Venezuela: Stahlarbeiter fordern bessere Löhne und Ende der Kriminalisierung von Protesten

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Sidor-Arbeiter fordern, die Proteste der Arbeiter nicht länger zu kriminalisieren und die Löhne zu erhöhen
Sidor-Arbeiter fordern, die Proteste der Arbeiter nicht länger zu kriminalisieren und die Löhne zu erhöhen

Caracas/Ciudad Guayana. Venezolanische Metallarbeiter fordern die sofortige Freilassung von zwei Gewerkschaftsführern, die während der jüngsten Proteste bei dem staatlichen Stahlunternehmen Siderúrgicas del Orinoco (Sidor) festgenommen wurden.

Daniel Romero und Leonardo Azócar wurden am 11. Juni in Ciudad Guayana im Bundesstaat Bolívar verhaftet, nachdem sie mit Hunderten von Metallarbeitern einen fünftägigen Sitzstreik durchgeführt hatten. Ziel war, die Unternehmensleitung dazu zu bringen, die Löhne an die steigenden Lebenshaltungskosten anzupassen sowie die Krankenversicherung und die Tarifverhandlungsrechte wieder einzuführen.

Am vergangenen Mittwoch zogen Sidor-Arbeiter zusammen mit sozialen und politischen Aktivisten zur Generalstaatsanwaltschaft in Caracas. Dort übergaben sie ein Schreiben, in dem sie die Freilassung der Gewerkschaftsführer forderten. Die Demonstranten verlangen zudem Schutz für alle Arbeiter, die für ihre verfassungsmäßigen Rechte protestieren, wie auch das Ende der militärischen Besetzung des Unternehmens.

Nach Angaben des Rechtsanwalts und Menschenrechtsaktivisten Eduardo Torres wurden die Gewerkschaftsführer in einer "manipulierten Anhörung" vor einem Gericht im Bundesstaat Bolívar wegen Aufstachelung zum Hass, krimineller Vereinigung und Boykott angeklagt. Ein lokaler Richter habe zudem am 13. Juni eine Verfügung zum Verbot von Protesten erlassen, mit der sowohl Gewerkschaftsführer als auch Metallarbeiter mit Gefängnisstrafen bedroht wurden. Die Anordnung enthalte eine Liste von 15 Personen, die nicht streiken dürfen, so Torres.

Seit dem 7. Juni haben Hunderte Sidor-Beschäftigte ihre Arbeit niedergelegt, nachdem sich der Vorstand geweigert hatte, sich an einen Tisch zu setzen und über arbeitsrechtliche Fragen zu diskutieren.

Neben existenzsichernden Löhnen und Sozialleistungen fordern sie auch die vollständige Wiedereingliederung derjenigen, die im Jahr 2020 ohne Begründung entlassen wurden, sowie derjenigen, die auf einer Liste für "nicht benötigte" Mitarbeiter stehen.

César Soto, der davon betroffen ist, erklärte, dass die Arbeiter unter dieser Bedingung gezwungen sind, zu Hause zu bleiben und weniger als 60 US-Dollar im Monat zu erhalten. Bis Februar war nur rund die Hälfte der 7.000 Sidor-Arbeiter aktiv.

Laut Soto verdient ein aktiver Stahlarbeiter rund 200 US-Dollar im Monat plus 80 US-Dollar an Zusatzprämien. Da der Grundnahrungsmittelkorb des Landes jedoch auf über 500 Dollar geschätzt wird, fordern die Arbeiter eine dringende Lohnanpassung.

Die Forderungen wurden auch im Januar erhoben, als Sidor-Arbeiter eine Autobahn in Ciudad Guayana blockierten (amerika21 berichtete). Dabei wurden mehrere Menschen festgenommen. Die meisten wurden nach kurzer Zeit wieder freigelassen, einige in den "nicht benötigt"-Zustand versetzt. Damals erklärte sich die Unternehmensleitung bereit, einen Dialogausschuss einzurichten. Jedoch wurden die Vereinbarungen nie erfüllt.

Am 30. März wurden der Chef von Sidor, Néstor Astudillo, und der Vizeminister für Grundstoffindustrien, Pedro Maldonado, im Rahmen eines Anti-Korruptionsverfahrens verhaftet. Maldonado leitete außerdem die Venezuela Guayana Corporation (CVG), in der mehrere Schwerindustrien im Osten Venezuelas zusammengeschlossen sind.

Nach den Verhaftungen ernannte die venezolanische Regierung einen "Interventionsausschuss" unter der Leitung des Vizeministers für produktive Wirtschaft, Héctor Silva, und des Parlamentsabgeordneten Alexis Rodríguez Cabello. Im April wurde Silva durch Oberst Sandi Villarroel Rodríguez ersetzt.

Zuvor hatte Präsident Nicolás Maduro Sidor besucht und die Leitung angewiesen, den Arbeitern Vorrang zu geben. "Wir müssen mehr produzieren und in die Arbeiterklasse investieren, in ihre Tarifverträge und ihre Rechte", sagte er.

Das größte Stahlwerk des Landes wurde 2008 von der Regierung Hugo Chávez verstaatlicht und stand zeitweise unter Arbeiterkontrolle, bevor ein staatlich gelenktes Top-Down-Managementmodell eingeführt wurde. In den letzten Jahren wurde es von der Wirtschaftskrise und den US-Sanktionen hart getroffen, ebenso wie von einem Rückgang der Belegschaft aufgrund von Abwanderung und einer geringeren Kapazität für Investitionen und Instandhaltung.

Die Proteste der Stahlarbeiter im Osten Venezuelas fallen mit einer Reihe von Mobilisierungen von Ölarbeitern, Lehrern und Beschäftigten des öffentlichen Sektors zusammen, die in den letzten Monaten ebenfalls faire Löhne und neue Tarifverträge forderten.

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