Boston. China hat im vergangenen Jahr seine Kreditvergaben nach Lateinamerika noch einmal um 71 Prozent erhöht und plant, in der kommenden Dekade das Handelsvolumen mit Mittel- und Südamerika auf 250 Milliarden US-Dollar zu verdoppeln. Damit wird das asiatische Land zur herausragenden Finanzierungsquelle für die Entwicklung lateinamerikanischer Länder. Dies ist das Ergebnis einer gemeinsamen Forschungsarbeit des Inter-American Dialogue und der Global Economic Governance Initiative an der Universität Boston.
Seit 2005 haben chinesische Banken mehr als 119 Milliarden, im vergangenen Jahr 22 Milliarden US-Dollar Darlehen an Länder der Region vergeben. Damit haben chinesische Finanzmittel die der Weltbank, der Interamerikanischen Entwicklungsbank und der U.S. Export-Import Bank zusammengerechnet übertroffen.
CNN Expansión, ein auf den Geschäftsplatz Mexiko und Lateinamerika fokussiertes Nachrichtenportal, zitiert in diesem Zusammenhang Zahlen des US-Handelsministeriums, wonach US-amerikanische Unternehmen seit 2011 ihr finanzielles Engagement dort um fast 20 Prozent verringert haben.
Als Signal wird betrachtet, dass 2010 mit der Gründung der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (Celac) ein Ausschluss der USA und Kanadas einhergegangen ist. Vor zwei Monaten fand folgerichtig eine feierliche Zusammenkunft der Celac in Peking statt, um eine erste große Konferenz zwischen den neuen Partnern auszurichten.
Zwar sieht das MIT (Massachusetts Institute of Technology) die USA noch als größten Handelspartner Lateinamerikas, aber an spezifischen Orten soll China die Supermacht im Norden schon überholt haben.
Auf Brasilien (8,6 Milliarden), Argentinien (7 Milliarden), Venezuela (5,7 Milliarden) und Ecuador (820 Millionen) hat China zum Aufbau strategischer Partnerschaften 90 Prozent der im vergangenen Jahr gewährten Darlehen konzentriert. Aus Sicht der Empfänger der Darlehen bieten die Chinesen für sie als Schwellenländer im Vergleich zu US-amerikanischen und europäischen Banken, den Vorzug von weniger Auflagen und niedrigerer Zinsen.
Gleichwohl wird in der Region nicht die Gefahr verkannt, dass sich trotz des Zugangs zu Finanzierungsquellen die Rohstoffe exportierende Struktur der lateinamerikanischen Volkswirtschaften verfestigen könnte. Als Sicherheiten für die Darlehen liegen vorwiegend zukünftige Rohstofflieferungen vor. Zudem gehen viele Investitionen, neben bedeutenden Infrastrukturvorhaben, in klassische "extraktivistische" Bereiche (Landwirtschaft, Bergbau und Energie). Damit wachse nicht nur die Drohung weiterer Enteignung der indigenen Völker, sondern verzögerten sich auch Investitionen in industrielle Innovation und Weiterverarbeitung der Rohstoffe im Land. Dies stellte jüngst der mexikanische Ökonom und Absolvent der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko, Ariel Noyola Rodríguez, zur Diskussion. Im übrigen vergrößerten gegenwärtig fallende Preise auf dem Rohstoffmarkt die Risiken für lateinamerikanische Volkswirtschaften, da die Überschüsse und gleichzeitig die Rentabilität von Investitionen im extraktivistischen Bereich abnehmen.