Chile / Politik

Auf der Flucht erschossen

Chilenische Staatsanwaltschaft verhaftet mutmaßliche Mörder von Medizinern der Allende-Regierung. Angehörige in Deutschland fordern Aufarbeitung

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Dr. Hernán Henríquez Aravena verschwand am 3. Oktober 1973. Nach Angaben des Militärs wurde er "bei einem Fluchtversuch" erschossen.
Dr. Hernán Henríquez Aravena verschwand am 3. Oktober 1973. Nach Angaben des Militärs wurde er "bei einem Fluchtversuch" erschossen.

Temuco. Kurz vor dem 40. Jahrestag des Militärputsches sind in Chile am Montag 14 Militärangehörige unter Mordverdacht in Untersuchungshaft genommen worden. Gegen einen weiteren Militär liegt ein Haftbefehl vor. Der Sonderermittler für Verbrechen unter der Diktatur wirft ihnen vor, an der Ermordung der beiden Mediziner Hernán Henríquez Aravena und Alejandro Flores beteiligt gewesen zu sein. Am Mittwoch bestätigte das Berufungsgericht die erstinstanzliche Entscheidung und lehnte einen Antrag auf Freilassung ab. Alle beschuldigten Militärs waren 1973 als Angehörige der Luftwaffe auf der Basis Maquehue stationiert, auf der die beiden Mitarbeiter des Krankenhauses Temuco zuletzt lebend gesehen wurden. Ihre Leichen gelten bis heute als verschwunden. Der Arzt Hernán Henríquez und der Krankenpfleger Alejandro Flores hatten unter der Regierung der Unidad Popular ein öffentliches Gesundheitssystem im Süden des Landes aufgebaut, das sich erstmals auch der Gesundheitsversorgung für die indigene Mapuche-Bevölkerung widmete.

Unmittelbar nach dem Sturz der Allende-Regierung wurden sie von der örtlichen Behörden vorgeladen und später verhaftet. Nach Angaben des chilenischen Militärs wurden sie schließlich am 3. Oktober 1973 "auf der Flucht" erschossen. Damit gehören Hernán Henríquez Aravena und Alejandro Flores zu den ersten Todesopfern unter der chilenischen Militärdiktatur. "Mit diesen Morden machten die Verantwortlichen in der Region auch deutlich, dass sie ein Gesundheitssystem für die indigene Mapuche-Bevölkerung nicht weiter tolerieren", erklären die Angehörigen von Hernán Henríquez rückblickend die Situation. Allein aus dem Programm für die ländliche Gesundheitsvorsorge wurden später vier weitere Mitarbeiter ermordet.

Auf Initiative des Personals wurde nach der Diktatur zwar das örtliche Krankenhaus in Temuco nach Hernán Henríquez Aravena benannt, die staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen die mutmaßlichen Täter kamen jedoch nicht voran. Die damalige Ehefrau von Hernán Henríquez, die Ärztin Ruth Kries, hatte eine erste Klage bereits vor 21 Jahren, unmittelbar nach dem offiziellen Ende der Diktatur, eingereicht. Mit den vier gemeinsamen Kindern musste sie sich nach der Ermordung ihres Mannes verstecken und gehörte zur ersten Gruppe von Chilenen, die in der Bundesrepublik Zuflucht fanden. Alle Bemühungen, die Täter zur Verantwortung zu ziehen oder auch nur Gewissheit über den Verbleib der Leichen ihrer Opfer zu erhalten, scheiterten bisher.

Die Entscheidung, die Militärangehörigen nach einer Anhörung in Untersuchungshaft zu behalten, fiel nun auf Anweisung von Álvaro Meza Latorre, der vor zwei Jahren vom Obersten Gerichtshof beauftragt wurde, als Minister für Sonderaufgaben die "Verbrechen gegen die Menschenrechte in der Epoche der Diktatur" aufzuklären. Menschenrechtsgruppen hatten seinem Vorgänger vorgeworfen, die gegen Schergen der Pinochet-Diktatur anhängigen Verfahren systematisch zu verschleppen. Mit seinem Amtsantritt nahm Álvaro Meza Latorre etwa 50 Verfahren wieder auf und unterstrich öffentlich, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufgeklärt und verfolgt werden.

Tatsächlich scheint sich in der chilenischen Justiz kurz vor dem 40. Jahrestag des Pinochet-Putsches ein stärkerer Wille zur Aufarbeitung durchzusetzen. Im April erhob die Staatsanwaltschaft erstmals Anklage gegen die mutmaßlichen Mörder des Journalisten Augusto Carmona, der im Jahr 1977 vor seinem Haus erschossen wurde. In einem weiteren Fall wurden in der vergangenen Woche vier ehemalige Mitarbeiter des Geheimdienste DINA für den Mord an einem Aktivisten der Bewegung der Revolutionären Linken (MIR) zu zehn Jahren Haft verurteilt.