Brasilien / Umwelt

Öl- und Gasauktion in Brasilien: Gefahren und Widerstandsmöglichkeiten

Unsere Autorin Hannah Dora berichtet von der Pressekonferenz von den Umweltorganisationen Urgewalt und Arayara

Die Umweltorganisation Urgewald und ihre brasilianische Partnerorganisation Arayara haben auf einer gemeinsamen digitalen Pressekonferenz über die geplante Öl- und Gasauktion der brasilianischen Regierung am heutigen Dienstag informiert. Im Fokus standen die weitreichenden ökologischen, klimatischen und sozialen Risiken dieser sogenannten "Weltuntergangsauktion" (Doomsday Auction).

Lateinamerika als globaler Hotspot für fossile Expansion

Heffa Schücking von Urgewald betonte, dass Lateinamerika – und insbesondere Brasilien – zu den weltweiten Brennpunkten für die Ausweitung fossiler Projekte gehört. Seit 2020 ist eine Fläche größer als Deutschland für Öl- und Gasexploration freigegeben worden. Dies geschah trotz gegenteiliger Empfehlungen der Internationalen Energieagentur (IEA), nach der bestehende Förderstätten ausreichen würden, um die globale Energiewende zu bewältigen.

Brasilien nimmt laut der Global Oil & Gas Exit List von Urgewald bereits den sechsten Platz weltweit ein, was kurzfristige Ausbaupläne (ein bis fünf Jahre) betrifft. Besonders kritisch: 93 Prozent der neuen Projekte des brasilianischen Ölunternehmens Petrobras betreffen unkonventionelle, risikoreiche Tiefseebohrungen, bei denen Umweltkatastrophen kaum eingedämmt werden könnten. Ziel sei es offenbar, Brasilien zum viertgrößten Ölproduzenten der Welt zu machen. Das steht im Widerspruch zu jeglichem Anspruch auf eine internationale Vorreiterrolle in Sachen Klimaschutz.

Kritik an der bevorstehenden Auktion: massive Risiken, mangelhafte Prüfungen

Nicole Oliveira von Arayara warnte eindringlich vor den gravierenden Auswirkungen der bevorstehenden Auktion. Diese stelle eine direkte Bedrohung für das Klima, die Biodiversität und zahlreiche lokale Gemeinschaften dar. Besonders alarmierend sei, dass 23 Prozent der zur Auktion freigegebenen Flächen mit wichtigen Biodiversitätsgebieten überlappen.

Von den 172 zur Versteigerung vorgesehenen Blöcken befinden sich 47 an der Amazonasmündung – und für diese existieren keinerlei aktuelle Umweltverträglichkeitsstudien. Die vorhandenen Studien stammen hauptsächlich aus den frühen 2000er Jahren und sind dementsprechend veraltet. Für viele Gebiete ist völlig unklar, welche Auswirkungen Ölbohrungen auf bedrohte Arten, Korallenriffe, Küstenfischerei oder lokale Gemeinschaften haben könnten.

Der Generalstaatsanwalt des Bundesstaates Pará – Gastgeber der kommenden COP30 – empfahl bereits die Streichung der 47 Amazonasblöcke aus der Auktion, stieß jedoch auf taube Ohren. Auch indigene Territorien sind betroffen: Einige Blöcke liegen direkt auf diesen Gebieten, andere umschließen sie vollständig.

Oliveira sprach zudem von einem hohen rechtlichen Risiko für Investoren. Bereits jetzt laufen fünf Klagen von Arayara gegen die Auktion. Die Klagepunkte umfassen unter anderem:

  • Fehlende Konsultationen mit indigenen Völkern
  • Überschneidung mit Umweltschutzgebieten
  • Unzulässige gemeinsame Erklärungen der Umwelt- und Energieministerien
  • Mangelnde Transparenz bei Emissionen (insbesondere Scope-3-Emissionen)
  • Schwerwiegende Auswirkungen auf Klima und Biodiversität

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Vor allem der dritte Punkt könnte ausschlaggebend sein: Um gründlichen Umweltverträglichkeitsprüfungen zu entgehen, haben das Energie- und das Umweltministerium eine gemeinsame Erklärung abgegeben, die die Sicherheit der Erdölerforschung in den entsprechenden Gebieten beteuern soll. Diese läuft allerdings nach fünf Jahren ab, was auf den Zeitpunkt kurz nach der Auktion fällt. Die Verträge werden erst im Oktober unterzeichnet – bis dahin sei die Erklärung also definitiv nicht mehr gültig.

Erfahrungen aus der Vergangenheit geben Hoffnung: Durch vorherige Klagen von Arayara wurden bereits Konzessionen zurückgezogen oder angepasst. In der letzten Auktion 2023 wurden infolge rechtlicher Verfahren Territorien von indigenen Gruppen und traditionelle Gemeinschaften teilweise aus dem Angebot gestrichen. Ein bahnbrechendes Gerichtsurteil stellte zudem klar, dass Ölunternehmen Konsultationen mit indigenen Völkern bereits vor dem Erwerb von Förderblöcken durchführen müssen – eine Signalwirkung, die auch den Bergbau betrifft.

Die betroffenen Küstenregionen von der Nordküste bis in den Süden Brasiliens sind nicht nur ökologisch sensibel, sondern auch wirtschaftlich stark vom Tourismus und von der Fischerei abhängig. In Regionen wie Macaé oder Rio de Janeiro, wo bereits seit Jahrzehnten Öl gefördert wird, zeigen sich die sozialen Folgen besonders drastisch: Umweltverschmutzung, fehlende Gesundheitsversorgung, wachsende soziale Ungleichheit. Statt einem versprochenen staatlichen Bildungs- und Gesundheitsfonds für Öleinnahmen blieben Korruption und Armut.

Symbolpolitik versus Realität

Während Präsident Lula wie zuletzt bei der UN-Ozeankonferenz in Nizza international als Klimavorreiter auftritt, setze seine Regierung in der Praxis die Umweltbehörden massiv unter Druck, um Förderlizenzen zu genehmigen. Laut den Organisationen ist der aktuelle Kurs ein direkter Widerspruch zu den Pariser Klimazielen: Die Auktion umfasst ein Gebiet so groß wie Frankreich, mit einem Klimapotenzial, das weltweit katastrophale Auswirkungen haben könnte.

In Rio de Janeiro sind rund um die Auktion Proteste unter anderem von indigenen Gruppen, Fischergemeinschaften, Klimaaktivist:innen und Artivists geplant. Der genaue Ort der Auktion wurde bislang nicht veröffentlicht – offenbar aus Angst vor Protesten. Selbst unter der Regierung Bolsonaro sei der Dialog offener gewesen als aktuell unter Lula, so die Kritik.

Die Pressekonferenz machte deutlich, dass Brasilien sich an einem klimapolitischen Scheideweg befindet. Die geplante Auktion könnte fatale Folgen für Klima, Biodiversität und lokale Bevölkerungen haben – und zugleich internationale Klimabemühungen untergraben. Urgewald und Arayara fordern daher einen sofortigen Stopp der Auktion und eine grundlegende Neuausrichtung der brasilianischen Energiepolitik.

Die Pressekonferenz fand am 12. Juni statt.