Chile / Politik / Wirtschaft

Recherche in Chile enthüllt Verbindung von Oligarchen zu Diktatur

Buch des Journalisten Javier Rebollodo heizt Debatte um aktuelle Fälle von Korruption an. Schaffen Staat und Justiz, die Netzwerke aufzubrechen?

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Buchcover "Im Schatten der Krähen. Die zivilen Komplizen der Diktatur" des Journalisten Javier Rebolledo
Buchcover "Im Schatten der Krähen. Die zivilen Komplizen der Diktatur" des Journalisten Javier Rebolledo

Santiago. Inmitten der zahlreichen Korruptionsskandale in Chile ist ein Buch des Journalisten Javier Rebollodo erschienen, in dem die enge Kooperation von Unternehmerfamilien mit der Diktatur Augusto Pinochets (1973-1990) aufgezeigt wird. "Im Schatten der Krähen. Die zivilen Komplizen der Diktatur" zeigt auf, wie diese Familien dank staatlicher Subventionen und Privatisierungen ihr Vermögen vervielfachen konnten. Die aktuellen Skandale bringen nicht nur die chilenische Regierung ins Wanken und stellen die Glaubwürdigkeit der gesamten politischen Elite Chiles infrage. Sie decken auch den enormen Einfluss auf, den ökonomisch einflussreiche Familien und Unternehmen des Landes auf politische Entscheidungen hatten und haben. Rebollodos Rechercheergebnisse bringen nun zusätzlichen Sprengstoff in die Auseinandersetzung.

Prominentes Beispiel der Profiteure der Zusammenarbeit mit dem Pinochet-Regime ist der Familienclan Matte, der Unternehmen im Forst-, Papier-, Strom-, Bau-, Telekommunikations- und Bankensektor besitzt und auch heute zu den ökonomisch und politisch einflussreichsten Familien Chiles gehört. Das drittreichste Konglomerat des Landes ist der wichtigste Finanzier der chilenischen Politik.

Laut Recherchen Rebolledos haben Mitglieder der Familie Matte bereits frühzeitig die USA um Hilfe für einen Militärputsch gebeten. Während der Diktatur arbeiteten mehrere Familienmitglieder direkt für die Regierung, so beispielsweise der heutige Chef von CMPC, dem bedeutendsten Unternehmen der "Grupo Matte" und fünfgrößten Zellstoffproduzenten weltweit, Eleodoro Matte Larraín. Seit dem Putsch war er im öffentlichen Sektor tätig, wo er die Privatisierung von Laboratorios Chile, einem ehemals staatlichen Pharmazieunternehmen, vorbereitete. 1976 wechselte er schließlich zu CMPC.

Die Kooperation ging jedoch noch weit darüber hinaus. Nach aktuellen Ermittlungen im sogenannten Fall Laja soll die Firma mitverantwortlich für die Hinrichtung von 19 Arbeitern sein. Die zumeist bei CMPC beschäftigten Regimekritiker wurden 1973 kurz nach dem Militärputsch von Polizisten verschleppt und erschossen. CMPC soll bei der Erstellung der Todeslisten geholfen und logistische Unterstützung für die Durchführung der Tat gegeben haben. Nachdem der Fall Jahre unter Verschluss gehalten worden war, ermittelt seit 2010 die Staatsanwaltschaft gegen mehrere ranghohe Mitglieder der CMPC. Zehn Polizisten wurden bereits verurteilt.

Der enorme ökonomische Nutzen, den der Familienclan aus den engen Beziehungen mit dem Regime zog, zeigt, dass er aus Eigennutz handelte. Während die Familie unter Allende durch die drohende Verstaatlichung der Firma CMPC beinahe entmachtet worden wäre, konnte sie unter Pinochet dank staatlicher Subventionen ihren Besitz deutlich vermehren. Entscheidend dafür war das Gesetz 701 aus dem Jahr 1974, erarbeitet von Pinochets Schwiegersohn Julio Ponce Lerou, dem damaligen Chef der chilenischen Forstbehörde. Das Gesetz sah nicht nur steuerliche Vergünstigungen und immense staatliche Subventionen für forstwirtschaftliche Großunternehmen vor, sondern bezweckte auch die Enteignung von ehemals gemeinschaftlichem, mehrheitlich von den Mapuche bewohntem Boden, der zu Schleuderpreisen an Unternehmen wie CMPC verkauft wurden. Diese Privatisierungspolitik hatte nicht nur schwerwiegende ökologische Folgen, sondern ist eine der Hauptursachen des heutigen Konfliktes zwischen den Mapuche und dem chilenischen Staat.

Die tiefgreifenden sozialen und ökonomischen Veränderungen, die während der Diktatur unter massiver Gewaltanwendung umgesetzt wurden und die chilenische Gesellschaft aufgrund fehlender politischer Reformen nach wie vor prägen, wären ohne die Hilfe des Unternehmertums nicht möglich gewesen. Eine Verurteilung im Fall Laja wäre ein wichtiges Zeichen dafür, dass der Mitverantwortung der zivilen Unterstützer der Diktatur, insbesondere in Fällen von Menschenrechtsverletzungen, Rechnung getragen wird.