Konfliktparteien in Nicaragua auf der Suche nach einem Mediator

Proteste beider Lager dauern an. Unklarheit über Opferzahl und Verantwortung, auch wegen Fake News. Kann Dialog wieder aufgenommen werden?

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Anhänger der Regierung in Managua, der Hauptstadt von Nicaragua
Anhänger der Regierung in Managua, der Hauptstadt von Nicaragua

Managua. In der nicaraguanischen Hauptstadt Managua haben am Wochenende mehrere tausend Unterstützer der Regierung "für Frieden und Gerechtigkeit" protestiert und die Gewalt während oppositioneller Proteste der vergangenen Monate kritisiert. Die Demonstranten wiesen zugleich Angriffe auf Einrichtungen des Gesundheitswesens zurück. Bei den Protesten waren unter anderem mehrere Krankenwagen angezündet und zerstört worden. In der Stadt Somoto im Norden des Landes fand indes eine Demonstration von Regierungsgegnern statt, bei der sich die Teilnehmer mit den nach Protesten und Blockaden festgenommenen Regierungsgegnern, oppositionellen Bischöfen und Ärzten solidarisierten. Ähnliche Aktionen wurden in Esteli und Matagalpa ausgerichtet.

Die wesentliche Auseinandersetzung um Nicaragua scheint sich inzwischen aber von der Straße auf die mediale Ebene verlagert zu haben. Beim Kampf um die öffentliche Meinung nutzte Präsident Daniel Ortega die Interview-Wünsche von internationalen Medien dazu, die Sichtweise der Regierung auf den Beginn der gewaltsamen Auseinandersetzungen ab dem 18. April und die Einflussnahmen der USA darzustellen. In einem Interview mit dem lateinamerikanischen Fernsehsender Telesur bezeichnete es der Vorsitzende der regierenden Sandinistischen Nationalen Befreiungsfront (Frente Sandinista de Liberación Nacional, FSLN) als unabdingbar, nach den gewalttätigen Ausschreitungen Gerechtigkeit herzustellen: "Es muss Gerechtigkeit geben, das ist das Mindeste, ansonsten können wir das Leben nicht zurückgewinnen. Das ist ein Signal, das hilft. Das fühlen auch die Familien der Opfer."

In einem Gespräch mit Oscar Valero von Euronews ging Ortega auch auf die Probleme der Regierung mit den von Menschenrechtsorganisationen genannten Zahlen der Opfer bei den Protesten ein. Hier wurden im Rahmen der letzten Woche Zahlen zwischen 295 (CIDH), 302 (CENIDH) und 448 Personen (ANPDH) genannt. Die nicaraguanische Regierung selbst spricht von 265 Toten in Folge von gewalttätigen, bewaffneten Konfrontationen, die staatliche Wahrheitskommission hält 222 Opfer für erwiesen, wobei die Regierung Fälle konventioneller Kriminalität und Fälle ohne klare Informationslage nicht berücksichtigt hat.

Die Frage nach der tatsächlichen Zahl der Getöteten und nach den Verantwortlichkeiten wird das Land sicher noch lange beschäftigen. Der differenzierte Blick auf einzelne Fälle wie etwa die Ermordung von drei Polizisten und einem Lehrer in dem Ort Morrito macht die Problematik deutlich, denn dabei wurden von nicaraguanischen Medien nachweislich Fake News verbreitet. Dennoch stellt sich natürlich die Frage, ob die Regierung auch im eigenen Interesse eine möglichst niedrige Zahl von Todesopfern angibt. Klarheit über die verschiedenen Opferzahlen wird die Öffentlichkeit wohl erst dann gewinnen können, wenn die Informationen zu den einzelnen Fällen auf vergleichbarer Basis öffentlich vorliegen.

Derweil zeichnet sich noch nicht ab, in welcher Form der mehrheitlich von allen Seiten gewünschte Dialog zur Lösung des Konflikts fortgesetzt werden kann. Nachdem Präsident Ortega am 19. Juli die Vermittlung durch katholische Bischöfe in der bisherigen Form abgelehnt hatte, sind die Konfliktparteien getrennt auf der Suche nach einem geeigneten Mediator gegangen. Die von den rechten lateinamerikanischen Regierungen dominierte Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) hatte am vergangenen Donnerstag durch die Einsetzung einer "Arbeitsgruppe" ihr Engagement zu Nicaragua erhöht. Der US-Vertreter bei der OAS, Todd Robinson, erklärte: "Wir organisieren eine intensivere Überwachung der vielfältigen Bemühungen der OAS. Jetzt, mehr denn je, sind die Augen der Welt darauf gerichtet, wie die OAS auf die Krise in Nicaragua reagiert".

Die Einsetzung einer eigentlich geplanten "Sonderkommission" der OAS war im Entschließungsantrag noch geändert worden, weil ein solches Gremium die Zustimmung der entsprechenden Regierung erfordert hätte und nicht mehrheitsfähig gewesen wäre. Außenminister Denis Moncada erklärte indes, dass Nicaraguas Regierung die Anwesenheit einer sogenannten Sonderkommission auf ihrem Hoheitsgebiet nicht zulassen werde. Die Regierungsgegner im Land hätten sich das Eingreifen des amerikanischen Staatenbundes allerdings gewünscht, ihr wichtigstes Presseorgan, die Tageszeitung La Prensa, kritisierte, die OAS habe "Daniel Ortega eine großartige Gelegenheit (geboten), die Krise durch Vereinbarungen auf nationaler Ebene zu lösen."

Zu der Frage einer Vermittlung hatte der Generalsekretär des Zentralamerikanischen Integrationssystems SICA, Vinicio Cerezo, am 30. Juli erklärt: "Die Präsidenten der SICA haben mir den Auftrag erteilt, zur Lösung der Krise in Nicaragua beizutragen. Ich glaube, dass ein Ausweg nur im Land selbst gefunden werden kann, weshalb ich von Anfang an mit vielen der beteiligten Akteure über die Möglichkeiten der Wiederaufnahme des Dialogs gesprochen habe." Er habe einzig nicht direkt mit Präsident Ortega gesprochen. Es wäre daher "unverantwortlich und unbegründet" zu behaupten, dass das SICA eine auf die Regierung zugeschnittene Lösung suche. "Meine Bemühungen sind auf den Dialog und politische Lösungen zum Wohle Nicaraguas ausgerichtet", so Cerezo. Das Integrationssystem SICA war 1991 im Rahmen der Esquipulas-Abkommen zur Lösung der Bürgerkriege in Mittelamerika entstanden.