Brasilien / Politik

Brasilien: Lula da Silva in Haft, Protestaktion vor dem Gefängnis

Nach Verhandlungen mit Behörden stellt Ex-Präsident sich der Polizei. Widerstandscamp von Anhängern Lulas vor dem Gefängnis "bis zu seiner Freilassung"

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Lula da Silva bei der Ankunft im Gefängnis der Bundespolizei in Curitiba
Lula da Silva bei der Ankunft im Gefängnis der Bundespolizei in Curitiba

São Bernardo do Campo/Curitiba. Mit einer kämpferischen einstündigen Rede hat sich Brasiliens Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva von seinen Anhängern verabschiedet, bevor er am Samstag ‒ 26 Stunden nach Ablauf des Ultimatums der Behörden ‒ die gegen ihn verhängte Haft angetreten hat. Jetzt, wo das Gefängnis Realität sei, "ist Zeit für eine Übertragung der Verantwortung", sagte Lula vor dem Sitz der Metallarbeitergewerkschaft in São Bernardo do Campo: "Ihr müsst ab jetzt den Kampf auf die Straße bringen. Ihr alle werdet Lula werden", so der Ex-Präsident. Zwei Tage hielt er sich in dem Gewerkschaftssitz auf, beschützt von tausenden Unterstützern. Am Morgen vor seinem Haftantritt hatte er dort an einer Gedenkmesse anlässlich des Geburtstages seiner verstorbene Frau Marisa teilgenommen.

Seine letzten Momente in Freiheit verbrachte da Silva an der Seite von Freunden, Gewerkschaftern, Mitgliedern seiner Partei, linken Gruppen, früheren Ministern und gemeinsam mit Ex-Präsidentin Dilma Rousseff, die 2016 in einem parlamentarischen Putsch gestürzt worden war. Vom Flughafen São Paulo-Congonhas brachte ihn ein Polizeihubschrauber in eine Gefängniszelle in das südbrasilianische Curitiba. Lula hatte zwei Bedingungen gestellt: Keine Handschellen und keine Videoübertragung seiner Ankunft im Hauptquartier der Bundespolizei.

Am Samstagabend kam es vor dem Gefängnis zu heftigen Zusammenstößen zwischen Polizei, Lula-Anhängern und Gegnern des Ex-Präsidenten. Neun Menschen wurden verletzt. Nachdem in der Menschenmenge zwei Feuerwerksraketen gezündet worden waren, setzte die Polizei Tränengas und Gummigeschosse ein.

Der 72-jährige Ex-Präsident darf vorerst nur Besuch von Anwälten und seiner Familie erhalten. Lula war bereits vor 38 Jahren einmal verhaftet worden, zur Zeit der Militärdiktatur, als Anführer von Arbeiterstreiks.

Die linken Regierungen Lateinamerikas, prominente Persönlichkeiten in aller Welt und engagierte Gruppen solidarisierten sich mit "compañero" Lula, wie das kubanische Außenministerium schreibt. Rafael Correa, Ex-Präsident von Ecuador twitterte: "Wir alle wissen, dass sein 'Verbrechen' darin besteht, 38 Millionen Brasilianer aus der Armut zu befreien, ohne sich den brasilianischen Eliten zu unterwerfen. Alles ist eine Frage der Zeit: Die Macht des Volkes wird mit der Kraft eines Hurrikans wiederkommen". Mitglieder des Martin Luther King Gedenkzentrums auf Kuba erklärten: "Mit Lula inhaftieren sie einen großen Teil der Geschichte der Rebellion. Mit Lula nehmen sie ein Volk in Haft. Mit der Gefängnisstrafe gegen Lula wollen sie ihre Angst vor der Macht des Volkes verdecken, das bereits gezeigt hat, dass es der Armut entkommen kann".

Die brasilianische Arbeiterpartei (PT) hält indes am inhaftierten Lula da Silva weiterhin als Kandidat für die brasilianische Präsidentschaftswahl im Oktober fest und wird ihn entsprechend registrieren lassen.

Noch am Samstagabend haben Anhänger Lulas direkt gegenüber dem Polizeigefängnis mit einer Mahnwache begonnen, die zu einem Widerstandscamp unter dem Motto "Lula Livre" ausgeweitet wurde. Am Sonntagmorgen wurde mit dem Aufbau der ersten Zelte und der Verteilung der Aufgaben unter den Aktivisten begonnen. Man werde das Camp aufrechterhalten bis die Freilassung Lulas erreicht sei, denn "in diesem Land funktioniert alles nur über Druck", sagte Roberto Baggio, Koordinator der Landlosenbewegung MST im Bundesstaat Paraná. Aus verschiedenen Landesteilen seien bereits 30 Busse zur Unterstützung unterwegs.

Der Oberste Gerichtshof hatte die Inhaftierung des ehemaligen Präsidenten und derzeit aussichtsreichsten Präsidentschaftskandidaten verfügt. Lula war Ende Januar vom Berufungsgericht in Porto Alegre wegen Korruption zu zwölf Jahren und einem Monat Haft verurteilt worden. Die Richter erhöhten das Strafmaß damit gegenüber der ersten Instanz noch um vier Jahre. In dem Prozess ging es zuletzt um ein Strandappartement in Guarujá, Bundesstaat São Paulo, das der Familie da Silvas vom Baukonzern OAS als Gegenleitung für politische Gefälligkeiten überlassen worden sein soll. Stichhaltige Beweise dafür gab es nicht. Zuvor hatte der umstrittene Bundesrichter Sergio Moro Lula in erster Instanz Mitte 2017 zu gut neun Jahren Haft wegen Geldwäsche und der Annahme von umgerechnet rund 900.000 Euro Schmiergeld verurteilt. Die Beweisführung und der Ermittlungsprozess waren von Unregelmäßigkeiten geprägt. Lula und die Arbeiterpartei sprechen von einem politisch motivierten Prozess, der eine Rückkehr der PT an die Regierung verhindern soll.