Offener Brief von José "Pepe" Mujica

Anlässlich der Aufnahme von sechs Gefangenen aus dem US-Internierungslager Guantánamo in Uruguay wendet Mujica sich an die Bevölkerung des Landes und den Präsidenten der USA

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Uruguays Päsident José Mujica beim Unasur-Gipfel in Ecuador am 4. Dezember
Uruguays Päsident José Mujica beim Unasur-Gipfel in Ecuador am 4. Dezember

"Die Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker", erklärte Pablo Neruda inmitten der riesigen und äußerst dringlichen Aufgabe, zehntausende von spanischen Republikanern zu evakuieren, ihnen zu helfen und ihnen Asyl zu geben, als viele von ihnen nach der Tragödie von 1939 auch an den Río de la Plata kamen.

Dieser Präsident 1war in seiner Jugend ein überwältigter und noch heute dankbarer Schüler eines dieser verbannten intellektuellen Genies.

Das friedliche und friedensstiftende Uruguay stellt ein großartiges Erbe und zugleich eine lebendige Strategie dar.

Das Land war Teil der weltweiten Avantgarde bei der Schaffung internationaler Instrumente des Friedens.

Indem wir uns aus dem Besten unserer Vergangenheit heraus dazu berufen fühlten, haben wir Menschen unsere Gastfreundschaft angeboten, die eine grausame Entführung nach Guantánamo erlitten haben. Die zwingende Begründung dafür ist humanitärer Art.

In dieses Land sind seit unserer Unabhängigkeit und auch schon zuvor einzelne Menschen und manchmal auch sehr zahlreiche Gruppen auf der Suche nach Zuflucht gekommen: internationale Kriege, Bürgerkriege, tyrannische Regime, religiöse und rassische Verfolgungen, Armut und extremes Elend in großer Ferne oder auch ganz in der Nähe sind Ursachen dafür gewesen.

Sie kamen aus allen Ländern Europas, einschließlich dem fernen Russland, und Amerikas; und das schmerzhafteste: als Sklaven verschleppt, aus Afrika.

Sehr viele kamen aus riskanten und heiklen Situationen. Sie haben dieses Uruguay aufgebaut: Wohlstand geschaffen, handwerkliche Fähigkeiten, Samen, Wissen und Kulturen mitgebracht und schließlich tiefe Wurzeln geschlagen, indem sie hier ihre heute zahllose Nachkommenschaft gesät haben. Aber sie hinterließen auch ihre Gräber als sie, alt geworden, starben und mit ihren Knochen Teil unserer so geliebten Erde wurden.

Aber ebenso und zu gegebener Zeit haben wir in für uns schweren Stunden warme und hilfreich ausgestreckte Hände ergriffen und Asyl in vielen Ländern erhalten, obwohl wir von der heimischen Tyrannei "bezichtigt" wurden, sehr gefährliche Leute zu sein.

Und vorher, währenddessen und später gingen zehntausende von Landsleuten aufgrund von Armut und fehlenden Perspektiven fort in alle möglichen Gegenden der Welt.

Viele von ihnen und ihre Nachkommen, die nun andere Sprachen sprechen, haben nicht zurückzukehren vermocht und stellen für uns, abgesehen vom Schmerz und von unerledigter Verpflichtung, die geliebte Heimat in der Fremde dar.

Aus all diesen Gründen empfinden wir, indem wir dem Weg des berühmten Gleichnisses folgen, das Drama, das wir am eigenen Leib erfahren haben, eher aus dem Gefühl des Schmerzes des Verwundeten heraus als aus dem Altruismus des Samariters.

Wir sind Teil der Welt der überfallenen Verwundeten und Verletzten. Wir gehören zur überwältigenden Mehrheit der Menschheit.

Wir dürfen und wir wollen diesen Gesichtspunkt weder vergessen noch aus den Augen verlieren, wenn wir die brutalen Realitäten betrachten, die unglücklicherweise so zahlreich wie grausam sind, und die heutzutage schreiend an die Tür von Millionen von Gewissen hämmern.

Der heutige freudige Anlass ist dazu geeignet, erneut die Aufhebung der ungerechten und nicht zu rechtfertigenden Blockade gegen unsere Schwesterrepublik Kuba zu fordern, deren Nationalheld 2 Konsul von Paraguay, Argentinien und Uruguay in New York gewesen ist;

ebenso die Freilassung von Oscar López Rivera, dem puertoricanischen Kämpfer für die Unabhängigkeit, der seit über dreißig Jahren, davon allein zwölf Jahre in Isolationshaft, als politischer Gefangener in den Vereinigten Staaten in Haft sitzt, und die Befreiung der Kubaner Antonio Guerrero, Ramón Labañino und Gerardo Hernández, die seit sechzehn Jahren in den USA gefangen sind.

Wir sind sicher, dass die Erfüllung dieser unbefriedigten Forderungen breite Wege zu einem Prozess des Friedens, der Verständigung, des Fortschritts und des Wohlstandes für alle Völker eröffnen würde, welche die so entscheidend wichtige Zone unseres Amerika bevölkern.

José Mujica

  • 1. Mujica spricht hier von sich selbst
  • 2. José Martí