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Ecuador: Tote auf den Straßen wegen Corona – oder wegen Sparpolitik der Regierung?

Behörden versuchen, Leichen von den Straßen Guayaquils abzuholen. Regierung zahlt Schulden an IWF zurück, Gesundheitssystem geht leer aus

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"Wir haben 911 (den Notruf) angerufen, es gibt keine Hilfe": Szene aus Guayaquil in Zeiten von Corona
"Wir haben 911 (den Notruf) angerufen, es gibt keine Hilfe": Szene aus Guayaquil in Zeiten von Corona

Guayaquil. Nachdem seit Tagen erschreckende Bilder auf die Straße gelegter und nicht abgeholter Leichen um die Welt gingen, gehen in Ecuador die verzweifelten Versuche weiter, die Lage in der Hafenstadt Guayaquil im Südwesten des Landes wegen der Ausbreitung des Coronavirus irgendwie in den Griff zu bekommen. Während das Gesundheitssystem in der fast drei Millionen Einwohner zählenden Stadt bereits kollabiert ist, wird immer deutlicher, welch verheerende Rolle die Regierung von Präsident Lenín Moreno dabei spielt.

Zwar ist laut offiziellen Zahlen Ecuador schon seit Wochen eines der in Lateinamerika am stärksten betroffenen Länder durch das Coronavirus, jedoch muss man davon ausgehen, dass die tatsächlichen Infektionszahlen und auch Todesfälle infolge von Covid-19 weit höher liegen. Gestern bestätigte das Gesundheitsministerium 3.747 Infektionen (davon sollen rund 1.600 Angestellte aus dem Gesundheitssektor sein) und 191 Tote. Vor allem in Guayaquil glaubt man diesen Zahlen aber nicht mehr. Zu offensichtlich und zu zahlreich sind die Toten auf den Straßen, wovon auch im Internet kursierenden Bilder und Videos zeugen. Seit dem 17. März sind beim staatlichen Notruf in ganz Ecuador 7.330 Anrufe eingegangen, mit der Bitte, Tote abzuholen. Der Großteil davon in Guayaquil. Medien berichten von rund 100 eingesammelten Leichen pro Tag, und dabei blieben noch immer viele unabgeholt. Selbst wenn nicht alle Toten mit Covid-19-Erreger infiziert wären, so muss man deren Verbleib auf offener Straße mit Sicherheit auch dem katastrophalen Krisenmanagement und der mangelhaften Ausstattung von Krankenhäusern zuschreiben.

Carlos Luis Morales, der Präfekt der Provinz Guayas erklärte in einem Interview Ende vergangener Woche, dass allein an einem Tag 480 Sterbeurkunden ausgestellt worden seien, 150 Leichen würden jeden Tag abgeholt. Ein großes Problem seien die fehlenden Kompetenzen, die den Provinzen durch die Regierung in Quito gegeben werden. Er machte auch deutlich, wie enttäuscht er von der mangelhaften Kooperation und Kommunikation von Seiten der Regierung Moreno ist. Man habe den Provinzen zudem untersagt, selbst Zahlen oder Prognosen zu veröffentlichen.

Nun scheint sich also, vielleicht früher als erwartet, auch die neoliberale Sparpolitik von Präsident Moreno der letzten drei Jahre zu rächen. Der Direktor des Nachrichtenportals Ecuadorinmediato, Francisco Herrera Aráuz, sieht in den Kürzungen beim staatlichen Gesundheitssystem die Hauptgründe für die offensichtlich gewordene Unfähigkeit der Regierung, auf den Ausbruch des Coronavirus insbesondere in der Provinz Guayas reagieren zu können. Entsprechende Einsparungen der öffentlichen Ausgaben waren auch von Kreditgebern wie dem IWF gefordert worden. Nicht nur wurde das Haushaltsbudget über die letzten drei Jahre immer weiter gekürzt, es wurde auch nie ganz ausgeschöpft. 2019 sei das Budget von 353 Millionen US-Dollar im Jahr 2017 auf nur noch 186 Millionen US-Dollar gekürzt und dann auch nur zu 66 Prozent verwendet worden. Diese gewollte Ineffizienz sehe man heute auf den Straßen von Guayaquil, so Herrera Aráuz.

Am Wochenende wurden zumindest einige Notfallmaßnahmen in die Wege geleitet, um die Leichname, die teilweise bis zu acht Tage auf den Straßen liegenblieben, abzutransportieren. Es wurde eine Nummer eingerichtet, um damit über den Kurznachrichtendienst Whatsapp Tote und die Bitte um Abholung zu melden.

In Kooperation mit einem privaten Unternehmen wurde außerdem die Produktion von zumindest 4.000 Särgen aus Pappkarton in Auftrag gegeben. Herkömmliche Särge, Plätze in Krematorien und Leichenhäusern oder ausreichend Personal, um die Toten abzuholen, sind schon seit Tagen viel zu wenig verfügbar. Verschiedene Medien melden, dass in Krankenhäusern Leichen teils sogar in Plastiktüten gewickelt würden. Angehörige berichten, dass ihre verstorbenen Verwandten nicht mehr auffindbar wären.

Die Regierung hatte Ende März einen Kredit in Höhe von 324 Millionen US-Dollar zurückgezahlt, obwohl bereits absehbar war, dass Schuldenrückzahlungen an internationale Geldgeber und Gläubiger hätten aufgeschoben werden können. Moreno hat sich in den vergangenen Jahren zu einer Art Musterschüler entwickelt. Die Rückzahlung von Ende März soll erst die zweite pünktliche Rückzahlung in der Geschichte des Landes gewesen sein. Morenos Taktik, die Banken und den Internationalen Währungsfonds (IWF) sich wohlgesonnen zu machen, ist offensichtlich. Der IWF hatte Ecuador dann auch als einem der ersten Länder einen Corona-Kredit über 500 Millionen US-Dollar gewährt.

Praktisch zeitgleich war Gesundheitsministerin Catalina Andramuños zurückgetreten. Sie hatte als Grund angegeben, dass die Regierung Moreno ihr nicht die notwendigen Ressourcen zum Kampf gegen die Pandemie des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 bewilligt habe.

Auch Peru scheint die Lage im Süden Ecuadors große Sorgen zu bereiten: Die Regierung schickte Panzer an die Grenze in der Nähe von Guayaquil, um "illegale Grenzübertritte" zu verhindern.