VW unter Druck wegen Kollaboration mit Diktatur in Brasilien

Menschenrechtskollektiv reicht in São Paulo Klage gegen VW wegen Verwicklung in Diktaturverbrechen ein. Konzern-Historiker nach Brasilien entsandt

klageeinreichung_vw_brasilien.jpg

Die Klage wurde den zuständigen Staatsanwälten am 22. September übergeben
Die Klage wurde den zuständigen Staatsanwälten am 22. September übergeben

São Paulo. Der Chef-Historiker von VW, Manfred Grieger, hat die Mitwirkung des Unternehmens bei der Aufklärung der Verwicklung in Verbrechen während der Diktatur in Brasilien zugesagt. VW bedauere "in höchstem Maße, dass den Betroffenen - gegebenenfalls unter Beteiligung von Mitarbeitern der Volkswagen do Brasil - Leid zugefügt wurde oder sie wirtschaftliche Nachteile erfahren mussten", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. "Volkswagen wird auf die Betroffenen zugehen und ihre Sicht der Dinge erfragen." Wer die Verantwortung für diese Menschenrechtsverletzungen trage, "werde vorbehaltlos und bis ins Letzte untersucht", so Grieger.

Europas größer Autobauer hat seinen Historiker nach Brasilien entsandt, nachdem das brasilianische Menschenrechtskollektiv "Erinnerung, Wahrheit, Gerechtigkeit und Reparation" am 22. September eine Sammelklage bei der Staatsanwaltschaft von São Paulo gegen VW do Brasil wegen Kooperation mit den Repressionsorganen der Diktatur (1964-1985) eingereicht hatte. Das Kollektiv setzt sich aus Betroffenen, Gewerkschaftern, sozialen Bewegungen und Menschenrechtsgruppen zusammen. Die Anzeige stützt sich auf Zeugenaussagen Betroffener, die diese vor den Wahrheitskommissionen Brasiliens getätigt hatten, sowie auf mehrere in Archiven aufgetauchte Fundstücke. Die zuständigen Staatsanwälte des Bundesstaates von São Paulo, Pedro Machado und Marlon Weichert, sollen nun Ermittlungen gegen den VW-Tochterkonzern aufnehmen.

Wie eine Pressemitteilung des "Dachverbandes der Kritische Aktionäre" informiert, geht es bei den Vorwürfen gegen VW do Brasil vor allem um vier Tatbestände:

  • Mitarbeiter von VW wurden am Arbeitsplatz verhaftet und verprügelt. Dies geschah laut Aussagen von Betroffenen unter Aufsicht und Mitwirkung von VW-Sicherheitspersonal. Vom Betriebsgelände seien sie direkt in ein Folterzentrum verschleppt worden.
  • VW do Brasil habe auch schwarze Listen über Betriebsangestellte und Berichte über Mitarbeiter an die Behörden der Diktatur übergeben und als oppositionell geltende Angestellte entlassen. Zu den von Mitarbeitern von VW in den 1970er Jahren Ausspionierten zählte auch der damalige Gewerkschafter und spätere Präsident Luiz Inácio Lula da Silva.
  • Geklärt werden sollen Vorwürfe, VW habe – so wie andere multinationale Konzerne in Brasilien – das berüchtigte Folterzentrum Oban unterstützt. Erwähnt wird die freiwillige Zurverfügungstellung von Fahrzeugen für das Oban, das ab 1970 unter dem Namen DOI-CODI in São Paulo operierte und in dem laut neuesten Erkenntnissen 66 Menschen ermordet wurden, 39 von diesen starben infolge der Folter. Von weiteren 19 Menschen stammt ihr letztes Lebenszeichen, dass sie verhaftet und ins DOI-CODI verbracht wurden. Seither gelten sie als verschwunden.
  • Im Jahr 2013 wurden in den Archiven des früheren Geheimdienstes Brasilien (SNI), Dokumente gefunden, die die Zusammenarbeit von Wirtschaft und Repressionsorganen nahelegten. Den als Verschlusssache deklarierten Dokumenten ist zu entnehmen, dass als Mittelsmänner für die Industrie das Institut für Forschung und Sozialstudien und die Ständige Arbeitsgruppe zur Industrieentwicklung (GPMI) beim Landesverband der Industrie São Paulo fungierten. Die Industrie- und Unternehmervertreter, unter ihnen auch Volkswagen, hätten zur Zeit der Diktatur diese zwei Institutionen finanziell gefördert, damit sie gemeinsam mit der Obersten Heeresschule (Escola Superior de Guerra) einen "militärisch-industriellen Komplex" aufbauen. Solche finanzielle Unterstützung sei zudem, so die heute in São Paulo eingereichte Anzeige gegen VW, bereits vor dem Militärputsch von 1964 erfolgt: Die in Brasilien ansässigen multinationalen Konzerne hätten gegen die demokratisch gewählte Regierung von João Goulart konspirativ gewirkt, um diese durch einen späteren Militärputsch zu stürzen, was am 1. April 1964 dann auch geschah.

Laut dem Abschlussbericht der Nationalen Wahrheitskommission Brasiliens haben neben VW über 80 namhafte Unternehmen mit der Diktatur zusammengearbeitet. Unter ihnen viele weitere Autobauer wie Mercedes Benz, Toyota, Ford und Scania, aber auch Firmen wie Siemens oder Kodak. Alle gaben Namen von Regimekritikern weiter, einige unterstützten die Militärs und ihre Folterzentren sogar mit großzügigen Geldspenden. Manchmal seien auch Arbeitsunfälle inszeniert worden, um das wirkliche Schicksal einiger Oppositioneller zu vertuschen, so der Bericht.