Polizeigewalt in Chile gegen Krankenhauspersonal

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Demonstration Tens
"Weniger Applaus, mehr Wertschätzung": Der kleine Demonstrationszug in Santiago, bevor die Polizei eingriff

Santiago. Ein weiteres Mal sind am Samstag in der Hauptstadt Chiles Wasserwerfer gegen Demonstrierende aufgefahren. Diesmal gegen das technische Krankenhauspersonal, welches für bessere Arbeitsbedingungen protestierte. Einen Skandal löste die Tatsache aus, dass eine gleichzeitig stattfindende Demonstration gegen eine neue Verfassung von der Polizei begleitet wurde. Das Vorgehen wurde von sozialen Bewegungen und parteiübergreifend von der Opposition kritisiert.

Die Ausbreitung des Coronavirus hat sich in Chile auf die Provinzen verlagert. Während sich Santiago in einer Phase der Öffnung befindet und sich die politischen Debatten zunehmend anderen Themen widmen, klettern im Süden und Norden die Zahlen nach oben. Die südlichste Region an der Magellanstrasse erreichte am 7. September einen landesweiten Rekord von 83 neu angesteckten Personen pro 100.000 Einwohner.

Das Krankenhauspersonal musste in den letzten Monaten viele Überstunden und Unsicherheiten in Kauf nehmen. Krankenhäuser haben steile Hierarchien. Während Ärztinnen und Ärzte hohe Löhne erhalten, verdient das sogenannte technische Personal (Técnicos en Enfermería Nivel Superior, TENS) im Durchschnitt 490.000 chilenische Pesos monatlich (rund 500 Euro). Diese an Hochschulen ausgebildeten Angestellten werden seit der Einführung eines allgemeinen Gesundheitsgesetzes nicht als medizinisches Personal geführt. Dies hat zur Folge, dass sie aus Fördergeldern und speziellen Unfall- und Lebensversicherungen ausgeschlossen sind.

Seit 2018 forderten die beiden Gremien der TENS ihre Anerkennung als medizinisches Personal, die Corona-Pandemie hat dem Nachdruck verliehen. "Wir verlangen einzig was uns zusteht und werden von der Polizei unterdrückt", sagt eine Arbeiterin gegenüber Telesur. Während die Krankenhausangestellten keine finanzielle Wertschätzung für ihre Arbeit erhalten und zum Teil Gehaltseinbußen hinnehmen müssen, gewährte die Regierung von Präsident Sebastián Piñera den Carabineros eine Gehaltserhöhung von bis zu 30 Prozent. Begründet wurde dies mit "ihrem außerordentlichen Dienst während der Pandemie".

Zur gleichen Zeit der Unterdrückung der TENS-Proteste  im Zentrum wurde in einem Viertel der Oberschicht eine Demonstration gegen eine neue Verfassung durchgeführt. Rund 200 Personen, vor allem Männer, gingen dort mit US-Fahnen und Bildern von US-Präsident Donald Trump und zum Teil in Militäruniform und mit Schutzschildern auf die Straße. Die Polizei begleitete den Demonstrationszug und griff nicht ein.

Dies erntete breite Kritik. Pablo Vidal, Parlamentarier der Partei Revolución Democrática, sprach gegenüber El Desconcierto von einer "politischen Polizei, welche abhängig von der Zustimmung oder Ablehnung gegenüber der Regierung die Demonstrationszüge zulässt oder dagegen vorgeht“. Der Innenminister antwortete auf die Kritik mit der generellen Aussage "friedliche Demonstrationszüge sollten immer zugelassen werden".

Die chilenische Polizei (Carabineros de Chile) steht wegen ihres gewaltsamen Vorgehens gegen Protestierende im Land und international unter starker Kritik und stößt zunehmend auf Ablehnung. Derzeit laufen die ersten Verfahren gegen Polizisten, die im Laufe der Proteste vom Oktober 2019 auf Demonstrierende geschossen haben. Gleichzeitig vermeldete die Institution eine Abnahme um 71 Prozent bei den Neuanmeldungen zur Polizeischule für das Jahr 2021. Linke Kreise fordern seit Jahren eine Neugründung der Polizeikräfte, welche seit der Militärdiktatur von 1973 bis 1990 kaum Reformen erlebt haben.