Boliviens Präsident Evo Morales in Berlin

Begeisterte Zuhörerschaft in der Technischen Universität. Bundeskanzlerin Merkel zeigt Verständnis für Boliviens Konzept eigener Wertschöpfung

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Evo Morales im Gespräch an der TU mit Amerika21-Redakteur Harald Neuber
Evo Morales im Gespräch an der TU mit Amerika21-Redakteur Harald Neuber

Berlin. Am Mittwochabend ist der Präsident des plurinationalen Staates Bolivien, Evo Morales, in der Technischen Universität (TU) Berlin vor 2.000 Studierenden, Lehrkräften, Lateinamerika-Interessierten sowie Mitgliedern der lateinamerikanischen Gemeinde aufgetreten. Anwesend waren ebenfalls die Botschafter von Ecuador, Kuba, Venezuela und Haiti, Vertreter weiterer Botschaften und Abgeordnete.

In den deutschen Medien fand der offizielle Besuch des Staatsoberhaupts des südamerikanischen Landes mit überwiegend indigener Bevölkerung kaum statt. Im starken Kontrast dazu stand der Andrang im Audimax und einem zweiten Hörsaal der Berliner TU.

Universitätspräsident Prof. Dr. Christian Thomsen hatte Morales eingeladen, um einen öffentlichen Austausch der Ideen zwischen beiden Ländern zu fördern. Nach seinem Eintreffen unterzeichnete Morales zunächst ein Kooperationsabkommen zwischen der TU Berlin und Bolivien.

Vor dem großen Publikum sprach Morales anschließend rund eine Stunde lang über den tiefgreifenden Wandel in seinem Land. Er schlug den Bogen vom historischen Widerstand der Indigenen und Bauern zur aktuellen politischen Bewegung und der sozialistischen Regierung. Organisierung und die Schaffung politischer Instrumente des Kampfes hätten die Voraussetzungen gebildet, um durch demokratische Wahlen eine Bewegung und ein Programm an die Regierung zu bringen, die das Land politisch und ökonomisch befreit hätten.

Der Präsident betonte die großen Schwierigkeiten auf dem Weg zur Souveränität, die dem Herrschaftsanspruch der USA in der Region geschuldet seien. Gleichwohl zeigten die lockeren Anekdoten, die Morales zur Veranschaulichung dieses schwierigen Verhältnisses zwischen Lateinamerika und den USA immer wieder einstreute, welche Fortschritte Selbstbewusstsein und Souveränität gegen äußere Hegemoniebestrebungen erzielt haben.

Breiten Raum gab er den wirtschaftlichen Plänen seiner Regierung. Das größte Augenmerk müsse darauf gerichtet sein, die Wertschöpfungskette in Bolivien selbst aufzubauen, um die traditionelle Ausplünderung der Rohstoffe durch multinationale Konzerne zu überwinden. Dabei sei die Kooperation mit den Ländern, die technologisch fortgeschritten sind, hoch willkommen. "Als Partner", fügte er an, "nicht jedoch als Eigentümer und Herren."

Nach seiner Rede stellte Morales sich Amerika21-Redakteur Harald Neuber zu einem Gespräch. Hier flossen auch Fragen aus dem Publikum ein, die bereits bei der Registrierung zum Einlass in das Audimax eingereicht werden konnten. Einen Lacherfolg verbuchte Morales, als er eine kritische Frage zu einer möglichen erneuten Wahlkandidatur damit konterte, dass gerade ein Deutscher ihn dies angesichts der dritten Amtszeit von Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Möglichkeit unbegrenzter Wiederwahl nicht fragen sollte. Auf Neubers Frage zu den unterschiedlichen Haltungen zu neoliberalen Konzepten in Europa und Lateinamerika, legte Morales nochmals seine Überzeugungen dar: In den Bereichen der Grundversorgung der Bevölkerung dürfe es keine Privatisierung geben. "Basisdienstleistungen" wie Wasser, Elektrizität, Telekommunikation, Bildung oder Gesundheit seien ein Recht und könnten nicht Gegenstand von Handel sein. Morales konnte diese Prinzipien im Fall Bolivien mit messbaren Erfolgen bei der gesellschaftlichen Entwicklung untermauern.

Am Mittag war Morales von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit militärischen Ehren empfangen worden. "Ein neues Kapitel in den bolivianisch-deutschen Beziehungen" sei eröffnet, sagte Merkel bei der gemeinsamen Pressekonferenz. Dabei würdigte sie die "beachtliche Bilanz" von Morales bei der Armutsbekämpfung. Auch das Wirtschaftswachstum des südamerikanischen Landes sei "beindruckend". Die Kanzlerin betonte das deutsche Interesse an einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Das Konzept Boliviens für die Wertschöpfung im eigenen Land halte sie für richtig. Präsident Morales lobte die Zusammenarbeit beim Technologietransfer. Bolivien freue sich über deutsche Unternehmen, die Dienstleistungen im Energiesektor anbieten. Für die nächsten Jahre plane Bolivien Investitionen von über einer Milliarde US-Dollar. "Wir möchten das Energiezentrum Südamerikas werden", sagte der Präsident. Dafür benötige man deutsche Technologie.

Die Außenminister beider Länder, Frank-Walter Steinmeier und David Choquehuanca unterzeichneten zwei Abkommen über deutsche Investitionen in Höhe von 43 Millionen Euro in die Lithiumförderung und erneuerbare Energien sowie in die Ausbildung von Fachkräften. Davon werden 20 Millionen als Kredite vergeben.

Ebenfalls auf dem Programm von Morales stand am Mittwoch ein Besuch bei Bundespräsident Joachim Gauck und im Bundestag.

Am Tag zuvor war die bolivianische Delegation mit dem Vorstandsvorsitzenden des deutschen Technologiekonzerns Siemens, Joe Kaeser, zusammengetroffen. Wie Energieminister Luis Alberto Sánchez erklärte, wird Siemens Turbinen für thermoelektrische Anlagen liefern und im Bereich Schulung sowie technische Unterstützung mit dem staatlichen Elektrizitätsunternehmen zusammenarbeiten.

Zum Abschluss seines Besuches ist Morales am heutigen Donnerstag zu Gast beim jährlich stattfindenden Lateinamerika-Tag der deutschen Wirtschaft in Hamburg. Dieser hat zum Ziel, die wirtschaftlichen Verbindungen zwischen Deutschland und Lateinamerika zu fördern.