Venezuela / Politik

Konflikt zwischen Staatsanwaltschaft und Oberstem Gericht in Venezuela spitzt sich zu

Staatsanwaltschaft wirft Oberstem Gericht Verfassungsbruch vor und hindert neu ernannte Vize-Generalstaatsanwältin am Betreten ihrer Büroräume

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Vor verschlossenen Türen: Der vom Obersten Gerichtshof von Venezuela ernannten Vize-Generalstaatsanwältin Katherine Harrington wurde der Einlass in ihre Behörde verweigert
Vor verschlossenen Türen: Der vom Obersten Gerichtshof von Venezuela ernannten Vize-Generalstaatsanwältin Katherine Harrington wurde der Einlass in ihre Behörde verweigert

Caracas. Die Auseinandersetzungen zwischen Venezuelas Staatsanwaltschaft und dem Obersten Gerichtshof des Landes (TSJ) gehen weiter. Am Donnerstag wurde die vom TSJ ernannte neue Vize-Generalstaatsanwältin Katherine Harrington vom Sicherheitspersonal am betreten ihrer Büroräumlichkeiten gehindert. Die Staatsanwaltschaft hatte zuvor die Ernennung Harringtons als "verfassungswidrig und illegitim" bezeichnet.

Der Konflikt zwischen den beiden Institutionen hat damit erneut an Brisanz gewonnen. Die Besetzung des Postens der Vize-Generalstaatsanwältin ist von besonderer Bedeutung, weil der Oberste Gerichtshof gegen die amtierende Generalstaatsanwältin Luisa Ortega Díaz ein Verfahren wegen disziplinarischer Vergehen eingeleitet hat, das zu einer Amtsenthebung führen könnte. In diesem Fall würde ihre Stellvertreterin den Vorsitz der Staatsanwaltschaft übernehmen.

Ortega Díaz hatte Mitte April den regierungskritischen Juristen Rafael González Arias zu ihrem Stellvertreter berufen. Am 27. Juni erklärte der TSJ dessen Wahl für ungültig, weil dafür notwendige Prozeduren nicht eingehalten worden seien. Ortega Díaz wendete sich daraufhin an die von der Opposition dominierte Nationalversammlung, die González Arias' Ernennung ratifizierte. Da das Parlament seinerseits mehrere Richtersprüche des Obersten Gerichtshofs missachtet hat, sind dessen Entscheidungen bereits im Januar ebenfalls vom TSJ für null und nichtig erklärt worden. Am 4. Juli vereidigte das Gericht stattdessen Harrington als stellvertretende Generalstaatsanwältin.

Die institutionelle Krise in Venezuela spitzt sich mit der faktischen Nicht-Anerkennung des Obersten Gerichts durch die Staatsanwaltschaft weiter zu. Generalstaatsanwältin Ortega Díaz wurde lange Zeit als Unterstützerin der Regierung von Präsident Nicolás Maduro angesehen. Seit April hat sie jedoch zunehmend scharfe Kritik an dessen Regierungsführung und am Handeln der übrigen Institutionen in Venezuela geübt. So tat sie sich als entschiedene Kritikerin der verfassunggebenden Nationalversammlung (ANC) hervor, die auf Initiative von Maduro am 30. Juli gewählt werden soll. Ihre Beschwerde wegen angeblicher Verfassungswidrigkeit der Abstimmung wurde jedoch vom TSJ abgelehnt, woraufhin Ortega Díaz die Legitimität von sechs Richtern infragestellte und auf angebliche Unregelmäßigkeiten bei deren Wahl im Dezember 2015 verwies.

In der Folge eröffnete das Gericht aufgrund einer Klage des sozialistischen Abgeordneten Pedro Carreño ein Verfahren gegen Ortega Díaz, in dem geprüft werden soll, ob sie ihre Kompetenzen überschritten hat. Am 28. Juni übertrug das TSJ zudem einzelne Kompetenzen der Staatsanwaltschaft an die Ombudsstelle für Menschenrechte.

Ein weiterer Streitpunkt sind die zunehmend gewaltsamen Ausschreitungen bei Demonstrationen der Opposition. Während Ortega Díaz sich Vorwürfen ausgesetzt sieht, sie behandle Gewalttaten von Oppositionellen zu nachsichtig, zitierte sie den ehemaligen Chef der Nationalgarde, Antonio José Benavides Torres, sowie den Chef des Inlandsgeheimdienstes Sebin wegen mutmaßlicher Menschenrechtsverletzungen zu einer Anhörung. An einer Pressekonferenz sprach Ortega Díaz von "staatlichem Terrorismus" gegen Protestierende. Da Benavides Torres mittlerweile Regierungschef des Hauptstadtdistrikts ist, annullierte wiederum das TSJ die Vorladung mit der Begründung, erst müsse in einem ordentlichen Verfahren die an das Amt gebundene Immunität Benavides' aufgehoben werden.

Während Ortega Díaz von der Opposition und internationalen Medien als Verteidigerin der Demokratie gefeiert wird, erntete sie harsche Kritik von ihrem Amtsvorgänger Isaías Rodríguez. Der ehemalige Generalstaatsanwalt (2001-2007) warf ihr vor, mit ihren Äußerungen das Land zu spalten und die politische Krise zu vertiefen. Sie habe der Staatsanwaltschaft als Institution damit "großen Schaden zugefügt", so Rodríguez, der sein Land gegenwärtig als Botschafter in Italien vertritt.

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