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50. Jahrestag in Chile: Zuständiger für Gedenkfeiern muss nach Relativierung des Putsches gehen

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Eine gewichtige Stimme: Die Afep forderte mit Nachdruck den Rücktritt von Fernández. Am Mikrophon Alicia Lira, die Vorsitzende
Eine gewichtige Stimme: Die Afep forderte mit Nachdruck den Rücktritt von Fernández. Am Mikrophon Alicia Lira, die Vorsitzende

Santiago. Der Regierungsberater und Koordinator für die Gedenkveranstaltungen zum 50. Jahrestag des Militärputsches in Chile, Patricio Fernández, ist nach relativierenden Aussagen zum Staatsstreich von 1973 zurückgetreten.

Fernández sah sich nach Statements in einer TV-Sendung starker Kritik und einer öffentlichen Empörungswelle ausgesetzt, die ihn nun zum Rücktritt zwangen. Der Präsident der Mitte-links-Regierung, Gabriel Boric, bedankte sich bei Fernández für seine Arbeit und verkündete, den Posten von nun an nicht mehr zu besetzen.

Am 11. September 2023 jährt sich der faschistische Militärputsch gegen die demokratisch gewählte Regierung des Sozialisten Salvador Allende zum 50. Mal. Eine massive Destabilisierungskampagne der USA und der lokalen Rechten gegen die Linksregierung der Unidad Popular, die für einen sozialen Wandel angetreten war, mündete in einem Staatsstreich. Die 17 Jahre andauerde Militärdiktatur (1973-1990) unter General Augusto Pinochet forderte Tausende Tote und Verschwundene, tausende Menschen flohen damals ins Exil.

Die Vorbereitungen für Gedenkveranstaltungen laufen bei vielen gesellschaftlichen Akteuren wie Opferverbänden der Diktatur, Kulturschaffenden und politischen Parteien seit Monaten auf Hochtouren (amerika21 berichtete).

Ende Juni trat der Regierungsberater und Schriftsteller Patricio Fernández in seiner Funktion als Koordinator für das Gedenken am 11. September in der Sendung "Tras las líneas" (Zwischen den Zeilen) auf. Er sagte dort unter anderem, dass nun "die Geschichte weiter darüber diskutieren kann, warum es dazu kam oder was die Gründe oder Motivationen für den Staatsstreich waren."

Fernández' Auftritt löste heftige Reaktionen aus. Vor allem, dass er in seiner Funktion als offizieller Koordinator für die Gedenkfeierlichkeiten zum 11. September die Gräueltaten der Diktatur nicht klar verurteilte, gilt vielen in Chile als Skandal und spaltet die Linke im Land.

Infolge des Interviews wandten sich mehr als 150 Menschenrechtsorganisationen und die Vereinigung der Angehörigen von politisch Verfolgten und Hingerichteten (Afep) an die Regierung und verkündeten, nach diesen Aussagen eines Regierungsberaters nicht mehr im Rahmen eines gemeinsamen Gedenkens zusammenarbeiten zu wollen.

Die Afep-Vorsitzende Alicia Lira äußerte in ihrer Stellungnahme: "Patricio Fernández Chadwick, der Verantwortliche für das Gedenken an diese verräterischen Ereignisse, verurteilt den Staatsstreich nicht, spielt seine Bedeutung herunter. Er ignoriert einen einfachen Kausalzusammenhang zwischen dem Staatsstreich und den Menschenrechtsverletzungen, die sich nur durch den Militärputsch erklären lassen. Dieser wurde von Zivilisten unterstützt, die vom US-Imperialismus finanziert wurden, als Ausdruck eines Aktes des Interventionismus und der Unterordnung unter wirtschaftliche und politische Interessen aus dem Ausland."

Auch der größte Koalitionspartner der Regierung Boric, die Kommunistische Partei Chiles, kritisierte im Namen einiger Parlamentarier die Aussagen von Fernández scharf und forderten seine Entlassung.

Dieser beugte sich schließlich dem Druck und kündigte seinen Rücktritt an.

Die Mitte-links-Regierung sieht sich seit geraumer Zeit der Kritik linker Bewegungen und Gewerkschaften ausgesetzt, nachdem sie große Teile ihres eigenen Programms aufgegeben hat.

Die Gesellschaft und die öffentliche Meinung in Chile zum Umgang mit der Pinochet-Diktatur bleiben weiterhin tief gespalten. In einer Mori-Umfrage geben noch immer 36 Prozent der Befragten an, dass der Putsch durch die Streitkräfte zu Recht durchgeführt wurde. Und erst am 14. Juli wurde in einer kontroversen Parlamentsdebatte der Ex-Diktator Pinochet offiziell aus der Liste der Präsidenten gestrichen.