Argentinien: Politiker und soziale Organisationen fordern Freiheit für Milagro Sala

Offener Brief prangert "lawfare" an. Kundgebungen in Jujuy und Buenos Aires. Kriminalisierung sozialer Bewegungen geht weiter

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Die Initiative für die Freilassung der indigenen Aktivistin Milagro Sala gewinnt zunehmend an Stärke
Die Initiative für die Freilassung der indigenen Aktivistin Milagro Sala gewinnt zunehmend an Stärke

Buenos Aires/San Salvador de Jujuy. Am fünften Jahrestag der Verhaftung der sozialen Aktivistin Milagro Sala ist es zu Kundgebungen für ihre Freilassung gekommen. Sowohl in der Hauptstadt von Salas Heimatprovinz Jujuy als auch in der Bundeshauptstadt gingen Tausende Menschen auf die Straßen. Davor haben bereits zahlreiche Persönlichkeiten aus Politik, Menschenrechtsorganisationen, gewerkschaftlichen und sozialen Bewegungen in einem offenen Brief ihre Haftentlassung gefordert.

Die Anführerin der Basisorganisation Túpac Amaru ist seit mittlerweile fünf Jahren in der Provinz Jujuy in Untersuchungshaft. Nach Interventionen internationaler Organisationen wie der Interamerikanischen sowie der UN-Menschenrechtskommission aufgrund menschenunwürdiger Haftbedingungen befindet sie sich derzeit in Hausarrest. In insgesamt sechs Gerichtsprozessen musste sich Sala gegen unterschiedlichste Anklagen verteidigen, von der Anstiftung zum Aufruhr über Körperverletzung bis hin zu Korruption und Bildung einer kriminellen Vereinigung. In nur zwei Verfahren wurde sie bisher verurteilt: 2017 zu drei Jahren auf Bewährung wegen Sachbeschädigung, 2019 zu 13 Jahren wegen Betrugs und Unterschlagung öffentlicher Gelder. Gegen beide Urteile wurde Berufung eingelegt, weshalb bislang keines rechtskräftig ist.

Der von mehr als 1.600 Personen unterzeichnete offene Brief trägt den Titel: "Für eine Demokratie ohne politische Gefangene. Freiheit für Milagro Sala". Darin heißt es unter anderem: "Wir wollen ihre illegitime Verhaftung und die Verfolgung der von ihr angeführten Organisation publik machen; die Verletzung humanitärer und ziviler Rechte durch die Justiz anprangern; einen fairen Prozess und die Freilassung von Milagro und der anderen in Haft befindlichen Genoss:innen fordern."

Der Text prangert insbesondere die Verweigerung von Rechten der Angeklagten in der Prozessführung an. Für die Unterzeichner:innen sind die Verantwortlichen der "politischen, justiziellen und medialen Verfolgung" Salas und der Organisation Túpac Amaru der Gouverneur der Provinz Jujuy Gerardo Morales, ein enger Vertrauter des früheren Präsidenten Mauricio Macri, sowie das oberste Gericht der Provinz. Sie, so der Text, verfolgten das Ziel, eine Organisation zu zerstören, die es geschafft habe, "das Monopol rund um öffentliche Bauaufträge zu durchbrechen, mafiöse Machenschaften im Zusammenspiel mit der letzten zivil-militärischen Diktatur aufzudecken und marginalisierte, indigene, arbeitslose, jugendliche Personen zu Protagonist:innen der sozialen Veränderung zu machen".

Bemerkenswert ist, dass sich unter den Unterzeichner:innen des offenen Briefes auch mehrere Funktionäre der aktuellen Bundesregierung befinden. So erklärten sich etwa der Minister für Territoriale Entwicklung und Lebensraum, Jorge Ferraresi, der Staatssekretär für Menschenrechte, Horacio Pietragalla, oder die aktuelle Leiterin des nationalen Geheimdienstes AFI, Cristina Caamaño, mit den Forderungen solidarisch.

Die Kundgebung in der Provinzhauptstadt San Salvador war überschattet von einem massiven Aufgebot an Sicherheitskräften und geheimdienstlichen Ermittlungen gegen soziale Organisationen im Vorfeld. Kommentator:innen sahen darin den Versuch, Protestierende von außerhalb davon abzuhalten, in die Stadt zu gelangen. Der Marsch von mehr als 3.000 Personen verlief am Samstag jedoch friedlich. In Buenos Airs wiederum demonstrierten Tausende vor dem Obersten Bundesgericht, welches ihrer Ansicht nach seine Aufgabe, ein faires Verfahren zu garantieren, seit Jahren nicht nachkommt.

Indes klagen soziale Bewegungen über weitere Kriminalisierung des sozialen Protests durch die Provinzregierung in Jujuy. Aktivist:innen würden wegen vermeintlicher Verwaltungsübertretungen mit Anzeigen eingedeckt. Diese können hohe Geld- bis hin zu Freiheitsstrafen zur Folge haben. Elena Chaves von der Organisation Anwält:innen des Argentinischen Nordwestens für Menschenrechte und Soziale Studien betonte, dass mit dem derzeit gültigen Verwaltungsstrafrecht der Provinz jeglicher Straßenprotest wegen Störung des Verkehrs oder des öffentlichen Raums kriminalisiert werden kann.

Auch Milagro Sala bleibt weiter im Fokus der Justiz. Just am selben Tag, an dem die Protestkundgebungen für ihre Freilassung angekündigt wurden, eröffnete Richter Pablo Pullen Llermanos ein neues Verfahren gegen sie. Gemäß der Anklage soll Sala 2009 die Vernichtung von Gerichtsakten zu einem Verfahren gegen sie beauftragt haben, in welchem sie neun Jahre später freigesprochen wurde.