Ausnahmezustand in El Salvador zum fünften Mal verlängert

Rund 50.000 Personen wegen angeblicher Bandenmitgliedschaft verhaftet. Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtet über Folterungen

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Parlament hinter Barrikaden und Stacheldraht: Mitglieder von Movir übergeben ihre Petition an eine Abgeordnete
Parlament hinter Barrikaden und Stacheldraht: Mitglieder von Movir übergeben ihre Petition an eine Abgeordnete

San Salvador. Das Parlament von El Salvador hat den seit 27. März andauernden Ausnahmezustand um weitere 30 Tage bis zum 19. September verlängert. Die Regierung will nach eigenen Angaben damit "das Leben, die Unversehrtheit und die Habe" der Salvadorianer:innen schützen.

In den 142 Tagen, die der Ausnahmezustand nun andauert, habe es 77 Tage ohne Morde gegeben. Bisher seien rund 50.000 Personen verhaftet worden, die zu kriminellen Banden gehörten.

Zuvor wurde ein neuer Bericht der Beobachtungsstelle für Menschenrechte (OUDH) der Zentralamerikanischen Jesuitenuniversität (UCA) über Menschenrechtsverletzungen bekannt.

"Die Beschwerden, die beim Menschenrechtsinstitut der UCA eingegangen sind, belegen die Existenz von Folterungen", sagte der Generalkoordinator der OUDH, Danilo Flores, bei der Vorstellung des Dokuments "100 Tage Notstandsregime in El Salvador". Er berichtete von einem 14-jährigen Jugendlichen, der von Polizei und von mitgefangenen Bandenmitgliedern geschlagen und gefoltert wurde.

Natalia Ponce, Ermittlerin der Beobachtungsstelle, sprach von 63 mutmaßlichen Opfern grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung im Ermittlungszeitraum zwischen 27. März und 4. Juli. Die Mehrzahl seien über 42-jährige Männer und die Verursacher sowohl Polizisten wie auch Soldaten.

Mindestens 59 verhaftete Personen seien im Gefängnis verstorben, alles Männer zwischen 18 und 30 Jahren. Als Ursache werden Schläge, physische Angriffe von Mitgefangenen und die Verweigerung von medizinischer Versorgung genannt. Die Gefängnisse sind mit 247,6 Prozent überbelegt.

Andere Quellen sprechen von 69 in Haft verstorbenen Personen, wobei 35 ermordet worden seien, sie wiesen Anzeichen von Misshandlungen auf.

Gegenüber dem UN-Hochkommissariat für Menschenrechte versicherte die Regierung El Salvadors, sie untersuche diese Fälle, ohne eine genaue Zahl zu nennen.

Besorgniserregend ist auch die Situation in den Frauengefängnissen. Offizielle Stellen sagen, dass bis zum 1. Juni 2022 insgesamt 5.114 Frauen unter dem Ausnahmezustand verhaftet worden sind, im Jahr 2021 waren es insgesamt 2.710. Diese Steigerung der Zahlen deutet auf eine noch höhere Überbelegung in den Frauengefängnissen hin als in denen für Männer.

Angehörige von Inhaftierten fordern, dass eine Verhaftung erst dann durchgeführt werden sollte, wenn Ermittlungen gegen die Person durchgeführt worden sind. Die Unschuldigen müssten freigelassen werden.

"Das Militär hat hier alles verwüstet. Ich versichere Ihnen, dass es in jeder Familie mindestens einen Verwandten gibt, der seit Beginn des Ausnahmezustands inhaftiert wurde", schilderte eine Einwohnerin die Situation in Puerto El Triunfo in Usulután.

Zeugenaussagen zufolge hat das Militär in dieser Gemeinde wenige Bandenmitglieder, aber viele Unschuldige verhaftet, darunter Fischer, Bootsführer, Friseure, Motorradfahrer und einen ehemaligen Bürgermeister.

Unterdessen kämpfen Rechtanwälte weiter für die Freilassung einer 72-jährigen, deren Gesundheitszustand sich in Haft sehr verschlechtert hat, wie selbst das rechtsmedizinische Institut bescheinigt. Ein Richter am Sondergericht in San Salvador ordnete auch Haftalternativen an, aber die Generalstaatsanwaltschaft legte Berufung ein.

Berichten zufolge wurde sie lediglich deshalb inhaftiert, weil sie die Festnahme ihrer Schwiegertochter gegenüber Polizisten in Frage stellte. In dem am 30. Juni 2022 bei der Verfassungskammer eingereichten Habeas Corpus-Antrag wiesen die Verteidiger darauf hin, dass die Polizei Stunden nach der Verhaftung zu ihrem Haus kam, die Tür aufbrach und ohne Durchsuchungsbefehl eintrat. Sie stahlen mehrere Wertsachen und Bargeld, den Erlös aus dem Verkauf vom Vortag und Geld aus Überweisungen, die ihre Kinder geschickt hatten. Bei einer zweiten Gelegenheit kamen weitere Polizisten und stahlen erneut Wertsachen. Der Fall wurde der Interamerikanischen Menschenrechtskommission vorgelegt.

Die Gruppe "Bewegung von Opfern des Ausnahmezustands" (Movir) forderte vor dem Parlament die Freilassung ihrer Angehörigen und ein Ende des Notstandsregimes. Während der Kundgebung riegelte die Polizei das Parlament mit Barrikaden und Stacheldraht ab. Ihre Petition wurde von einer Abgeordneten entgegengenommen, durchgereicht durch den Stacheldraht.

Gleichzeitig versuchten Familien von willkürlich Verhafteten aus Usulután und Morazán beim Obersten Gerichtshof 37 Anträge auf Habeas Corpus einzureichen, aber zunächst wurden ihnen alle Zugänge zum Gebäude verwehrt. Erst später gelang die Übergabe. Zuvor hatten auch Familien aus dem Bajo Lempa 67 Anträge auf Habeas Corpus eingereicht.