Guatemala: Ein Tag bei den Blockaden im Valle de Palajunoj

Indigene Gemeinden blockieren den Zugang zur zentralen Mülldeponie in Quetzaltenango. Sie protestieren gegen einen Plan der städtischen Entwicklung der ländlichen Region

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Frauen sind das sichtbarste Gesicht des Widerstandes
Frauen sind das sichtbarste Gesicht des Widerstandes

Im Valle de Palajunoj in Quetzaltenango haben indigene Gemeinden seit dem 1. März den Zugang zur zentralen Mülldeponie in Quetzaltenango blockiert. Sie protestieren damit gegen einen Plan der städtischen Entwicklung der ländlichen Region. Während der Protest weitergeht, stapelt sich der Müll in den Straßen von Xela.

"Sie werden uns räumen", schreit eine Frau, "Sie werden uns räumen", wiederholt sie.

Etwa 2.000 Personen, in der großen Mehrheit Indigene, sind an diesem Morgen des 26. März wieder früh aufgestanden. Ab zwei Uhr morgens blockieren sie die zentrale Zufahrstraße im Valle de Panajunoj (Tal von Panajunoj) am Rande von Quetzaltenango, der wichtigsten Metropolenregion in Guatemala nach der Hauptstadtregion. Heute, so heißt es, soll ein Großaufgebot der Nationalen Zivilpolizei (PNC) kommen und die Blockade räumen.

Der Widerstand im Namen der lokalen indigenen Autoritäten blockiert die Zufahrt zur Mülldeponie, auf der ein großer Teil des Mülls aus dem Stadtgebiet Xelas entsorgt wird. Unterstützt werden die lokalen Autoritäten dabei von Anwohnern aus dem gesamten Valle de Palajunoj, einer ländlichen Region die sich vom Stadtrand Xelas bis zum Fuße des Vulkans Snata Maria erstreckt. Verwaltungstechnisch gehört sie zum Stadtgebiet Xela. Ein großer Teil der Anwohner lebt vom Gemüseanbau, viele leben in großer Armut. Das Motiv für die Proteste, so sagen sie, ist die Ablehnung der "Territorialen Raumordnungsplanung" (Plan de Ordenamiento Territorial, POT); eine Initiative, die laut der Demonstranten das Leben der Einwohner bedroht.

Maximiliana Argentina Cotom, Mitglied des Rates der indigenen Bürgermeister, steht nach wenigen Stunden Schlaf wieder mitten unter den Protestierenden. Die 47-Jährige, gekleidet mit einem weißen Hut und der traditionellen Kleidung der Mayas in dieser Region, ist seit Beginn an den Protesten beteiligt, "für eine gute Zukunft unserer Kinder", sagt sie.

Cotom läuft eilig zu einer Gruppe Frauen, die versuchen die ankommenden Menschenmassen auf der Straße zu organisieren. Diese Frauen sind das sichtbarste Gesicht des Widerstandes an diesem Samstag.

"Der Bürgermeister [von Quetzaltanango] hat uns sein Gesicht nicht gezeigt, wir suchen den Dialog, aber er will nicht“, sagt sie und erinnert sich an eine von vielen Ablehnungen seitens der offiziellen Politik am internationalen Frauentag. Den vergangenen 8. März wird sie nicht leicht vergessen: "Der Bürgermeister lud uns zu einem Treffen, dann verschwand er durch die Hintertür, und wir haben nichts mehr von ihm gehört."

Juan Fernando López, Bürgermeister von Quetzaltenango, ist seit dem 14. März im Urlaub. Seine Aufgaben hat er der Stadträtin Katia Minera übertragen. "Dass er in dieser Situation in den Urlaub fährt, zeigt seine geringen Fähigkeiten als Bürgermeister“, kommentiert Cotom.

Angespannte Lage

Der Morgen ist kalt und neblig. Auch die ersten Sonnenstrahlen vertreiben die Kälte nicht, denn die Region liegt auf etwa 2.400 Meter Höhe. Cotom sitzt in der ersten Reihe auf der Straße zwischen anderen Frauen. Sie wollen verhindern, dass die Polizei vorrücken und die Blockade räumen kann. Die Frauen tragen weiße Luftballons als Symbol für friedlichen Protest. Einige tragen auch weiße Fahnen, ein Kontrast zur bunten traditionellen Kleidung der Region. Auch Kinder, die mit ihren Müttern und Großmüttern zur Blockade gekommen sind, tragen weiße Luftballons.

Die Frauen beginnen die Stadthymne Xelas zu singen: "La Luna de Xelajú". Es soll Gemeinschaftssinn gegen die Drohung der Räumung symbolisieren, einigen Frauen steigen Tränen in die Augen. Das Lied wird häufig bei Protesten in der Region gesungen, aber auch bei Spielen des lokalen Fußballvereins. Xela, so nennt jeder die zweitgrößte Stadt Guatemalas Quetzaltango, in Anlehnung an den Maya-Namen der Region Xelajú. Auch im Stadtgebiet Xelas leben viele Indigene, aber der Name Xela wird von Indigenas, Ladinos und den Nachkommen spanischer Eroberer gleichermaßen verwendet.

Der Räumungsbefehl, der an diesem 26. März über der Blockade schwebt, wurde zwei Tage zuvor von der Stadtverwaltung beschlossen. Zahlreiche Polizisten in Schutzausrüstung sollen dafür sorgen, dass die Fahrzeuge der Müllabfuhr wieder ungehindert passieren können. Aber die menschliche Blockade der Frauen mit ihren Kindern, die zusammen auf der Straße knien, hindert die Polizei am Vorwärtskommen.

Cotom sitzt weiterhin in der ersten Reihe, mittlerweile abwechselnd betend und "La Luna de Xelajú" singend. In ihren Gebeten bitten sie, dass die Proteste heute nicht blutig enden.

Warum die Proteste?

Ein großes Banner am Eingang der Gemeinde verkündigt es für alle sichtbar: "Valle de Panajunoj fordert die Suspendierung des POT". Das Druckmittel soll die Blockade der Mülldeponie sein, Krankenwagen, private Fahrzeuge und öffentliche Busse lassen sie passieren.

Cotom besteht darauf, dass sie für ein "gutes Leben in der Gemeinde" und "für eine gute Zukunft für unsere Kinder" protestieren. Schätzungen zufolge stapeln sich auf den Straßen Quetzaltenangos 7.000 Tonnen Müll1.

Was ist das POT?

Laut dem Stadtplaner Mario Sac ist das POT "ein technisches Instrument zur Förderung eines nachhaltigen Wachstums in einem bestimmten Gebiet gemäß seiner sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Merkmale, um eine gute Lebensqualität seiner Bewohner zu erreichen".

Das POT wurde vom Stadtrat Quetzaltenango am 2. Juni 2017 beschlossen und ist seit August des gleichen Jahres in Kraft.

Cotom fasst die Unzufriedenheit "dutzender indigener Gemeinden“ zusammen: "Wir wurden nie gefragt ob wir das POT wollen oder nicht. Es handelt sich um eine Entscheidung, bei der die Gemeinden befragt werden müssen; es darf nicht einfach durchgesetzt werden." Nach der Zustimmung zu dem Gesetz und der Kritik daran haben weder der damalige Bürgermeister Luis Grijalva noch sein Stadtrat Julio Limia Nachfragen von Journalisten wie beispielsweise dem Onlineportal "No Ficción" beantwortet.

Das POT von Quetzaltenango beinhaltet 160 Artikel. Die lokalen indigenen Autoritäten vom Valle de Panajunoj verlangen eine Überarbeitung jedes Einzelnen und insbesondere jener Artikel, in denen es um Steuerzahlungen geht. "Wir sind Kleinbauern und können die Steuern nicht zahlen, die das POT auferlegt", erklärt Cotom.

Das gebrochene Versprechen

Cotom holt ihr Telefon heraus und zeigt eine Aufnahme von Juan Fernando López, dem Bürgermeister, der es vorzug in den Urlaub zu fahren. Die Aufnahme zeigt López bei seinem Wahlkampf im Jahr 2019 vor Hunderten von Einwohnern, die gegen das POT protestierten. Damals sagte López folgendes: "Das POT verletzt die Rechte von uns allen. Der Plan verstößt gegen die Verfassung der Republik, sie nimmt Schaden und nicht alle wurden berücksichtigt. Unser Vorschlag ist, das POT in seiner alten Form zu beseitigen, eine Verordnung zu schaffen und einen neuen Plan zu entwickeln, damit das POT von allen Quetzaltecos entwickelt wird."

López gewann die Bürgermeisterwahl im Juni 2019 für die Partei Humanista. Mit seinen Aussagen im Wahlkampf hatte er sich verpflichtet, das POT zu überarbeiten. In der gleichen Aufnahme sagte López: "Es wird einfacher sein, ein Visum für die USA zu bekommen, als mit diesem POT eine Baugenehmigung in den Gemeinden." Dies zeigt, wie schwierig es ist, mit der jetzigen Form des POT weiterzuarbeiten.

Ein Etappensieg

Am Nachmittag ist Cotom nach nunmehr 18 Stunden auf den Beinen sehr müde. Nach Verhandlungen mit der Polizei ist es gelungen die Räumung abzuwenden. Dafür hat es sich gelohnt, sagt sie lächelnd. Die große Organisierung hat eine Räumung der PNC verhindert, aber der Müll stapelt sich weiter in Xela.

Cotom sitzt auf einem Plastikstuhl. Die Gesichter sind im Dunkeln nur schwer zu erkennen, die Stimmung ist immernoch angespannt und die Polizei bleibt vor Ort. Mit ihr wurden einige Vereinbarungen getroffen, mit denen nicht alle Demonstranten einverstanden sind. Viele Kinder sind mittlerweile schlafen gegangen. Lorenzo Nimatuj, eine weitere indigene Autorität, hält in der linken Hand den traditionellen Stab von indigenen Führungspersonen. Nimatuj klettert auf eine impovisierte Plattform und wendet sich mit müder Stimme an die Anwesenden: "Die Kinder und Frauen sind müde, wir haben heute nichts gegessen. Die Stadtverwaltung hat wenig Bereitschaft gezeigt, zu verhandeln, und die Polizei kann jeden Moment kommen."

Die indigenen Autoritäten haben drei Vorschläge gemacht: Suspendierung des POT in seiner alten Form, ein POT exklusiv für die ländlichen Gemeinden in Valle de Panajuj und die Einrichtung eines Runden Tisches, um das POT in den Gemeinden zu diskutieren.

Die Stadtverwaltung machte andere Vorschläge: Erstellung eines partiellen Landnutzungsplanes für das Palajunoj-Tal, der an einem Runden Tisch diskutiert werden soll. Eine Aussetzung des POT lehnt der Rat aber einstimmig ab.

Für den kommenden Sonntag lassen die Gemeinden die Müllabfuhr für zwölf Stunden passieren, als Zeichen des guten Willens. Aber der Konflikt dauert an; der Widerstand wird weitergehen.

"Und das Problem des POT ist nur eines von vielen, die wir angehen wollen, denn in unseren Gemeinden gibt es zahlreiche Probleme", warnt Cotom.

Gilberto Escobar ist Journalist bei No Ficción. Dort erschien sein Text zuerst

  • 1. Mittlerweile ist der Zugang zur Deponie zumindest temporär wieder offen und der Hausmüll wird regelmäßig abgeholt