Fall Ayotzinapa in Mexiko: Eltern der Verschwundenen enttäuscht von Regierung López Obrador

Angehörige werfen der Regierung vor, die Armee zu schützen und die Aufklärung zu behindern. Details des emblematischen Vorfalls weiter unklar

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"Ayotzinapa: Staatsverbrechen" steht auf diesem Plakat auf einer Demonstration
"Ayotzinapa: Staatsverbrechen" steht auf diesem Plakat auf einer Demonstration

Mexiko-Stadt. Rund 5.000 Menschen haben am neunten Jahrestag des gewaltsamen Verschwindens der 43 Studenten von Ayotzinapa vor dem mexikanischen Nationalpalast demonstriert. Die Angehörigen der Verschwundenen forderten Aufklärung und Gerechtigkeit. Sie brachten ihre Enttäuschung über die Regierung von Andrés Manuel López Obrador (Amlo) zum Ausdruck und warfen ihr vor, die Aufklärung des Verbrechens zu behindern.

"Wir haben wirklich geglaubt, dass es einen Wechsel geben würde und dass wir wirklich wissen würden, was passiert ist. Aber es war eine große Enttäuschung. Sie haben uns fünf Jahre lang falsche Versprechungen gemacht. Und jetzt wollen sie, dass wir eine Version akzeptieren, die keine Grundlage hat", sagte Mario, ein Familienmitglied der verschwundenen Studenten, vor dem Präsidentenpalast.

Die Angehörigen warfen Amlo vor, die Armee zu schützen und wichtige Dokumente zur Aufklärung des Falls nicht herauszugeben. "Der Präsident will die Arbeit der GIEI nicht akzeptieren, aber wir wollen wissen, wohin sie unsere Kinder gebracht haben. Denn die Regierung ist weiterhin das Haupthindernis für Wahrheit und Gerechtigkeit", sagte ein anderer Angehöriger bei der Demonstration.

Die GIEI ist eine von der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH) eingesetzte Gruppe unabhängiger Experten. Sie hat den Fall untersucht und festgestellt, dass sowohl die organisierte Kriminalität als auch örtliche Polizeikräfte sowie die mexikanische Armee darin verwickelt waren. Die GIEI hat im Juni 2023 in ihrem Abschlussbericht festgestellt, dass Generalstaatsanwaltschaft und Militär die Suche nach den Verschwundenen weiter behindern.

Die 43 verschwundenen Studenten entstammen einem landwirtschaftlichen Kolleg, das Teil einer Reihe von Instituten ist, die ehemals für eine bessere Bildung der ländlichen Bevölkerung gegründet wurden. Sie sind häufig eng mit sozialen Bewegungen verbunden. Die Mehrzahl der Studenten ist indigener Herkunft.

Sie befanden sich am 26. September 2014 mit einem Reisebus auf dem Weg zu einer Demonstration in Mexiko-Stadt, als sie in der Stadt Iguala von Bewaffneten angegriffen wurden. Sechs Studenten wurden dabei getötet, 43 entführt und 40 verletzt. Was im Detail geschah und wohin die 43 gebracht wurden, ist jedoch immer noch unklar.

Die Deutsche Menschenrechtskoordination Mexiko, ein Netzwerk aus verschiedenen Menschenrechts- und Entwicklungsorganisationen, sieht Hinweise dafür, dass die mexikanische Regierung vor Ende ihrer Amtszeit im Jahr 2024 "aus politischen Gründen einen Schlussstrich ziehen will". Nach Amlos Amtsübernahme im Dezember 2018 habe es zwar Fortschritte bei der Aufarbeitung gegeben. Die Regierung setzte eine Wahrheitskommission ein und ließ auch die GIEI wieder ins Land. Dennoch verweigere insbesondere das Militär nach wie vor die Herausgabe aller mit dem Fall zusammenhängender Informationen, so María Luisa Aguilar Rodríguez von der mexikanischen Menschenrechtsorganisation Centro Prodh.

Abel Barrera vom Menschenrechtszentrum Tlachinollan aus dem Bundesstaat Guerrero fordert von der mexikanischen Armee, den zivilen Behörden "alle Informationen zur Verfügung zu stellen, die sie am Tag des Verschwindens der 43 Personen gesammelt hat. Die Angehörigen müssen erfahren, was genau passiert ist."

Sowohl Tlachinollan als auch das Centro Prodh unterstützen die Angehörigen seit Jahren in ihrem Kampf um Wahrheit und Gerechtigkeit. Sie wurden dafür angefeindet und sogar staatlicherseits überwacht.

"Nicht zuletzt weil die Polizei in Iguala damals beim Angriff auf die Studenten nachweislich G-36-Gewehre der Firma Heckler & Koch verwendet hat, sollte sich auch die deutsche Politik für eine vollständige Aufklärung des Falls einsetzen", erklärte Françoise Greve, die Koordinatorin der Deutschen Menschenrechtskoordination Mexiko. "Damit derartige Verbrechen künftig nicht mehr passieren, muss die anhaltende Straflosigkeit beendet werden."

Laut offiziellen Zahlen verzeichnet Mexiko heute mehr als 110.000 Verschwundene (amerika21 berichtete). Ayotzinapa gilt als einer der besonders emblematischen Fälle und steht stellvertretend für das Schicksal weiterer Verschwundener.