Chile: Nach tödlichem Unfall "Aufstand der Fahrräder"

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Proteste in Chile: "Keine toten Radfahrer:innen mehr"
Proteste in Chile: "Keine toten Radfahrer:innen mehr"

Santiago. Nachdem erneut eine Fahrradfahrerin von einem Bus in Santiago erfasst und tödlich verletzt worden ist, sind in der chilenischen Hauptstadt Tausende von Fahrradfahrer:innen aus Protest auf die Straße gegangen. Sie fordern mehr Sicherheit und eine Verkehrspolitik für Fahrräder.

Nach dem Unfall bedauerte die Verkehrsministerin, Gloria Hutt, den Vorfall und äußerte, "die Geschwindigkeit ist eine Gefahr". Sie startete umgehend eine Videokampagne zur Einhaltung der Verkehrsregeln. Gleichzeitig kritisieren Fahrradverbände, dass sich die Polizei aus der Verkehrskontrolle zurückgezogen habe.

"Seit dem sozialen Aufstand vom 18. Oktober sehen wir keine Polizist:innen mehr, die die Geschwindigkeit kontrollieren", erklärte Sandra Aguilera, Sprecherin des Verbands Muevete gegenüber amerika21. "Mit dem Beginn der Pandemie haben wir einen deutlichen Anstieg an Fahrradunfällen erlebt", so die Aktivistin. Dieser sei durch erhöhte Geschwindigkeiten der Autos und weniger Kontrollen entstanden. Mit der Fahrerin vom 12. November sind seit Jahresbeginn mindestens 88 Fahrradfahrer:innen bei Unfällen gestorben.

Das Fahrrad wird in Chile zunehmend mehr als Transportmittel genutzt. Während der Protestwelle und mit der Corona-Pandemie stiegen zusätzlich Tausende von Menschen auf das Fahrrad um, da dies mehr Sicherheit und ein schnelleres Vorankommen ermöglichte. Die Regierung maß dem allerdings nicht die entsprechende Bedeutung bei. "Wir haben mehrmals vorgeschlagen, bestimmte Straßen in Radwege zu verwandeln, doch wir rennen jedes Mal gegen Wände", erzählt die Aktivistin Aguilera.

Nun hat das Verkehrsministerium weitere 2.500 Millionen chilenische Peso, knapp drei Millionen Euro, für neue Radwege angekündigt. Die Radorganisationen sind jedoch skeptisch: Laut dem Lokalmedium La Voz de Maipú wären immer noch mehr als 800 Kilometer angekündigte Radwege ohne Baufortschritt. Sie zitierten deshalb die Radorganisation Maipú Pedalea, die erklärte, "wir glauben den Ankündigungen erst, wenn wir Taten sehen".

Ein weiteres Problem beim Ausbau der Fahrradwege ist deren ungleiche Verteilung. In den letzten Jahren wurden zumindest in Santiago Radwege massiv ausgebaut, doch meist nur in den reichen Vierteln. Die Aktivistin Aguilera weist daher auf die extreme soziale Ungleichheit hin, auch für Fahrradfahrer:innen: "Die schönen Wege sind bei der Oberschicht zu finden, aber die Toten kommen aus den Armenvierteln."

Zudem werde das Fahrrad von der Politik als Freizeitangebot angesehen. "Die Zuglinien nehmen zwar zunehmend auch Fahrräder mit, allerdings nur am Wochenende", meint Aguilera. Es fehle an einem realen Einbezug dieses Transportmittels. Viel zu viele Gelder werde weiterhin für Autobahnen ausgegeben, während gleichzeitig die ständig steigende Anzahl an Fahrradfahrer:innen auf den immer gleichen und kaputten Wegen fahren müsse.

Dies hängt für Aguilera auch mit der Debatte über das Recht auf Stadt zusammen: "Wer darf wie viel öffentlichen Raum beanspruchen und für wen ist er da?" Auch deshalb möchte sie sich für diese Themen weiter einbringen.

Die Demonstrant:innen vom Freitag den 13. haben dies auf eindrückliche Weise gezeigt: Sie blockierten mehr als zehn zentrale Punkte allein in Santiago. Die Polizei war mit der Räumung deutlich überfordert.