Covid-19 in Lateinamerika: Unzählige Solidaritätsaktionen auf dem ganzen Subkontinent

Angespannte sozio-ökonomische Lage durch Corona-Pandemie extrem verschärft. Viel Hoffnungslosigkeit ohne Solidarität

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Organisiert "von unten": Wie hier in Brasilien gibt es in vielen Ländern Lateinamerikas Ausgabestellen von Lebensmitteln für Bedürftige
Organisiert "von unten": Wie hier in Brasilien gibt es in vielen Ländern Lateinamerikas Ausgabestellen von Lebensmitteln für Bedürftige

Mexiko-Stadt/Santiago/Brasília. Aufgrund der durch die Corona-Pandemie verursachten Krisensituation sind insbesondere die sozialen Auswirkungen enorm. So auch in Lateinamerika. In den letzten Wochen entstehen in vielen Ländern Solidaritätsaktionen, um den Folgen der Maßnahmen wie Ausgangsbeschränkungen entgegenwirken zu können.

An erster Stelle zu nennen sind Volksküchen sowie Lebensmittelspenden und -beschaffungen. Genauso zahlreich sind die Initiativen für selbst hergestellte Schutzmasken und -anzüge. Erste Märkte für Tauschhandel entstehen wieder. Jugendliche organisieren sich in Gruppen, um für ihre älteren Nachbarn Besorgungen zu machen oder ihnen ein warmes Mittagsessen nach Hause zu bringen. In Chile hängen oft weiße Tücher aus den Fenstern als Hilferuf, um Unterstützung zu erhalten. In Mexiko leitet die Plattform "Ich mache Besorgungen" die freiwilligen Helfer dorthin, wo sie gebraucht werden. In Uruguay sind die zahlreichen Volksküchen und Tafeln über Google-Maps zu finden. Sie zeigen die am nächsten gelegenen Einrichtungen automatisch an. Außerdem gibt es wohl in allen Ländern Restaurants, die ihren Betrieb einstellten und sich in Armenküchen verwandelten.

Spenden von Bürgern, Betrieben und Institutionen werden über das Internet organisiert und kanalisiert. Sportklubs richten Unterkünfte für Obdachlose ein, sogar in Fußballstadien gibt es solche sozialen Räume. Im Agro-Zentralmarkt Montevideos spenden sowohl landwirtschaftliche Hersteller als auch Zwischenhändler täglich eine ausgewogene Lebensmittelration für diejenigen, die von der Hand in den Mund leben.

In Argentinien gibt es immer noch viele soziale Projekte dieser Art aus den Hungerjahren der Macri-Regierung, die ihren Betrieb weiterhin aufrechterhalten. Religiöse Einrichtungen brachten bereits bis zu einer Million Lebensmittelpakete unter die Leute.

Auch in Venezuela werden von Stadtteilgruppen Lebensmittelkartons an die Wohnungstür gebracht und damit die Quarantänemaßnahmen für Hilfsbedürftige ermöglicht, abgesehen von den Besuchen des medizinischen Personals. In Chile desinfizieren Jugendliche aus der Protestbewegung der vergangenen Monate inzwischen die U-Bahn-Stationen und die Waggons der Transportmittel. Andere stehen täglich in aller Frühe auf, um Brot für die Armen und Alten zu backen und an sie zu verteilen.

Auch Initiativen gegen die Wucherpreise von Lebensmitteln haben sich in mehreren Orten zusammengetan. Sie fahren direkt zu den Bauern aufs Land, kaufen Obst und Gemüse zu Niedrigpreisen und verkaufen sie weit billiger als die Supermärkte. Manche Gruppen denken an den Tag danach: Sie planen, ihre Erfahrungen zu nutzen, um dauerhafte soziale Projekte daraus zu entwickeln.

In Brasilien beweist die "Bewegung der Landlosen" (MST) ihre Fähigkeit, weit über den Eigenbedarf hinaus auf ihren besetzten Ländereien hochwertige, gesunde Nahrung ohne giftige Chemikalien zu produzieren. Sie verteilen wöchentlich kostenlos mehrere Tonnen an die Bedürftigen in den urbanen Zonen, die dort entweder leerstehende Gebäude besetzen oder freigebliebene Enklaven unter sich aufteilen, um dort ihre bescheidenen Unterkünfte zu bauen. Die Bewegung der Landlosen näht zudem täglich Hunderte von Schutzmasken, die sie an die Empfänger ihrer Spenden verteilt.

Die Gemeinde von Maila Sabrina, etwa 360 Familien, hat ein brachliegendes Gelände von 10.600 Hektar besetzt und in eine blühende Landwirtschaftszone verwandelt. Sie versorgt Hunderte von Familien in der Industriestadt Curitiba, zuletzt mit 14 Tonnen Lebensmitteln.

"Von der Erde können wir gut leben, Gott sei Dank, und dazu mit Qualitätsprodukten. Und noch etwas mehr produzieren. Für uns ist es sehr bereichernd, jemandem zu geben, der es braucht", sagt ein Mitglied der Kommune von Maila Sabrina.

In Mexiko, im Bundestaat Oaxaca, spenden Fischer mehrere Tonnen frischen Fisch an die arme Bevölkerung, die durch die Quarantäne um ihre täglichen Einnahmen gebracht wird. Die Fischervereinigung von Oaxaca hat sich zum Ziel gesetzt, täglich an die 20 Tonnen Fisch zu verteilen.

Anselmo López Villalobos, der Präsident der Vereinigung, erklärte, man habe gegenüber der Zentral- und Landesregierung bereits den Vorschlag gemacht, arbeitsteilig vorzugehen. "Wir stellen die Boote, die Infrastuktur und die Arbeitskraft, der Staat soll die Benzinkosten übernehmen", so López Villalobos. Doch bisher habe es noch keine offizielle Reaktion gegeben. Die Fischer zahlten alles aus der eigenen Tasche. "Wir können zwischen 50 und 60 Tonnen Fisch aufbringen und in den Dörfern und Städten an der Küste verteilen. Wir hoffen auf die Sensibilität der Regierenden", fügte er hinzu.

Die staatlichen Hilfsmaßnahmen liefen, zumindest für die Millionen Menschen außerhalb des sozialen Netzes, in den meisten Ländern Lateinamerikas drei bis vier Wochen zu spät an. Wenn überhaupt.

Dahingegen muss das rasche und entschlossene Handeln der Solidarität von unten herausgehoben werden. Sie wurde gleich in den ersten Tagen der Quarantäne praktisch gemacht. Die Mehrheit der Menschen sind sich bewusst, was Hunger bedeutet und dass man ihn mit gemeinsamen Aktionen überwinden kann.