere wichtige Themen sind die Umwelt und die Verteidigung der Territorien. Hervorzuhebende Beispiele sind hier etwa die Fälle Hidroituango, La Lizama, Santurbán, El Quimbo, Urrá I und II. Sie alle haben Auswirkungen auf die Bewohner an den Flüssen, den im Kleinbergbau tätigen Menschen, den Bauern und den indigenen Einwohnern und haben den betroffenen Gemeinden nicht die Beschäftigung gebracht, die durch den Tourismus versprochen worden waren.

Obgleich die systematische Ermordung von gesellschaftlichen Führungspersönlichkeiten auch während der Präsidentschaft von Juan Manuel Santos nicht aufhörte - denn laut der kolumbianischen Ombudsstelle wurden seit dem Jahr 2016 insgesamt 282 Anführer sozialer Bewegungen und Menschenrechtsaktivisten ermordet – wird die Befürchtung vor Verfolgung und Ermordung von sozialen und politischen Anführern noch weitaus größer, wenn man sich vor Augen führt, welches Ausmaß die Verfolgung gegenüber sozialen Bewegungen während der Regierungszeit von Uribe (2002-2010) angenommen hatte.

Trotz des möglichen rechtsgerichteten politischen Szenarios einer Präsidentschaft Iván Duques, liefern uns die Wahlergebnisse eine Reihe von Fakten, die ein Land wiederspiegeln, das über Jahrzehnte hinweg von traditionellen Politikern regiert worden ist und nun aber eine Transformation in seinem politischen Handeln anstrebt.

In diesem Sinne ist es notwendig zu verstehen, dass die Stimmabgaben das Ergebnis verschiedener sozialer Akteure und Gesellschaftsschichten sind, die sich gegen die traditionelle Politik der herrschende Klasse des Landes zusammenschlossen. Dieses Zusammenfließen spiegelte sich in den mehr als acht Millionen Menschen wieder, die ihre Stimme Menschliches Kolumbien gaben.

Quelle: http://www.colombiainforma.info/historico-ocho-millones-de-personas-le-apostaron-a-la-colombia-humana/


Das Mögliche, das nicht eintrat, aber sein könnte

Von Joan Pedro Carañana

Sich organisieren für den Widerstand und den Wandel. Die Fallstricke der Rechten, die Angst und "die extreme Mitte"

Gustavo Petro ruderte gegen die Geschichte, die Umfragen, die Angst, die falschen Nachrichten und den Betrug an. Er konnte den Uribismus nicht besiegen, aber zum ersten Mal seit langer Zeit gab es eine organisierte Hoffnung und das ist wichtig. Die Schwierigkeit liegt darin, dass die Rechten sehr viel Unterstützung erfahren, die Angst Schaden anrichtet und die extreme Mitte zu beidem beiträgt.

Die Rechten sind stark

Man muss berücksichtigen, dass der Uribismus eine lange Tradition massiver Unterstützung hat (sie ist emotional verwurzelt) und ebenso von betrügerischer Wahlmanipulation, von Desinformation und der Produktion von fake news. Auch darf man nicht vergessen, dass sich die Landbevölkerung und die älteren Wähler mehrheitlich für Duque entschieden (genauso wie es in Antioquia und in der Kaffeeanbauregion der Fall war). Obwohl die jüngsten Wähler Petro unterstützen, gewann Duque in der Altersgruppe der 25- bis 34-Jährigen. Auch die Frauen votierten mehrheitlich für Duque.

Duque überflügelte Petro in sämtlichen sozialen Schichten, im Besonderen in den beiden untersten (Schicht 1 und 2). Auch bei der Mittelschicht (Schicht 3) dominierte Duque deutlich. Bei den Oberschichten (4, 5 und 6) ist der Unterschied hingegen geringer.

Der selbstsüchtige Individualismus des Neoliberalismus (der auch der extremen Mitte inhärent ist) hat eine maßgebliche Wirkung im Verbund mit der Angst, da er eine Sorglosigkeit gegenüber der Armut und der Ungleichheit fördert, von der man selbst nicht betroffen ist. Wichtig, dass "ich davon nicht betroffen bin", und, den angstmachenden Aussagen (Chaos versus Ordnung) zufolge, genau dies hätte bei einer Präsidentschaft Petros passieren können, nicht jedoch mit Duque.

Die Frage ist, wie man in den verschiedenen Bevölkerungsgruppen und Territorien effektiv handeln kann, um den Wandel zu befördern. Der Hashtag #MiMamaVotaPetro (#MeineMamaWähltPetro) konnte helfen, war allerdings nicht ausreichend und erreichte jene Menschen nicht, die von den digitalen Blasen der Städte abgekoppelt leben.

Quelle: https://www.alainet.org/es/articulo/193542


Eine Regierung Duque

Von Salomón Kalmanovitz

Wie wird eine Regierung Duque aussehen? Er verfügt nur über eine geringe politische Erfahrung aus seiner Zeit als Juniorassistent in den Finanzministerien von Roberto Junguito Bonnet und Alberto Carrasquilla und, dank Juan Manuel Santos, aus elf Jahren als Kulturreferent für die Interamerikanische Entwicklungsbank. Seine gesamte politische Laufbahn verdankt er Álvaro Uribe, der ihn auf seine geschlossene Liste für den Senat setzte, in dem er zwei Amtsperioden verbrachte. Er ist diszipliniert und hat ein gutes Gedächtnis sowie ein Talent für das Singen und Tanzen, aber ihm fehlt die gründliche Ausbildung in Wirtschaftsfragen oder Sozialwissenschaften. Mein Punkt ist, dass er sehr abhängig sein wird vom Architekten der Koalition der extremen Rechten, die ihn ins Amt gebracht hat: von Ex-Präsident Uribe.

Besorgniserregend ist die hinter ihm stehende Koalition und dazu noch die klientelistischen Politiker, die sich auf seine Seite schlugen, als er im Begriff war die Wahl zu gewinnen. Sicherlich braucht es mehr als 55 Senatoren, um ohne Probleme regieren zu können und er kann bisher nur auf 19 zählen. Aus diesem Grund hat er den folgenden Parteien Ministerien und Ämter angeboten: Cambio Radical (16 Senatoren), Partido Conservador (15), Partido de la U (14) und der Partei von César Gaviria (möglicherweise 7). Hinzu kommen niedrigere Ämter für Alejandro Ordóñez und Viviane Morales. Es kehrt also die alte korrupte Politikerkaste zurück, als ob es im Wahlkampf keine Versprechungen gegeben hätte.

Die Rolle von Ordóñez und Morales wird ideologisch sein und seine Familienpolitik beeinflussen, die alleinstehende Mütter, schwangere Jugendliche und die LGBT-Bevölkerung diskrimineren wird. Außerdem wird es Diskriminierungen gegenüber den indigenen Ethnien und den Afrokolumbianern geben, während die Bildungspolitik gegen die Wissenschaft und zu Gunsten der von ihnen repräsentierten religiösen Überzeugungen ausgerichtet wird.

Duques ständige Hiebe gegen das, was von der Farc noch übrig ist, wird dazu führen, dass die Abtrünnigen, die den Friedensprozess aufgrund ihrer Überzeugung der Nichteinhaltung desselben ablehnten, gestärkt werden. Zudem wird der Friedensprozess mit der ELN nur schwer ein gutes Ende finden und möglicherweise nimmt diese Gruppe die Farc-Dissidenten auf, um das Kriegssgespenst zurückzubringen. Wir werden Santos vermissen.

Es wird eine Regierung sein, die versucht, die Rolle des Staates, der noch immer vom Klientelismus und weit verbreiteter Korruption durchzogen ist, zu reduzieren, den Reichen Steuern zurückerstattet und eine Aktualisierung der Grundbucheintragungen der 1.100 Verwaltungsbezirke Kolumbiens verhindert, die weiterhin im Staatshaushalt außen vor gelassen werden. Die öffentlichen Güter, die die Kolumbianer so dringend brauchen, werden weiter zurückgefahren. Die staatlichen Universitäten werden geschwächt und wieder zu Quellen des Widerstands gegen die Regierung werden.

Wenige haben es gewagt, an Uribes, Pastranas und Duques Affinität zu Donald Trump zu denken und was dies für die internationalen Beziehungen Kolumbiens in einer durch den nordamerikanischen Magnaten polarisierten Welt bedeutet. Die USA werden in Venezuela nicht einmarschieren, da sie das Leben weiterer junger Frauen und Männer nicht aufs Spiel setzen können, neben denen, die bereits im Irak und in Afghanistan sind, aber sie sind sehr wohl daran interessiert, die Regierung zu wechseln. Folglich wird Kolumbien eine Regierung Uribe-Duque haben, die sich gegenüber Venezuela angriffslustig zeigt und ein Embargo der USA bewirken könnte, das zum wirtschaftlichen Kollaps des Landes und möglicherweise seiner Regierung führt. Die Konsequenz wäre eine vielfach höhere Migration von Millionen venezolanischer Staatsbürger nach Kolumbien und Brasilien, die eine humanitäre Krise enormen Ausmaßes verursachen würde.

Glücklicherweise gibt es einen Block aus 27 Senatoren, die in der Opposition sind.

Alles in allem denke ich, dass schwierige Zeiten kommen.

Quelle: https://prensarural.org/spip/spip.php?article23203


Von 2018 bis 2022: Uribe 2.0 und neuer Inhalt des Wählerauftrages

Von Desde Abajo

(...) Mit der neuen Regierung treten wir in die Arena einer neoliberalen Offensive auf neuem Niveau ein, in der die herrschenden, mit dem internationalen Kapital verbundenen Sektoren sich darauf vorbereiten, das maximal Mögliche aus den wenigen Ersparnissen und Möglichkeiten derjenigen herauszupressen, die nichts anderes als ihre Arbeitskraft zum Überleben haben. Gleichzeitig werden sie den Staatsapparat an die harten Forderungen des globalen Kapitals anpassen und so ihre Formen der Herrschaft und sozialen Kontrolle vertiefen.(...)

Quelle: https://www.desdeabajo.info/colombia/item/34415-en-2018-2022-uribismo-recargado-y-nuevo-contenido-del-compromiso-popular.html