UN: Lage der Menschenrechte in Mexiko vergleichbar mit Kriegsgebieten

Hochkommissar beklagt Korrumpierung der Institutionen durch die organisierte Kriminalität und chronische Straflosigkeit bei Verbrechen

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Zeid Rada Al Hussein
Zeid Rada Al Hussein

Mexiko-Stadt. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Zeid Rada Al Hussein, hat bei einer Pressekonferenz in der mexikanischen Hauptstadt am Ende seines dreitägigen Besuchs in Mexiko über die Lage der Menschenrechte im Land berichtet. "Für ein Land, das sich nicht im Krieg befindet, sind diese Ziffern enorm", bilanzierte der UN-Beauftragte: 151.233 Menschen wurden im Zeitraum von Dezember 2006 bis August 2015 ermordet, darunter Tausende Migranten. Mindestens 26.000 Menschen sind in den vergangenen acht Jahren verschwunden. Tausende Frauen und Kinder wurden Opfer von sexuellem Missbrauch und Morden. Offizielle Statistiken zeigten, dass 98 Prozent dieser Verbrechen nicht aufgeklärt würden, in der Mehrzahl der Fälle werde nicht einmal ermittelt.

Der UN-Hochkommissar stellte fest, dass sich die mexikanische Gesellschaft trotz aller Maßnahmen der Regierung, das Land sicherer zu machen, in einem "desolaten Zustand" befindet. Die zahlreichen Fälle von Verschwindenlassen, Folter und Mord sowie das systematische Vorgehen gegen Menschenrechtsverteidiger, Aktivisten und Journalisten seien nach wie vor die größten Defizite des Staates. "Auf diese Probleme hat meine Vorgängerin Navi Pillay die mexikanische Regierung bereits vor vier Jahren aufmerksam gemacht", so Al Hussein.

Für einen Teil der Verbrechen sei die organisierte Kriminalität verantwortlich. Diese habe "zersetzende und verheerende Auswirkungen" auf die Gesellschaft. Mit den "riesigen Geldmengen, die diese Gruppen mobilisieren, beeinflussen oder korrumpieren sie Schlüsselinstitutionen“. Das Verschwindenlassen, die außergerichtlichen Hinrichtungen und die Folterungen würden jedoch in vielen Fällen vermutlich von Lokal-, Regional- und Bundespolizei sowie vom Militär ausgeführt, "sei es aus Eigeninteresse oder in Absprache mit Gruppen der organisierten Kriminalität", betonte der Hochkommissar.

Dabei nannte Al Hussein besonders gravierende Fälle wie das Verschwindenlassen der 43 Lehramtsstudenten in Iguala am 26. September 2014 und die bei dem vorangegangenen Polizeiangriff sechs ermordeten Personen sowie die Hinrichtung von 22 Zivilisten in Tlataya durch Soldaten am 30. Juni 2014.

Das UN-Hochkommissariat schließt sich den bereits veröffentlichen Schlussfolgerungen der unabhängigen Expertengruppe der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH) im Fall Iguala und des CIDH-Generalsekretärs Álvarez Icaza an. Al Hussein forderte die mexikanische Regierung "mit aller Dringlichkeit" dazu auf, das Land zu entmilitarisieren und alle Empfehlungen der Expertengruppe, darunter die Befragung von Mitgliedern des 27. Militärbataillons, umzusetzen.

Unterdessen hat die mexikanische Generalstaatsanwaltschaft (PGR) auf die internationale Kritik an ihren Ermittlungen im Fall Iguala reagiert und ein drittes Gutachten über die Müllkippe in Cocula angefordert. Dort sollen laut Regierungsversion die 43 Lehramtsstudenten in der Nacht zum 27. September verbrannt worden sein. Das neue Gutachten soll von acht Experten aus fünf Ländern erstellt werden, unter ihnen auch Dr. José Luis Torero. Der peruanische Sachverständige für Brände und Dozent an der Universität von Queensland in Brisbane (Australien) war Teil der CIDH-Expertengruppe und hat die Darstellung der Regierung über die Vorgänge auf der Müllkippe bereits widerlegt.

Am vergangenen Sonntag hat die PGR ihre Ermittlungsunterlagen im Fall Iguala im Internet veröffentlicht. Seit über einem Jahr hatten die Angehörigen der Studenten, Menschenrechtsgruppen und auch die Bevollmächtigte des Nationalen Instituts für Transparenz und Datenschutz die Behörde aufgefordert, Informationen und Dokumente zugänglich zu machen. Wie die Deutsche Presseagentur berichtet, sind zahlreiche Stellen in den rund 54.000 Seiten umfassenden Unterlagen geschwärzt.