Dringender Aufruf an die Volksbewegungen: Es ist Zeit für Solidarität mit Griechenland

"Die Stunde der Solidarität ist jetzt", schreibt Aram Aharonian, Mitbegründer von Telesur und Leiter des Observatorio en Comunicación y Democracia in Uruguay

truth-debt-greece.jpg

Graffito in Griechenland: "Weist die Schulden zurück! IWF-EU"
Graffito in Griechenland: "Weist die Schulden zurück! IWF-EU"

Vor dem Hintergrund der finanziellen Aushöhlung und Isolation werden die Bedingungen des täglichen Lebens für das griechische Volk von Tag zu Tag dramatischer. Griechenland hat nicht die geringsten Ressourcen, um Löhne oder gar Renten zu zahlen, geschweige denn um die Wirtschaft in Schwung zu halten und die Grundbedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen. Jenseits beruhigender Versprechen kollabiert gerade das Finanzsystem, da die Europäische Zentralbank (EZB) nun auch die Liquiditätslinien gestoppt hat, die sie den griechischen Banken in Anbetracht der permanenten Trockenlegung der Depots noch angeboten hatte.

Die griechische Zentralbank besitzt ebenfalls keine Euro- oder Dollarreserven mehr, um mit diesen die unbedingt notwendigen Nahrungsmittelimporte begleichen zu können: Griechenland ist in punkto Nahrungsmittel nicht autark.

Wie soll nun vor dem Hintergrund der finanziellen Panik und der offenen Krise Ruhe einkehren? Dies ist quasi unmöglich. Erst recht, solange in Brüssel und Berlin orthodoxe Ansichten vorherrschen, nämlich dass man vor Griechenland nicht zurückweichen solle, um damit bloß keinen Präzedenzfall zu schaffen. Die größte Furcht ist, dass ein solcher Präzedenzfall dazu führen könnte, dass andere Schuldnerländer möglicherweise den gleichen Weg einer Demokratisierung der Schuldendebatte einschlagen könnten.

Wir erleben derzeit eine Situation, für die improvisierte Analysen mit antiquierten Denkansätzen nicht ausreichen. Unabhängig davon, welche Lösung erreicht wird: Das was derzeit in Griechenland passiert, wird starke Auswirkungen auch auf unsere Region haben. Unsere lateinamerikanischen Völker haben bereits ähnliche Situationen erlebt. Dabei genügt es nicht, sich daran zu erinnern, was Argentinien zu Beginn dieses Jahrtausends durchmachte. Argentinien nimmt auf internationaler Ebene eine deutliche Position gegen Banker und Kredithaie ein. Gleichzeitig ist Argentinien aber auch ein Land, das optimal ausgestattet ist für die Produktion von Nahrungsmitteln.

Es wäre eine außergewöhnliche Geste von enormer positiver nationaler und internationaler Reichweite, wenn vom Sozialgipfel des Mercosur, der in dieser Woche in Brasília, Brasilien stattfindet, ein konkretes Engagement zur Unterstützung und Solidarität der Region mit dem griechischen Volk ausginge. Es sind nämlich gerade die Volksbewegungen, die Einfluss auf unsere Regierungen ausüben können, damit diese eine Geste von enormer Bedeutung, eine sofortige und konkrete Geste zeigen: Die Zusage, Kreditlinien in lokalen Währungen für das Angebot von Nahrungsmitteln und Öl zur Verfügung zu stellen. Viel leichter wäre dies natürlich, wenn bereits die Bank des Südens (Banco del Sur) arbeiten würde.

Wir wissen, dass argentinische, uruguayische und brasilianische Volkswirte und Funktionäre die Lage ganz aus der Nähe verfolgt und einen regen Ideenaustausch unterhalten haben. Aber die Solidarität sollte auch aus kleineren Gruppen der produktiven Wirtschaft erwachsen, beispielsweise den kleinen und mittleren Produzenten landwirtschaftlicher Produkte. Diese könnten sehr wohl ihre sofortige Bereitschaft signalisieren, Nahrungsmittel nach Griechenland zu senden.

Die sofortige Ankündigung einer solchen Aktion, selbst wenn es sich zunächst nur um eine reine Geste handeln sollte, hätte einen großen Effekt: es würde zeigen, dass das griechische Volk nicht alleine ist. Gleichzeitig würde es demonstrieren, dass die Griechen nicht das gleiche Dilemma erleiden müssten wie unsere Region: der Streit um den richtigen Weg für unseren Kontinent. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die auf den neoliberalen Pfad zurückkehren möchten und auf der anderen Seite diejenigen, die für unabhängige Nationen streiten, für Staaten, unabhängig auch vom Internationalen Währungsfonds und den Finanzspekulanten.

Wir wissen nicht, was in den nächsten Stunden passieren wird, aber unabhängig davon, ob es ein Abkommen geben wird oder nicht: die alltägliche Situation in Griechenland wird sich in den nächsten Tagen stark verschlechtern, insbesondere auch aufgrund der Weigerung der Europäischen Zentralbank, eine elementare Liquidität anzubieten (unter anderem Euros in den Kassen, aber auch für grundlegende Importe). Dies wird zu einer Lähmung der griechischen Wirtschaft führen.

Die Presse spricht davon, dass von Seiten Europas bereits einige Aktionen der Notfallhilfe für Griechenland vorbereitet werden. Diese Aktivitäten ähneln in der Realität jedoch eher paternalistischen und herablassenden Wohltätigkeitsaktionen, insbesondere wenn sich die gleichen Länder zur gleichen Zeit weiterhin der elementaren und dringenden finanziellen Absicherung Griechenlands verweigern. Im Gegensatz dazu wäre eine Geste der Unterstützung von Seiten der Mercorsur-Länder ein klares, würdiges und konkretes Zeichen der Solidarität und Unterstützung der südlichen Länder für Griechenland. Dies unterschiede sich deutlich von den paternalistischen, herablassenden und stark begrenzten Gesten, die Merkel, Juncker, Schäuble und ihre Freunde im besten Falle aussenden.

Gerade hat der Papst seine Reise durch unsere Region beendet. Franziskus hat in diesen Tagen häufig darauf verwiesen, was die kritischen Stimmen Lateinamerikas und mehrere regionale politische Führungspersönlichkeiten während der vergangenen Jahrzehnte immer wiederholt haben: dass der Kapitalismus ein erschöpftes System sei, dass der Kapitalismus nicht mehr ertragen werden könne, dass die wirtschaftliche Anpassung immer zu Lasten der Armen gehe, dass er das gemeinsame Haus zerstöre und die Mutter Erde verdamme. Dass die Monopole eine Schande seien, dass das Kapital und das Geld "der Mist des Teufels" seien, dass man angesichts der alten und neuen Formen des Kolonialismus aufmerksam sein solle...

In Santa Cruz de la Sierra (Bolivien) erst richtete Franziskus einen eindringlichen Appell an die Volksbewegungen: "Lasst euch nicht einschüchtern". Die Stunde der Solidarität ist jetzt!