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Chávez-Gegner hoffen auf den Krebs

Der Schweizer Onkologe Franco Cavalli zu Venezuelas Präsidenten Hugo Chávez, dessen Krebserkrankung, zur Opposition und den Medien

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Franco Cavalli
Der renommierte Schweizer Onkologe Franco Cavalli ist Koordinator für die internationalen Projekte der Internationalen Vereinigung gegen den Krebs (UICC), deren Präsident er mehrere Jahre lang war. Seit 2003 ist er zudem wissenschaftlicher Direktor des Onkologischen Instituts der italienischsprachigen Schweiz (IOSI) in Bellinzona. Cavalli engagiert sich seit Jahren für humanitäre Projekte in Lateinamerika.

Bern/Caracas. Der Schweizer Onkologe Franco Cavalli hat im Interview mit amerika21.de Verständnis für die Entscheidung des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez gezeigt, seine Krebserkrankung

in Kuba behandeln zu lassen. "Ich glaube, dass Hugo Chávez mit Recht um seine Gesundheit hätte fürchten müssen, wenn er von den Oberschichtsärzten behandelt worden wäre", sagte der ehemalige Präsident der Internationalen Vereinigung gegen den Krebs (IUCC). Zudem sei die kubanische Medizin weltweit für ihre Qualität bekannt. "Jedes Jahr lassen sich tausende Lateinamerikaner dort behandeln", so Cavalli.

An Chávez’ Stelle hätte er sich auch nicht in Venezuela behandeln lassen, sagte der Mediziner weiter, um dies auszuführen: "Die offizielle Medizin in Venezuela ist sehr korrupt. Die Einfuhr von Medikamenten etwa wird durch eine Aktiengesellschaft getätigt, die der Ärztegesellschaft gehört." Die große Mehrheit der Ärzte, vor allem der Spezialisten, wende sich daher massiv gegen Chávez. Ein Grund sei auch, dass der linksgerichtete Präsident viele kubanische Ärzte ins Land geholt hat, "damit sich endlich jemand mit der Gesundheit der Armen befasst". Schon vor Jahren habe die amtierende Regierung zudem mit dem Aufbau einer parallelen medizinischen Struktur begonnen. Diese sei jedoch noch nicht sehr entwickelt, vor allem nicht in der hochspezialisierten Medizin.

Verständnis äußerte Cavalli für die hohe mediale Aufmerksamkeit, die der Krankheit des Staatsoberhauptes von Venezuela weltweit zukommt. Diese sei "Ausdruck der Schlüsselrolle, die Präsident Chávez und die Bolivarische Revolution zur Zeit in Lateinamerika innehaben". Zum einen habe Chávez am meisten für eine vereinigte Gemeinschaft aller lateinamerikanischen Staaten getan, führte Cavalli aus. Zweitens sei es ohne ihn nicht vorstellbar, dass in einem beträchtlichen Teil dieser Länder heute progressive Kräfte regieren. "Wichtig ist vor allem aber der dritte Grund: die sehr enge wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit zwischen Venezuela und Kuba", sagte der Schweizer Mediziner, der Venezuela mehrfach bereist hat.

Die Kritik an der Informationspolitik der Regierung teilte Cavalli nur bedingt. "Von Anfang an haben internationale und imperialistische Akteure wegen der Krebserkrankung von Präsident Hugo Chávez große Hoffnung geschöpft", sagte er. Das erkläre, warum die venezolanische Regierung und Chávez selbst die Öffentlichkeit nicht über alle Details informiert haben. Das Wesentliche sei aber immer wieder mitgeteilt worden. "Und schließlich gibt es auch noch eine Privatsphäre, die in solchen Fällen gewahrt bleiben sollte", so Cavalli.

Dabei gebe es durchaus medizinethische Unterschiede im Umgang mit Krankheiten, auch bezüglich der Informationspflicht. "Vergessen wir nicht, dass die Franzosen zum Beispiel über die Krebserkrankung ihrer Präsidenten Georges Pompidou und François Mitterand erst nach deren Ableben erfahren haben", erinnerte der Onkologe: "Dennoch beschweren sich nun auch französische Medien darüber, dass die venezolanische Regierung angeblich zu wenig über die Erkrankung von Hugo Chávez informiert."

Zugleich kritisierte Cavalli ein grundlegendes Problem in der Haltung europäischer Medien gegenüber Venezuela. Sie hätten die Popularität von Hugo Chávez nie verstehen wollen oder als Propaganda abgetan. Als nach dem jüngsten Wahlsieg von Chávez die Nachricht über einen Rückfall der Krebserkrankung kam, hätten viele Medien eine gewisse Schadenfreude nicht verheimlichen können. "Die Berichterstattung wurde immer unerträglicher", erinnert sich Cavalli: "Man erwartete offenbar nur noch die 'erlösende' Nachricht".

Schließlich trat der Krebs-Arzt und Buchautor den zahlreich verbreiteten Einschätzungen von Medizinern über den Zustand Chávez' entgegen. "Ich habe selten so viele Dummheiten gelesen wie in den vergangenen Wochen und Monaten", sagte Cavalli dazu. In einem so komplizierten Gebiet wie der Onkologie seien Ferndiagnosen ohne Kenntnis der wesentlichen Fakten "einfach Hokuspokus".