Venezuela / Politik

Venezuela: Schlüsselmomente des geplanten Putsches

Wenn die Rechte den Chavismus erneut unterschätzt, würde sie einen neuen und wieder gefährlichen Irrtum begehen

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Chavistische Demonstranten auf dem Weg zum Präsidentenpalast Miraflores am 23. Januar, um gegen den laufen Putschversuch zu protestieren und ihre Unterstützung für Präsident Maduro kundzutun
Chavistische Demonstranten auf dem Weg zum Präsidentenpalast Miraflores am 23. Januar, um gegen den laufen Putschversuch zu protestieren und ihre Unterstützung für Präsident Maduro kundzutun

Die Karten liegen auf dem Tisch. Zunächst weist alles darauf hin, dass erneut ein Putschversuch gegen die politische Macht im Gange ist. Er kommt nach einer Periode der Desorientierung mit einer Niederlage der Rechten und zugleich nach der Vorbereitung der Bedingungen für dieses Szenarium. Im politischen Bereich ist die Etappe von August 2017 bis Dezember 2018 beendet, setzt sich jedoch im wirtschaftlichen fort und vertieft sich. Beide Variablen überkreuzen sich, nähren sich gegenseitig. Wir sind mit einem Schema ununterbrochener umfassender Attacken konfrontiert.

Die zentrale Kraft dieses neuen Angriffes liegt in der Kombination der internen und der internationalen Situation. Vordergründig handelt es sich um den von der Nationalversammlung (AN) unternommenen Schritt, Nicolás Maduro als Usurpator zu bezeichnen und sich selbst als eine Parallelregierung mit ökonomischen, politischen und internationalen Befugnissen als neue Staatsmacht mit einem neuen Präsidenten zu proklamieren.

Diese Aktion ist direkt mit dem von der äußeren Front gegebenen grünen Licht verbunden und diesem untergeordnet. Diese Front verkündet, das Parlament als einzig legitime Macht in Venezuela anzuerkennen. Die Erklärungen von Sprechern der US-Regierung, der Gruppe von Lima ‒ mit Ausnahme Mexikos ‒, des Generalsekretärs der Organisation Amerikanischer Staaten und sich anschließenden Ländern wie Ecuador sind der Beleg dafür, wie die Schritte schon geplant waren, um verknüpft zu werden. Die Befehle kommen von außen.

Innerhalb dieses Schemas scheint ein ähnlicher Angriff im Gange zu sein, an dem sich alles entzündet und mit dem auch andere Länder in Brand gesetzt wurden, darunter insbesondere Libyen und Syrien – eine andere Debatte ist, wie im jeweiligen Fall das Ergebnis war. Es geht darum, eine Finanzblockade zu errichten, sich der Reichtümer der Nation zu bemächtigen, den Griff bis zur Erdrosselung zu schließen, um den Schlussangriff auf die Festung in Gang zu setzen, die von außen belagert und von innen beschossen wird.

Die noch unbeantwortete Frage ist, welches die Kräfte sind, die den Angriff anführen: eine neue Dimension einer paramilitärischen Attacke wie 2017? Zwischenfälle und Militarisierung an den Landesgrenzen? Ein Auftreten der Nato, zu der Kolumbien gehört? Innere Abspaltungen, für die die AN bereits eine Amnestie anbietet? Terroristische Angriffe? Eine Kombination dieser Formen und Akteure?

Die Lage scheint auf einen Auslöser zu warten

Die Schwäche des Konzepts wurde von Juan Guaidó, Mitglied der Partei Voluntad Popular – die wichtigste Brandstifterpartei im Jahr 2017 – und Präsident der oben erwähnten Nationalversammlung höchstselbst benannt: man bedarf der Unterstützung der Gesellschaft, der Nationalen Bolivarischen Streitkräfte (Fuerza Armada Nacional Bolivariana, FANB) und der internationalen Gemeinschaft. Das heißt, sie haben keine Möglichkeit, ihre Ankündigungen in Taten umzusetzen. Sie arbeiten daran und eines der Ziele ist, ihre soziale Basis wieder zu mobilisieren, die ihnen seit dem Sieg der verfassunggebenden Versammlung (ANC) nicht mehr geglaubt hat. Daher die Versammlungen in den Gemeinden, die vielen Geschichten, die in den Sozialen Netzwerken verbreitet werden, der Aufruf zur Mobilisierung für den 23. Januar.

Die andere Schwäche des Angriffsplanes ist die Stärke des Chavismus. Eine teilweise Stärke: denn das Missverhältnis zwischen dem Politischen und dem Ökonomischen wird immer größer. Nichts deutet darauf hin, dass es in kurzer Zeit kleiner werden könnte. Im Politischen erhält der Chavismus die Einheit aufrecht, unter unvermeidlichen Spannungen zwar, aber mit einer angesichts der Bedrohung gestärkten Mobilisierungsfähigkeit und der weit verzweigten Gesamtheit popularer Organisierung, auf der kommunalen Ebene, in den Milizien, der Vereinten Sozialistischen Partei (PSUV), und mit den FANB, die den Aufrufen der Millionäre nicht gefolgt sind, mit der ANC und mit der Anerkennung, die Nicolás Maduro trotz aller Schwierigkeiten als Führungsfigur der Bewegung genießt. Wenn die Rechte den Chavismus erneut unterschätzt, würde sie einen neuen und wieder gefährlichen Irrtum begehen.

Die zweite Stärke beruht auf der internationalen Manövrierfähigkeit, welche die Regierung entwickelt hat. Die Stellungnahmen Russlands sind eine der stärksten und sichtbarsten Karten. Der Konflikt spielt sich im Rahmen der aktuellen geopolitischen Auseinandersetzung ab, in dem die Gegengewichte mächtig sind. Die USA können nicht mehr so schalten und walten wie in den Jahren ihres Unilateralismus. Syrien ist ein Beweis für dieses neue Bild, China ist Ausdruck des ökonomischen Epizentrums dieses Konfliktes. Die Schlacht um Venezuela ist mehr als venezolanisch, sie ist geopolitisch.

Die Schwäche liegt in der wirtschaftlichen Situation. Sie funktioniert wie korrodierendes Wasser, das in Zeitlupe sowohl an der Oberfläche wie in den Tiefenbereichen für Verformungen sorgt. Dabei handelt es sich in erster Linie um die notwendigen Veränderungen, die die Mehrheit der Bevölkerung betreffen, um die Lage zu bewältigen. Dies kommt in Erscheinungen wie der Dollarisierung und der Ausbreitung der Wirtschaft des Einzelhandels an der Grenze zum Ausdruck – was nicht das Selbe ist wie der Handel mit Schmuggelware –, in spekulativen Preiserhöhungen in sämtlichen Dienstleistungsbereichen, den Geldüberweisungen von Außen, unterbezahlten Arbeiten für das Ausland und anderes mehr. Die zweite Ebene zeigt sich in weniger sichtbaren Dimensionen und tiefgehenden Auswirkungen, wo korrupte Mafiastrukturen, die Entstehung/Verfestigung einer neuen Unternehmerschaft, die als Klassenfraktion über ihre Interessen wacht, die unentschiedene Politik bezüglich neuer Kapitalzuflüsse in staatliche Betrieben – wo liegen die Gründe dafür, warum diese Betriebe in ihre aktuelle Lage geraten sind? – und viele weitere Phänomene zusammenkommen.

Auf diese Schwäche und diese Stärke werden die Schläge treffen. Die internationale Blockade, die als Teil der Kriegführung einen strukturellen Bestandteil der Gründe für die Krise darstellt, zielt darauf ab, die wirtschaftliche Lage an ihre Grenze zu treiben. Das Land austrocknen und zugleich ausplündern. Was den Angriff im Politischen angeht, wissen sie, was es zu zerschlagen gilt: die FANB, die staatlichen Institutionen, den Chavismus. Das wirtschaftliche Umfeld schafft Bedingungen, es ist der Kern der Strategie.

Zeiten und Ergebnisse sind schwer abzuschätzen. Innerhalb des genannten Panoramas kann es verschiedene Bewegungen geben. Eine davon ist, dass die ANC angesichts des beschleunigten Putsches zu Neuwahlen der Nationalversammlung aufruft. Dies könnte zu verschiedenen Resultaten führen: Zerstörung der ohnehin geringen Einheit innerhalb der Rechten, weitere Zuspitzung der Konfrontation, grünes Licht für einen neuen Anlauf zum Angriff. Die Geschichte ist keineswegs linear und jede Kraft spielt ihre Karten aus.

Wir sind in eine neue Phase eingetreten, die die Pattsituation durchbrechen soll. Es gibt zwei widerstreitende Blöcke: der des Chavismus und der der klassenmäßigen und imperialistischen Revanche. Alles Andere ist Fiktion, niemand steht über den Konfliktparteien. Der Kampf ist dreifacher Natur: dem Angriff nicht nachgeben, die Wirtschaft stabilisieren und dafür streiten, dass die Revolution als Gefangene eines Pragmatismus der Macht ihre emanzipatorischen Elemente nicht ablegt. Niemand weiß, wie die Gefechte ausgehen, man weiß nur, dass der Kampf mit Strategie geführt wird.