Chile: Eine neue Welle der Gewalt? Rechte Gruppen greifen Mapuche an

Unzureichender Schutz durch Regierung und Polizei. Ernennung des neues Innenministers lässt noch Schlimmeres befürchten. CIDH zeigt sich besorgt

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Menschenmenge mit Barrikade in Curacautín
Menschenmenge vor dem Rathaus von Curacautín in der Nacht auf den 2. August

Santiago. In der südlichen chilenischen Region Araucanía sind in der Nacht auf Sonntag von Angehörigen des indigenen Volkes der Mapuche besetzte Rathäuser angegriffen und von gewalttätigen Gruppen geräumt worden. Zwei der vier Gemeindeverwaltungen gingen dabei in Flammen auf. Die Polizei soll laut Medienberichten tatenlos zugesehen und anschließend Mapuche festgenommen haben.

Mariella Santana, Anwältin bei der Menschenrechtsorganisation Codepu warnte, wenn diese Gruppen nicht in die Schranken gewiesen würden, "landen wir wieder bei Ausmaßen der Gewalt aus den 1980er Jahren, als rechtsradikale Gruppierungen in einem rechtsfreien Raum Terror verbreiteten". Auch die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte (CIDH) verurteilte die rassistischen Angriffe in einer Stellungnahme scharf. Die jüngsten Proteste unterstützen den Hungerstreik mehrerer inhaftierter Mapuche, darunter des spirituellen Führers und Heilers (machi) Celestino Córdova (amerika21 berichtete).

Seit einem knappen Jahr erlebt Chile bereits eine Welle der Proteste, die nur durch die Corona-Pandemie eingedämmt werden konnte. Trotz dieser "Auszeit" wurden kaum soziale Reformen umgesetzt. Derweil rüsten rechte Gruppierungen und die Regierung auf. Der Politikwissenschaftler Sebastían Monsalve sieht in der Politik der Regierung von Präsident Sebastián Piñera eine Tendenz zur Verschärfung der Konflikte: "Anstatt diese durch Sozialprogramme zu dämpfen, wird weiterhin auf polizeiliche Maßnahmen und die Einbeziehung des Militärs in die innere Sicherheit gesetzt." Die jüngste Ernennung des Hardliners Víctor Peréz zum Innenminister ist für Monsalve ein weiterer Beweis hierfür. Peréz kommt aus dem Süden Chiles, war unter der Diktatur Augusto Pinochets Bürgermeister in der Stadt Los Ángeles. Zudem werden ihm enge Verbindungen zur Colonia Dignidad nachgesagt.

Linke Organisationen und Mapuche werfen ihm nun eine Mitschuld an der Gewalt vom vergangenen Wochenende vor. Peréz war noch am Freitag in der Araucanía und forderte die betroffenen Bürgermeister zum Handeln auf. Diese schienen sich bis auf Weiteres zu weigern, eine polizeiliche Räumung zu verlangen. In der Nacht auf Sonntag kam es dann zur Gewalt. Nach knapp einer Woche der Besetzungen, um den Hungerstreik von inhaftierten Mapuche zu unterstützten, rief die rechtsradikale Gruppierung Apra Araucanía zur "Befreiung" der Gemeindeverwaltungen auf.

Auch wenn Carabineros davon Kenntnis hatten, trafen sich während der nächtlichen Ausgangssperre vor den Gebäuden mehrere Hundert Personen mit Schlagstöcken, skandierten rassistische Parolen, verbrannten Symbole der Mapuche und verfolgten Einzelne, die flüchteten. Teile der Regierung und rechte Politiker verteidigten die Vorgänge als unschöne, aber legitime Selbstverteidigung. Breite Sektoren der Opposition verurteilten die Aktion auf das Schärfste.

Im Gespräch mit amerika21 äußerte Santana ihre Besorgnis über die Ereignisse: "Seit dem 18. Oktober erleben wir eine Ermächtigung rechtsradikaler Gruppierungen, die vorher vor allem in sozialen Medien aktiv waren". Nun würden sie sich zum Teil Waffen kaufen und ihre Reden in die Tat umsetzen. Genau hier beginne ein gefährliches Zusammenspiel von gewalttätigen Gruppen, die kaum oder keine polizeiliche Verfolgung erwarten müssten, und einer Regierung, die vor allem auf polizeiliche Repression setze.

Für den Mapuche und Menschenrechtsaktivisten Vicente Painel stellt die Araucanía eine Art Labor dar: "Jegliche politische Repression, die wir heute auf nationaler Ebene erleben, wurde zuerst hier ausgetragen. Mittlerweile herrscht in unserer Region ein Regime der Apartheid. Rechtsradikale Siedler können rechtsfrei Gewalt ausüben, während wir unter ständiger polizeilicher Überwachung und Kontrolle leben."

Auch Monsalve, der Teil der Gruppe zur Analyse von Verteidigungspolitik und Streitkräften ist, die durch ihre Kritik an der Sicherheitspolitik des Präsidenten Piñera bekannt wurde, zeigt sich beunruhigt. "Die Vorfälle im Süden haben alle Zutaten für die Entstehung einer faschistischen Bewegung", so Monsalve. Es würde ein rassistischer Konflikt geschürt, der zudem das Phantasma eines inneren Feindes wiederbelebe. Schließlich gebe es den Diskurs der unfähigen Politiker und der einfachen Bürger, die sich gezwungen sähen, zusammen mit der Polizei illegale und gewalttätige Aktionen durchzuführen. "Es fehlt nur noch ein charismatischer Führer. In den kommenden Wochen wird sich zeigen, ob sich diese Art der Politik in der Regierung durchsetzt."