Bolivien / Politik

Richterwahl in Bolivien unter Beschuss

Andenstaat bestimmte oberstes Justizpersonal per Direktwahl. Auszählung erst am Anfang. Laut Hochrechnungen mehrheitlich Frauen gewählt

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Christina Mamani
"Dekolonialisierung der Justiz": die Indigene Christina Mamani erhielt ersten Hochrechnungen zufolge die meisten Stimmen für das Oberste Verwaltungsgericht

La Paz. Drei Tage nach der weltweit ersten Richterwahl per Stimmzettel streitet Bolivien über die Bewertung des sonntäglichen Wahlganges. "Für Bolivien beginnt eine neue Justiz", gratulierte Präsident Evo Morales den 5,2 Millionen Wahlberechtigten für ihren "demokratischen Willen". Die 56 "durch das Volk" direkt gewählten Spitzenämter in Verfassungsgericht, Obersten Gerichtshof, Verwaltungsgericht sowie Land- und Umwelttribunalen würden endlich "für Gerechtigkeit sorgen", so der Chef der regierenden Bewegung zum Sozialismus (MAS).

Morales zeigte sich überzeugt, dass die Wahl den "Prozess tiefen Wandels in Gesellschaft und Institutionen" gestärkt habe. Die Boykott-Kampagne der Richterwahl-Gegner sei gescheitert, erklärte der linksgerichtete Politiker. Der Wahlbeobachter der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), Martín Torrijos, lobte die Richterwahl als "neuen und einzigartigen Weg für mehr Bürger-Kontrolle und Garantie für Transparenz".

Am Wahlabend hatte eine erste Umfrage des regierungskritischen TV-Senders ATB für Aufregung und erste Schnellschüsse gesorgt. Demnach stünden rund 40 Prozent gültige Stimmen 60 Prozent ungültigen und "Null-Stimmen" gegenüber, so eine erste Prognose. Die sozialdemokratische Bewegung ohne Angst (MSM) und die rechtskonservative Partei Nationaler Zusammenschluss (CN) feierten die hohe Zahl der Proteststimmen sofort als "Votum gegen Morales". Die Zahlen seien Beleg für die "erste Wahlniederlage des MAS", freuten sich Kommentatoren und Polit-Analysten. Gemeinsam hatten sie gegen die Richterwahl mobil gemacht, zu sehr störte die alten Kräfte das Verbot jeden Wahlkampfes und die Kandidaten-Auswahlkriterien wie Parteilosigkeit und Frauen-Quote.

Auch wenn das offizielle Wahlergebnis erst Ende Oktober vorliegt, so erklärten sich die MAS-Gegner dennoch zum Sieger der Abstimmung. Doch dafür ist es noch zu früh, besonders die Stimmen aus den ländlichen MAS-Hochburgen fehlen noch. Das Oberste Wahlgericht (TSE) erklärte am Montagnachmittag, dass von den insgesamt 5645 Wahlbüros erst 300 ihre Stimmzettel abgeliefert hätten. Bei einer Auszählung von 5,3 Prozent der Stimmen sei eine verlässliche Aussage über das Ergebnis noch nicht möglich, so ein letzter TSE-Bericht.

Die Beliebtheit der Morales-Administration hat nach der rückgängig gemachten "Gasolinazo"-Preiserhöhung für Benzin Anfang 2011 und der gewaltsamen Auflösung des TIPNIS-Protestes von Straßenbau-Gegnern sicher einige Kratzer abgekommen. Von einer Trendwende zu sprechen aber ist übereilt. Dass die Mehrzahl der gewählten Juristen voraussichtlich Frauen sind, ist ein gutes Zeichen.

Die meisten Stimmen erhielt ersten Hochrechnungen zufolge Christina Mamani, Kandidatin für das Oberste Verwaltungsgericht. Die Juristin aus dem Hochland-Departamento Oruro erhielt fast eine halbe Million Stimmen. Bis jetzt hatte es keine Indigene in ein derart hohes Richteramt geschafft.

Das Argument der Richterwahl-Gegner, die MAS habe mit der Vorauswahl nur Parteigenossen in die Gerichte gebracht, ist nicht haltbar. Zwar hatte das von der MAS kontrollierte Parlament eine Vorauswahl an 115 Kandidaten für die 56 Ämter getroffen. Doch im Parlament der Vorgänger-Regierungen wurden Richterposten zwischen den Parteien der Eliten wie Vieh gehandelt. Und so erinnert Morales an den Unterschied zu früher: "Früher wurden die Richter allein von 157 Abgeordneten bestimmt, jetzt sind es Millionen von Menschen, die unsere Richter direkt wählen".