Debatte um legalisierte Kinderarbeit in Bolivien

Gesetzentwurf verabschiedet. Kinder können ab zehn Jahren Geld verdienen. NGO erkennt Notwendigkeit an und drängt auf soziale Verbesserungen

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Ein Kind arbeitet als Straßenverkäufer
Ein Kind arbeitet als Straßenverkäufer

La Paz/Berlin. Die mögliche Legalisierung von Kinderarbeit in Bolivien hat in der internationalen Presse kontroverse Reaktionen provoziert. Nun haben sich in Deutschland die Botschaft des südamerikanischen Landes sowie Kinder- und Menschenrechtsorganisationen zu Wort gemeldet – mit durchaus differenzierten Urteilen.

Mitte vergangener Woche hatte das bolivianische Parlament ein Gesetz verabschiedet, das die Arbeit von Mädchen und Jungen ab zehn Jahre erlauben könnte. Allerdings muss Präsident Evo Morales der Regelung noch zustimmen.

Bisher lag das Mindestalter für Erwerbsarbeit in Bolivien bei 14 Jahren. Aus der Armut heraus, weil sie Waisen sind, oder auch aufgrund von Gewalt in der Familie sind in Bolivien viele Minderjährige dazu gezwungen, zum Familieneinkommen beizutragen. Das neue Gesetz schreibt allerdings vor, dass die Kinder freiwillig arbeiten und sowohl die Eltern als auch eine Art Familienhelfer ausdrücklich zustimmen müssen. Danach prüft auch noch das Arbeitsministerium den Antrag, erläutert Senator Adolfo Mendoza, einer der Initiatoren der Gesetzesnovelle.

"In Ausnahmefällen können nun Kinder ab zehn Jahren selbst ihr Geld verdienen. Das Gesetz verlangt allerdings, dass diese Arbeit weder die physische noch die psychische Gesundheit des Kindes gefährdet, um die Ausbeutung der Kinder zu verhindern", heißt es in einer Stellungnahme der Botschaft des südamerikanischen Staates in Deutschland.

Nach Angaben der diplomatischen Vertretung kämpft die Vereinigung der Jungen, Mädchen und heranwachsenden Arbeiterinnen und Arbeiter von Bolivien (UANATSBO) für eine differenziertere Sichtweise der Kinderarbeit. "Die Kinderarbeiterinnen und -arbeiter verlangten eine Gesetzesänderung, sie verlangten das Mindestalter von zehn Jahren bei selbstständiger Arbeit und zwölf Jahre für abhängig Beschäftigte. Sie verlangen auch einen Zensus der minderjährigen Arbeiter/innen und deren speziellen Schutz, um eine Arbeit in Würde zu garantieren", heißt es in der Erklärung weiter.

"Viele Kinder unterscheiden zwischen Zwang und Notwendigkeit. Wenn die Arbeit für sie selbst oder für ihre Familie notwendig ist und sie nicht zur Arbeit gezwungen werden, dann ist das vielleicht nicht immer angenehm, aber es ist einfach etwas anderes", sagte der emeritierte Soziologie Professor Manfred Liebel von der TU Berlin und Berater der UNATSBO.

Die deutsche Kindernothilfe nahm die Nachricht indes mit gemischten Gefühlen auf. "Die Einbeziehung von Kindern bei der Erstellung des Gesetzesentwurfs ist ein gutes und wichtiges Zeichen, trotzdem berücksichtigt diese Parlamentsentscheidung den Kindesschutz nicht ausreichend", warnte Christoph Dehn, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Kindernothilfe.

Rund 850.000 Mädchen und Jungen müssen in Bolivien arbeiten, um zu ihrem eigenen Unterhalt und zum Familieneinkommen beizutragen. Ein schlichtes Verbot von Kinderarbeit würde die Armutssituation im Land nicht ändern und das Selbstbestimmungsrecht der Kinder und Jugendlichen nicht ausreichend berücksichtigen, so Dehn weiter. "Das neue Gesetz erkennt die Realität der Kinder an, will ihre Rechte stärken und soll sie aus der Illegalität herausholen."

Die bolivianische Regierung dürfe nicht das Ziel aus den Augen verlieren, Kinderarbeit ein für alle mal überflüssig zu machen, heißt es seitens der Kindernothilfe. Sie müsse für die Überwindung von extremer Armut andere Wege finden, als Kinderarbeit ab zehn Jahren rechtlich zu tolerieren", so Dehn.