Armee-General fordert 800 Millionen Euro für Intervention in Rio de Janeiro

Uneinigkeit darüber, wie die Mehrausgaben beglichen werden sollen. Weiterer Mord an Politiker in Rio de Janeiro. Zehn Tote bei Schießereien in Favela

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Die jüngste Militäroperation in Rio de Janeiro ist bis Ende 2018 geplant. Bereits nach einem Monat sind Kosten in Höhe von 800 Millionen Euro angefallen
Die jüngste Militäroperation in Rio de Janeiro ist bis Ende 2018 geplant. Bereits nach einem Monat sind Kosten in Höhe von 800 Millionen Euro angefallen

Rio de Janeiro/ Brasília. Rund einen Monat nach Beginn der Militärintervention in Rio hat der verantwortliche Armeegeneral Braga Netto 3,1 Milliarden Reais (rund 800 Millionen Euro) für den Einsatz gefordert. Das Geld werde gebraucht, um Schulden bei Zulieferern von Versorgungsdienstleistungen zu begleichen sowie Gehälter von Sicherheitskräften nachzuzahlen. Die Mittel seien fundamental, um die Einsatzfähigkeit von Polizei und Feuerwehr wiederherzustellen, begründete Braga Netto die Forderung bei einem Treffen mit Vertretern von Parlament und Regierung.

Die rechts-konservative Regierung in Brasília stellte sich am vergangenen Freitag zwar zunächst hinter die Forderung des Generals. Völlig offen ist jedoch, woher die Mittel angesichts leerer Kassen kommen sollen. Insofern erklärte sie, erst einmal einen Drittel des geforderten Betrags, knapp 800 Millionen Reais (200 Millionen Euro), nach Rio entsenden zu wollen.

Für den linken Abgeordneten Alessandro Molon von der sozialistischen Partei PSB verdeutliche der Bericht des Generals, dass die Entsendung von Bundeseinheiten nach Rio Anfang des Jahres "vollkommen unverantwortlich" gewesen sei. "Alles deutet darauf hin, dass die Aktion improvisiert, ohne Planung und ohne zur Verfügung stehende Mittel war, um die innere Sicherheit aus der gravierenden Situation herauszuholen, in der sie sich heute befindet", so Molon.

Obwohl sich Regierung und Parlament darüber einig sind, dass Mittel für die innere Sicherheit bereit gestellt werden sollen, herrscht Uneinigkeit darüber, wie die Mehrausgaben beglichen werden.

Finanzminister Henrique Meirelles hatte zuletzt in einem Interview erklärt, dass keine neuen Steuern geplant seien, um die Intervention zu finanzieren. Insofern bliebe nur der Weg, diese aus dem bestehenden Haushalt zu finanzieren. Tatsächlich will die Regierung die Ausgaben über Umschichtungen aus anderen Haushaltsbereichen sowie über den Wegfall von Steuerbefreiungen für die Wirtschaft begleichen. Hiernach soll der im Jahr 2011 unter De jure-Präsidentin Dilma Rousseff eingeführte Erlass von Beitragszahlungen von 20 Prozent der Arbeitnehmerrenten für einige Wirtschaftssektoren ausgesetzt werden. Die Regierung erhofft sich davon, 8,8 Milliarden Reais ( 2,2 Milliarden Euro) an Mehreinnahmen.

Doch Parlamentspräsident Rodrigo Maia von der rechtskonservativen Partei DEM warnte bereits, dass ein Gesetz zum Wegfall des Steuererlasses für einige Sektoren im Parlament derzeit schlechte Aussichten hat. "Es wird schwierig, die Vergünstigungen zurückzunehmen, weil sie Sektoren betreffen, die gut im Abgeordnetenhaus vertreten sind", so Maia. Maia zeigte dennoch Bereitschaft und erklärte, im Parlament gebe es Zustimmung für die Militärinvention in Rio. "Die Idee der Regierung, die zusätzlichen Einnahmen für die Innere Sicherheit ausgeben zu wollen, macht es leichter", so der Präsident des Abgeordnetenhauses vergangene Woche.

Nach dem parlamentarischen Putsch im August 2016 hatte die neue De-facto-Regierung unter Michel Temer eine Haushaltsbremse beschlossen und die Staatsausgaben für die kommenden 20 Jahre eingefroren. Kritikern zufolge bedeute dies langfristige Einschnitte von bis zu 40 Prozent in den Bereichen Gesundheit und Bildung. Die geplante Umschichtung zur Finanzierung der Militärintervention würde die Situation im Bildungs- und Gesundheitsbereich noch einmal erschweren.

Bereits zu Beginn der jüngsten Militäroperationen in Rio hatte der Direktor der Zeitung Voz da Comunidade aus einer der größten Favelas Rios, Betinho Casas Novas, erklärt: "Würde es solche Interventionen in Bereichen wie Gesundheit und Bildung geben, wäre Rio nicht wie es ist". Zudem fürchtete er, die Intervention werde zu noch mehr Gewalt für die Menschen in den sozial benachteiligten Regionen führen. Auch die vor kurzem ermordete Lokalpolitikerin Marielle Franco (PSOL) hatte das Eingreifen des Militärs stets kritisiert. Die Maßnahmen erweckten einen "falschen Eindruck von Sicherheit", so Franco im Februar dieses Jahres. Darunter litten vor allem jugendliche Schwarze aus benachteiligten Wohngebieten.

Indes kamen auch in jüngster Zeit wieder etliche Menschen durch Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitsorganen und Drogenbanden ums Leben. Am Samstag starben in der Favela Rocinha bei einer Schießerei mit Sondereinheiten der Polizei (PM) acht Menschen. Laut PM seien die Opfer im Drogenhandel aktiv gewesen. Am Mittwoch davor waren in derselben Gegend ein Polizist und ein Einwohner durch Schusswechsel zwischen Polizei und Drogenhandel ums Leben gekommen.

Mittlerweile zeigt die App und Homepage Onde Tem Tiroteio in Echtzeit an, wo es Schusswechsel gibt. Dies soll Anwohner warnen.

Unterdessen wurde nur kurz nach der Ermordung der Links-Politikerin Franco ein weiterer Politiker im Großraum Rio de Janeiro Opfer eines Hinterhalts. Wie im Fall Franco ist der 33-jährige Paulo Henrique Dourado Teixeira auf der Fahrt aus einem anderen Wagen heraus mit gezielten Schüssen getötet worden. Inwieweit es sich um ein politisch motivierte Tat handelt, sei bisher noch unklar, so die ermittelnde Polizei.